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PRO: Abschiebung muss sein

von Thomas Mayer

Wenn ein Verbrechen geschieht, das die Menschen im Land zutiefst verstört, muss man darüber offen diskutieren. Der sexuelle Missbrauch eines 13-jährigen Mädchens mit Todesfolge in Wien ist so ein Fall. Weil zwei der (bisher) drei festgenommenen Tatverdächtigen mehrfach vorbestrafte abgelehnte Asylwerber aus Afghanistan sind, gehen die Emotionen hoch. Verständlich.

In Deutschland löste ein ähnlicher Fall einer Gruppenvergewaltigung in Freiburg 2018 eine intensive Debatte über die Migrations- und Asylpolitik aus, vor allem über die Abschiebungspraxis. Hierzulande fragen viele zu Recht, wieso zwei Verdächtige nicht auf Basis eines EU-Abkommens mit Afghanistan rückgeführt wurden, obwohl de facto seit 2019 feststeht, dass sie kein Aufenthaltsrecht haben.

Einfache Antwort: Asylverfahren dauern viel zu lang, etwa verglichen mit den Niederlanden oder Dänemark, Behörden sind ineffizient, Regierungen seit 2015 schwach. Dazu kommt ein politisches Umfeld der Polarisierung, Parteien, die einander spinnefeind sind, zum Grundkonsens unfähig. Scharfmacher und Verharmloser dominieren, die Mitte ist schwach.

Dabei wäre es einfach, eine vernünftige Linie zu finden, die grundrechtlich hält. Die Regierung müsste nur EU-Richtlinien umsetzen. Die sehen vor, dass Flüchtlingen rasch und integrativ geholfen werden muss, aber jene, die das Asylrecht missbrauchen, Europa verlassen müssen. Abschiebung muss sein. (Thomas Mayer, 2.7.2021)

KONTRA: Kein Ho-ruck-Vorgehen

von Irene Brickner

Hat in Österreich ein besonders verabscheuungswürdiges Verbrechen stattgefunden, bei dem vorbestrafte ehemalige Asylwerber in Verdacht stehen, so kommt jeweils laut und reflexartig die Frage auf: Warum waren die Betreffenden überhaupt noch hier? Nach dem gewaltsamen Tod einer 13-Jährigen im Umfeld mehrerer junger Afghanen fordert jetzt der Kanzler sogar einen Schulterschluss aller Parteien für weitere Abschiebungen straffälliger Afghanen in ihr Herkunftsland ein. Dissens ist offenbar unerwünscht.

Damit aber fordern Kurz und andere ein Ho-ruck-Vorgehen in Fällen ein, die bis dato mit gutem Grund einzeln und individuell entschieden werden. Einer Person den Schutz wieder zu entziehen, der ursprünglich zuerkannt wurde, im Herkunftsland mit dem Leben bedroht oder sonst wie ernsthaft verfolgt zu werden, geht mit dem Risiko eines Auslieferns an die Folterer einher. Derlei wäre – Stichwort Refoulement-Verbot – ein menschenrechtlicher Tabubruch. Das erschwert Abschiebeentscheidungen in solchen Fällen beträchtlich – so unsympathisch und asozial der oder die Betreffende auch sein sollte.

Um nicht missverstanden zu werden: Einem asyl- oder fremdenbehördlichen Schlendrian soll hier nicht das Wort geredet werden. Ein sorgsam erwogener Abschiebebefehl ist durchzusetzen. Doch auch ein Verbleib straffällig gewordener Schutzberechtigter im Land ist kein Skandal – wenn das Risiko für diese Menschen in ihrer Heimat als zu hoch erkannt wurde. (Irene Brickner, 2.7.2021)