Plötzlich stand alles still. So manch Unternehmer, der die Corona-Krise heute Revue passieren lässt, kann immer noch nicht glauben, wie schlagartig ihm durch die Pandemie die Geschäftsgrundlage entzogen wurde. Es ging vielen Branchen so: Gastro und Hotellerie, Friseure, Masseure, Händler, Theater, Kinos, sie alle sperrten gezwungenermaßen zu. Ganze Wirtschaftszweige lagen am Boden. Andere wie die Tech-Branche profitierten hingegen von Homeoffice und Onlineshopping.

Veränderungsdruck

Die Welt dreht sich weiter – in manchen Wirtschaftszweigen schneller als davor. Schlechte Zeiten für Unbewegliche, denn Krisen bringen Veränderungsdruck. Das ist eine Lehre aus der Geschichte. Man muss nicht weit zurückschauen, um ein Beispiel zu finden. Die Finanzkrise hat 2008 die Wirtschaft in ihren Grundfesten erschüttert. Die Folgen waren enorm. Banken wankten oder fielen ganz. Viele Institute mussten radikale Sparprogramme fahren, um zu überleben. Das machte auch Platz für Neues.

"All die Fintechs, Online-Angebote und Crowdfunding-Plattformen lassen sich aus dieser Erschütterung heraus besser verstehen", meint Nikolaus Franke. Der Leiter des Instituts für Entrepreneurship und Innovation an der Wirtschaftsuni Wien denkt aber auch an die Gründung von Uber, Airbnb, Whatsapp, Instagram, Pinterest oder Slack. Dank der Systemrelevanz des Finanzsektors für die Wirtschaft habe die Krise nicht nur Banken betroffen. Vieles hat sich geändert.

Einkaufen ging während Corona viele Wochen lang nur via Onlineshopping. Das hinterlässt Spuren bei Konsumenten und Händlern.
Foto: Imago/Henning Scheffen

Das darf man auch nach Bewältigung der Pandemie erwarten. Am Handel, einer der von der Abwanderung der Kunden zum Onlineshopping besonders betroffenen Branchen, ist das bereits deutlich zu spüren. Corona wird den Strukturwandel beschleunigen. Roland Murauer sieht bereits viel Neues am Horizont. Die Pandemie habe Gründer nicht abgehalten, mit neuen Ideen zu starten, sagt der Chef der Beratungsfirma Cima, die etwa Städte dabei berät, wie sie ihre Stadtkerne am Leben halten können.

Die Gründerzahlen geben ihm recht. 38.857 Neugründungen verzeichnet die Statistik. Mit minus 0,6 Prozent einen Tick weniger als im Jahr davor. Es seien nicht nur Junge, die etwas neues erfinden wollen – und das just in einer Branche, die am stärksten unter den Einschränkungen gelitten hat. "Das hat mit der Pandemie begonnen und sich sogar noch verstärkt", sagt Murauer.

Gewinner und Verlierer

Eine Pleitewelle ist bislang dank der üppigen Hilfen ausgeblieben. Doch irgendwann laufen auch die letzten Hilfen aus. So lange warten die meisten Unternehmen nicht. Viele mussten sich schlagartig – oft innerhalb von Tagen – etwas Neues einfallen lassen, um zu überleben. Nicht nur die von den Lockdowns direkt Betroffenen, weiß WU-Professor Franke: Kaum einer sei nicht betroffen, sei es positiv oder negativ. Wer etwa im Homeoffice sitzt, trägt keinen Anzug – die Textilindustrie hat das empfindlich zu spüren bekommen.

Social Media, Onlinehandel und Fahrradindustrie dagegen boomen. Für Tools wie MS Teams oder Zoom war die Krise der Durchbruch. "Eine Krise zwingt zu neuem Verhalten, und manche dieser Experimente haben sich so bewährt, dass sie dauerhaft beibehalten werden", ist Franke sicher. Es sei denkbar, dass manche erstaunt feststellen, dass sie nun seit eineinhalb Jahren keine Verkühlung hatten – und auch in Zukunft in den Öffis Masken tragen.

"Kastlgreißler" Wilhelm Hafenrichter ließ sich einiges einfallen, um zu überleben.

Mit dem ersten Lockdown machte Wilhelm Hafenrichter aus dem drohenden Aus einen Anfang. Schlagartig war dem Tullner Lebensmittelgroßhändler für die Gastronomie und Hotellerie der Umsatz weggebrochen, innerhalb von zwei Tagen hat er das Konzept komplett umgestellt und belieferte fortan Haushalte – und traf mit der Spezialisierung auf regionale Lebensmittel und Produkte den Nerv der Zeit, kooperierte dabei auch mit einem Bäcker und einem Heurigen. Mit in der Spitze etwa 80 Lieferungen pro Tag stießen Hafenrichter und seine vier Mitarbeiter bald an ihre Grenzen.

