Psychologin Lippke warnt beim Impfen vor einer Kommunikation mit der Angst. Vielmehr sollten die positiven Aspekte vermittelt werden.

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Gesundheitspsychologin und Verhaltensmedizinerin Sonia Lippke von der Jacobs University Bremen forscht zu Impfmotivationen.

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Immer mehr Menschen in Österreich sind gegen Covid-19 geimpft – und dennoch nicht genug: Um eine Herdenimmunität zu erreichen und sich vor der noch ansteckenderen Delta-Variante zu schützen, müssen laut Experten mindestens 85 Prozent der impfbaren Bevölkerung immunisiert und somit jene Personen von der Impfung überzeugt werden, die noch skeptisch sind. Einige Staaten bieten dafür Anreize: Geld in Serbien, Luxus-Appartement-Lotterie in Hongkong, Gratis-Joints in Washington und New York oder ein lebendes Huhn in Indonesien.

Hierzulande stehen derzeit negative Anreize im Vordergrund. Wer sich nicht testen oder impfen lässt, hat keinen Zugang etwa zu Restaurants, Sport- oder Kulturveranstaltungen. Vergangene Woche starteten in Wien und Tirol die ersten Impfaktionen ohne Termin: Der Andrang war groß. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner fordert deshalb mehr Sonderaktionen, um die Impfquote zu erhöhen. Mit Impfstationen an Supermarktparkplätzen, Verkehrsknotenpunkten und Fitnesscentern sollen mehr Menschen erreicht werden, so die gelernte Infektiologin. Die Gesundheitspsychologin und Verhaltensmedizinerin Sonia Lippke von der Jacobs University Bremen erklärt, wie "Impfzuckerln" wirken und warum Bargeld als Anreiz zur Impfung auch nach hinten losgehen kann.

STANDARD: Wie entscheiden Menschen, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht?

Lippke: Aus unseren Untersuchungen zur Impfbereitschaft gegen die Grippe wissen wir, dass es vor allem um Wissensvermittlung und konkrete Angebote geht: Menschen müssen wissen, warum eine Impfung wichtig ist und sich lohnt. Außerdem ist die Kommunikation entscheidend, also wie genau Nachrichten über die Impfung vermittelt werden. Stehen Berichte über Nebenwirkungen und Beeinträchtigungen langfristiger Art oder positive Botschaften darüber, was was wir erreichen wollen und können, im Vordergrund? Jetzt geht es darum, dass wir alle an einem Strang ziehen und die Menschen verstehen, dass wir nur auf Schutzmaßnahmen verzichten können, wenn möglichst viele geimpft sind. Die Motivation, warum genau sich dann der Einzelne impfen lässt, ist letzten Endes egal.

STANDARD: Können sogenannte Impfzuckerln motivieren?

Lippke: Hier unterscheiden wir zwischen kurzfristiger und langfristiger Wirkung. Wenn man etwa jeder Person 100 Euro für eine Corona-Impfung anbietet, kann es sein, dass sich kurzfristig zehn Prozent mehr Menschen impfen lassen. Aber es kann auch zu einem Bumerang-Effekt kommen: Menschen, die sich bereits geimpft und nichts dafür bekommen haben, könnten an Motivation verlieren, sich zukünftig impfen zu lassen. Das nennen wir die Unterminierung der Motivation.

STANDARD: Wer fühlt sich durch derartige Impfaktionen angesprochen?

Lippke: Auch das trifft nur Leute, die offen sind und die vorhandenen Informationen lesen und verarbeiten können. Deshalb ist es auch so wichtig, die Informationen in vielen Sprachen zur Verfügung zu stellen. Wir müssen versuchen zu verstehen, warum Menschen Schwierigkeiten haben, die vorhandenen Informationen anzunehmen und dann nachbessern.

STANDARD: Greifen auch negative Anreize durch Ausschluss von Restaurantbesuchen, Freizeit und Kulturveranstaltungen?

Lippke: Diese Maßnahmen sind wirksam, wenn es darum geht, die Verbreitung des Virus zu stoppen. Aufgehoben werden die Maßnahmen ja nur, weil die Inzidenzen derzeit so niedrig sind. Es ist wichtig zu kommunizieren, dass es sich bei den Maßnahmen nicht um Strafen handelt. Strafen rufen immer Widerwillen hervor. In der Kommunikation sollte die positive Seite der Medaille hervorgehoben werden. So lässt sich ein Urlaub viel unkomplizierter planen, wenn man bereits geimpft ist.

STANDARD: Gibt es etwas, das man nicht tun sollte?

Lippke: Stigmatisierung ist ein Problem, also wenn zum Beispiel bei der Arbeit Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können, gleich behandelt werden wie Menschen, die das nur aus Nachlässigkeit nicht tun. Eine generelle Impfpflicht, mit Ausnahme einiger Berufe, würde ich als Fehler werten. Außerdem sollte die Kommunikation nicht über Angst laufen. Die Angst ist kein guter Begleiter und meist auch nicht langfristig wirksam. Aus den Forschungen wissen wir, dass viele Menschen nach der BSE-Seuche Angst hatten, Fleisch zu essen. Das verging dann schnell wieder. In anderen Ländern wie etwa China funktioniert die Kommunikation mit der Angst besser.

STANDARD: Es gibt auch Menschen, die sich gar nicht impfen lassen wollen: Kann man diese erreichen?

Lippke: Mir ist es wichtig, zwischen jenen Menschen zu unterscheiden, die vom Bildungswesen nicht erreicht werden oder unter kognitiven Beeinträchtigungen leiden, und jenen, die sich trotz Bildung vor evidenzbasierten Argumenten verschließen. Da müssen wir auf die Mehrheit vertrauen: Mythen gab es in unserer Gesellschaft schon immer – und trotzdem vertraut die Mehrheit der Bevölkerung auf wissenschaftliche Befunde. Mit vertrauenswürdiger Kommunikation können wir aber möglicherweise auch die Menschen erreichen, die skeptisch sind. Dabei geht es vielmehr um Emotionen als um Fakten. Wir müssen uns fragen: Warum glauben Menschen gewissen Fakten nicht mehr, und woher kommt deren Angst? (Interview: Laurin Lorenz, 6.7.2021)