Zu Beginn des Sommersemesters 2019/2020 brach eine Pandemie aus, die alle Lebensbereiche veränderte. Auch in unseren Bildungseinrichtungen blieb kein Stein auf dem anderen. Wer hätte im März 2020 gedacht, dass die Pandemie auch das folgende Schuljahr prägen würde, und zwar, wie wir jetzt wissen, mit nachhaltigen Folgen?

Im Rückblick auf die vergangenen 16 Monate fällt die Bilanz durchwachsen aus – vorsichtig ausgedrückt. Gewiss, es gibt auch Positives zu vermelden. Digitales Lernen funktionierte im Sommersemester 2021 weitaus besser als ein Jahr davor, wenngleich noch viel Luft nach oben besteht. Die Digitalisierung der Schulen schreitet zwar voran, allerdings noch immer zu langsam; dennoch: im Grunde ist das positiv. Dass viele Kinder und Jugendliche gelernt haben, selbstständiger zu arbeiten, darf auch auf der Habenseite verbucht werden. Dass es vor allem nur Schülerinnen und Schüler betrifft, die auf Unterstützung von zu Hause zählen konnten, ist weniger erfreulich.

Die Sommerschule, die vergangenes Jahr erstmals stattfand, ist grundsätzlich zu begrüßen; wie gesagt, grundsätzlich. In der derzeitigen Form ist sie von internationalen Standards nämlich noch recht weit entfernt. Während sie im Vorjahr vor allem für Schülerinnen und Schüler gedacht war, die Defizite in der Erstsprache Deutsch hatten und denen man keinerlei Prüfungserleichterungen zugestand, wurde das Fächerangebot heuer erweitert. Allerdings findet sie halbtägig statt und ist auf kognitives Lernen fokussiert. Internationale Good-Practice-Beispiele – übrigens auch gut erforscht –  sind durchwegs ganztägig und umfassen neben den kognitiven Angeboten auch Sport, Kunst, Kultur und Kreatives. Zum Einsatz kommen gut ausgebildete Fachkräfte für die jeweiligen Bereiche. Davon kann in Österreich bislang leider nicht die Rede sein, und es bleibt zu hoffen, dass die Entwicklung der Sommerschule in Richtung international erprobter Angebote weitergeht.

Filteranlagen statt DJ Ötzi

Was den gesundheitlichen Aspekt betrifft, den Umgang mit der Pandemie selbst, gäbe es viel Kritisches anzumerken, zum Beispiel zum Zeitpunkt der Einführung von Tests. Dass gerade Wien in diesem Kontext eine Vorreiterrolle innehatte, sei angemerkt, doch viel wichtiger erscheint mir die Frage nach den Plänen für den Herbst. Hat das Ministerium wirklich vor, keine Tests mehr an Schulen durchzuführen? So klang es jedenfalls zu Schulschluss in Ostösterreich vor einer Woche, nachdem der Minister ein paar Tage zuvor zum gesamtösterreichischen Schulschluss-Konzert mit DJ Ötzi eingeladen hatte.

Jetzt, da auch in den westlichen und südlichen Bundesländern die Sommerferien beginnen und die Verbreitung der Deltavariante rasant fortschreitet, wäre es an der Zeit, sich die Frage der Tests im Herbst neu zu stellen – für die Schulen ebenso wie für die Kindergärten, die teilweise überhaupt sträflich vernachlässigt wurden. Ein vierter Lockdown wäre nicht nur für das Bildungswesen, sondern für den ganzen Staat nicht zu verkraften. Dass Luftfilteranlagen für alle Schulen Österreichs zu teuer wären, wie der Minister anmerkte, kann für ein so wohlhabendes Land wie Österreich nicht akzeptiert werden. Die ewige Streiterei zwischen den Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden ist gerade hier fehl am Platz. Der Bund hat hier zu übernehmen, auch wenn er formal dafür nicht zuständig ist. Bis solche Filteranlagen flächendeckend an allen österreichischen Schulen umgesetzt ist, dürfte ohnehin einige Jahre dauern. Also müsste jetzt gehandelt werden.