Um die Nachfrage bedienen zu können, richtete er zusätzlich am Standort des Großhandels einen Shop ein. Das besondere Konzept: vormittags gibt es Verkaufsbetreuung, danach Selbstbedienung. Zugang gibt es mit Bankomatkasse wie bei einem Bankfoyer, erklärt Hafenrichter, abgerechnet wird wie bei einer Selbstbedienungskasse in Supermärkten, gezahlt mit Karte oder bar. "Das passt ganz gut", ergänzt er mit Blick auf die Ehrlichkeit der Kunden. Allein, inzwischen ist auch der Großhandel für Gastro und Hotellerie wieder angelaufen, sodass das Areal aus allen Nähten platzt und Hafenrichter mit seinen inzwischen acht Mitarbeitern im November an einen neuen Standort in Tulln übersiedelt. Dort soll zu Groß- und Einzelhandel, bei dem die Produktpalette laufend ausgebaut werden soll, auch noch eine Vinothek dazukommen.

Zusätzlich hat sich der Unternehmer im Vorjahr ein weiteres Standbein aufgebaut: Mit einem Franchisekonzept will er überwiegend regionale Lebensmittel und in vom Einzelhandel verwaiste Gemeinden zurückbringen. "Kastlgreißler" nennen sich diese Standardcontainer, in denen ein kleiner Shop mit Selbstbedienung untergebracht ist. "Ich war auch der erste Franchisenehmer", sagt Hafenrichter. Derzeit gibt es drei dieser Containershops mit etwa 500 Artikeln, etwa 15 sollen es künftig werden. "Ich habe noch nie so viel gearbeitet", lässt der 43-Jährige die Corona-Zeit Revue passieren. "Aber es entwickelt sich etwas Tolles."

Fitness ohne Bindung.
Foto: Fit up

Fitness auf professionellem Niveau müsse auch von zu Hause aus möglich sein, dachte Shahab Daban, noch ehe die Pandemie ihren Lauf nahm. Und zwar live. Der 38-jährige Mechatroniker und Informatiker gründete mit dem früheren Kunstturner, heute Physiotherapeut, Catalin Mircan Fit Up – Physiotherapie remote war anfangs die Idee. Der eine brachte das technische Know-how, der andere das sportlich. Allein: Der Andrang zu den Onlinekursen war überschaubar.

Dann kamen die Lockdowns. Fitnessstudios sperrten zu. Für viele kam ein Remote-Studio da wie gerufen. Daban spricht von einem deutlichen Aufschwung, "der glücklicherweise immer noch andauert". Auch einen Investor hat er mittlerweile an Bord. Das Start-up mit Sitz in Linz hat mittlerweile sieben Mitarbeiter, der Großteil beschäftigt sich mit Technik, eben wurden 20.000 Euro in eine Studioeinrichtung investiert, damit Trainer Onlinekurse abhalten können. Je nach Kurs variieren die Kosten zwischen drei Euro und acht Euro pro Einheit. Mitgliedschaften gibt es, aber jede Stunde ist auch bindungslos buchbar.

"Viele Fitnessstudiobetreiber sahen Covid wohl eher als eine kurzfristige Erscheinung an", so Daban, er geht davon aus, dass viele, die ihre Konsumgewohnheiten umgestellt haben, dabei bleiben. Vertragliche Bindungen würden wohl nicht reichen, um Kunden an sich zu binden ist er überzeugt.

Das Handy immer in der Hand, der Unmut darüber führte zu einer Geschäftsidee.
Foto: Imago

Technik spielt auch bei Hold Innovation eine Rolle. Das Start-up eroberte sich mit seinen Handyhalterungen seit fünf Jahren einen Markt. Unternehmen erkannten die "Holds" als Transporteur von Logos oder Sprüchen. Als Give-away bei Events waren die Halterungen in Kreditkartengröße gefragt. Dann kam Corona und das Aus für Events. Das Start-up musste reagieren und entdeckte antibakterielle Tinte für sich.

Damit kann Hold auf seinen Handyhalterungen sterile Aufdrucke anbieten. Das war vor allem zu Beginn der Pandemie wichtig, wegen der damals befürchteten Oberflächenhaftung des Coronavirus. "Das Wichtigste in der Corona-Krise war, dass wir Anpassungsfähigkeit gezeigt haben", sagt Hold-Geschäftsführer Constantin Prosquill.

Auch neue Druckverfahren wurden ausprobiert. Mit Hitzedruck und Folien können die "Holds" nun wie Fotos designt werden. Improvisieren steckt in den Genen des Start-ups. Weil einer Gruppe von Freunden bei der Fußball-WM 2014 das Halten des Smartphones am Nerv ging, begannen sie, sich mit Ideen für eine Halterung zu beschäftigen, die überall hin mitgenommen werden kann. Für die ersten Prototypen musste die Tupper-Ware der Mütter herhalten. Rund zwei Jahre später wurde aus der Idee ein serienreifes Produkt. (Regina Bruckner, Alexander Hahn, Bettina Pfluger, 2.8.2021)