Demonstranten stellten in Ungarn am Donnerstag ein Regenbogenherz auf.

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Ginge es nach der Mehrheit der Abgeordneten des EU-Parlaments, stünden Ungarn und der Regierung Viktor Orbáns bald harte Zeiten bevor. Dann müsste die EU-Kommission nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes, das Informationen über Homo- und Transsexualität an Jugendliche in Ungarn seit Donnerstag unter Strafe stellt, sofort tätig werden.

Das Team von Präsidentin Ursula von der Leyen würde also nicht nur, wie ohnehin geplant, erst einmal mit einem Mahnbrief nach Budapest ein "normales" Vertragsverletzungsverfahren einleiten, weil das Gesetz "gegen EU-Recht verstößt und diskriminiert". Denn den meisten EU-Abgeordneten reicht das nicht. Die zuständigen Fachkommissare – allen voran die für Grundrechte verantwortliche Věra Jourová – sollten gleich ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit einleiten, das den Entzug von EU-Subventionen vorsieht.

Das ist zumindest die Intention einer Resolution, über die im Parlamentsplenum abgestimmt wurde – und die mit großer Mehrheit am Donnerstag angenommen wurde. Aber ganz so einfach, wie sich die Gegner Orbáns das vorstellen, ist es nicht, obwohl der Gedankengang nachvollziehbar ist. Ungarn ist in Bezug auf seine Landeskleinheit der größte Nettobezieher der Union, noch vor Polen. Es wäre theoretisch also klar, dass man Orbán mit der Keule des Subventionsstopps am empfindlichsten treffen könnte.

Langsamer Weg

Aber: Wie Jourová gemeinsam mit Justizkommissar Didier Reynders vorige Woche feststellte, bezieht sich das neue Instrumentarium auf Fälle, in denen die Rechtsstaatlichkeit durch den Missbrauch von EU-Geldern verletzt wird. Das sei aber im konkreten Fall nicht anwendbar, erklärte Jourová. Die Kommission ging daher bisher den Weg über ein Vertragsverletzungsverfahren, das beim Europäischen Gerichtshof landen wird.

Allerdings: Sie könnte Orbán an anderer Stelle "ärgern". In Brüssel heißt es, dass Ungarns Wiederaufbauplan im Juli vorerst nicht genehmigt wird, wenn die Regierung nicht zusätzliche Garantien zur ordentlichen Mittelverwendung gibt. Es geht um große Summen.

Mit dem Gesetz sollen Jugendliche ja davon abgehalten werden, sich frei über Sexualität zu informieren, die von der vermeintlichen Norm abweicht. Konkret verbietet das Gesetz "Darstellung" oder "Propagierung" von Homosexualität, Transidentität, geschlechtsangleichenden Operationen und "selbstzweckhafter Sexualität", wenn sie unter 18-Jährigen zugänglich ist.

Menschenrechtler und LGBTQI-Aktivisten ließen am Donnerstag vor dem Parlament in Budapest einen mehrere Meter hohen herzförmigen Ballon in Regenbogenfarben in die Luft schweben. Dávid Víg, der Direktor von Amnesty International Ungarn, sagte: "Dieses Gesetz vermengt auf bösartige und verlogene Weise Straftaten gegen Kinder mit der LGBTQI-Gemeinschaft." Man wolle Lehrer weiterhin mit qualitätsvollen Informationsmaterialien unterstützen.

Jetzt Warnschilder

Erst am Tag davor wurde bekannt, dass eine Regierungsbehörde ein Buchhandelsunternehmen mit einer Geldstrafe von 250.000 Forint (700 Euro) belegt hatte, weil es ein Märchenbuch, das von Regenbogenfamilien handelt, nicht gekennzeichnet hatte. Dabei war das neue Gesetz da noch gar nicht in Kraft. Richárd Tarnai, der Regierungskommissär für das Komitat Pest und Autor des Strafbescheids, klärte im regierungsfinanzierten Nachrichtensender Hír TV auf, wie er das bewerkstelligte. Zur Anwendung gelangt sei nämlich aufgrund der Anzeige eines "besorgten Bürgers" das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Man hätte das Märchenbuch Was für eine Familie! speziell kennzeichnen müssen, weil es ein von der Verfassung abweichendes Familienmodell darstellt. Diese lege fest, dass eine Familie aus Vater, Mutter und Kindern besteht.

Das mit der Strafe belegte Buchhandels- und Verlagsunternehmen Líra kündigte rechtliche Schritte gegen den Strafbescheid an. Man gehe davon aus, dass sich derartige Anzeigen mit dem Inkrafttreten des neuen homophoben Zensurgesetzes häufen würden. Wie Líra weiter mitteilte, werde man an allen zur Unternehmensgruppe gehörigen Buchgeschäften ein Schild anbringen mit der Inschrift: "In diesem Buchgeschäft werden auch Bücher verkauft, deren Inhalte von den traditionellen Inhalten abweichen." (Thomas Mayer aus Brüssel, Gregor Mayer aus Budapest, 8.7.2021)