Foto: AFP/INA FASSBENDER

Benachteiligung wird verschärft

Die ganz großen Baustellen sind das allerdings nicht, denn die wurden kaum oder gar nicht angegangen. Wirklich gravierend ist die Tatsache, dass die Bildungsschere noch weiter aufgegangen ist. Österreich zählt ohnehin zu den Ländern mit hoher Bildungsungerechtigkeit. Herkunft bestimmt wie kaum in einem anderen vergleichbaren Land die Zukunft. Das wissen wir seit einem Vierteljahrhundert, doch getan wurde nichts dagegen. Seit Corona hat sich die Situation verschärft. Während Schülerinnen und Schüler, die zu Hause Unterstützung hatten, unter Umständen sogar profitieren konnten, wurden andere, denen keine Unterstützung zuteil wurde, noch weiter abgehängt. Die Sommerschule ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn viele der Betroffenen kamen – wie bisher – schon mit Rückständen in den Kindergarten, nahmen diese in die Volksschule mit, später in die Sekundarstufe 1 – meist die Mittelschule. Auch da werden sie sehr oft nicht behoben.

Der Unterricht ist in unserem System nicht darauf ausgerichtet, diese Defizite individuell zu beheben. Es fehlt an personellen Ressourcen, zusätzlichem Personal ebenso wie an einem anders ausgerichteten Unterricht. Die unzeitgemäße Leistungsbeurteilung gehört endlich reformiert. Im Grunde wäre eine völlige Neuaufstellung des Bildungssystems nötig. Das scheint in Österreich nicht möglich zu sein, denn auch nur zögerliche Ansätze dazu verliefen bislang im Sand.

Dass wenigstens die Beseitigung der Bildungsungerechtigkeit als oberste Priorität, einmal als Zielsetzung benannt worden wäre, ist mir jedenfalls nicht bekannt. Corona hat die ohnehin dramatische Ausgangslage weiter verschärft. Zwar wurden Fördermittel zur Beseitigung von Defiziten zur Verfügung gestellt, doch ob diese auch mittel- oder längerfristig zur Verfügung stehen, ist nicht geklärt. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, bliebe die systemische Benachteiligung bestehen. Sie wurde sogar noch verschärft. Kindern, die bereits mit Defiziten in die Volksschule kommen, wurden vor kurzem weitere Hürden in den Weg gelegt. Zur Feststellung der AHS-Reife zählen nämlich jetzt bereits die Jahresnote der dritten Klasse sowie ein Kompetenztest in der 3.Klasse. Die Entscheidung über den künftigen Bildungsweg fällt somit hierzulande jetzt so früh wie in keinem anderen mir bekannten Land. Durch die Folgen der Pandemie wird es noch mehr Kinder als bisher betreffen, die schon so früh benachteiligt werden.

Schule mit Zukunft?

Nun stellt sich also die Frage: Wollen wir das wirklich alles in Kauf nehmen? Wollen wir wirklich, dass Kinder, denen zu Hause keine Unterstützung zuteilwerden kann, noch mehr zurückgelassen werden als ohnehin? Was ist für das nächste Schuljahr diesbezüglich geplant? Was ist mittelfristig vorgesehen? Dürfen wir sogar auf Überlegungen hoffen, die eine langfristige Perspektive enthalten? Dürfen wir endlich einmal erwarten, dass die Beseitigung der Bildungsungerechtigkeit zur politischen Zielsetzung wird? Oder brauchen wir eine weitere Krise wie die durch Covid-19 ausgelöste, um das Problem anzugehen? Warum sperrt man sich hierzulande so gegen eine gerechte Schulfinanzierung für ganz Österreich? Profitieren würden davon die am meisten benachteiligten Schulen beziehungsweise ihre Schülerinnen und Schüler.

Dürfen wir schließlich sogar auf einen – parteiübergeifenden – Bildungsgipfel hoffen? Wie wäre es damit, liebe Grüne? Wenn zur Stimmungsaufhellung ein Schulanfangskonzert dazu beitragen kann, dann würden wir sogar das dafür in Kauf nehmen. (Heidi Schrodt, 9.7.2021)

Zum Thema

Weitere Beiträge von Heidi Schrodt