Margarete Schramböck empfängt zum Interview in ihrem luftigen Büro am Stubenring. Die Ministerin will ein gutes Klima für Entrepreneure und Auszubildende schaffen. Beim Klimaschutz ist sie froh, dass sich das Umweltministerium um die Verfahrensbeschleunigung kümmert.

STANDARD: Sie sind Ministerin für Wirtschaftsstandort ...

Schramböck: ... und Digitalisierung!

STANDARD: Bleiben wir beim Wirtschaftsstandort: Was fehlt dem Standort Österreich?

Schramböck: Wir sind gut durch die Krise gekommen. Aber es muss noch einfacher werden, Unternehmer und Unternehmerin zu werden. Die Hälfte der Gründungen sind in Frauenhand, aber es sollten noch mehr sein. Und ich weiß, dass vor allem Familienbetriebe und mittelständische Unternehmen Unterstützung bei der digitalen Transformation brauchen. Genau deshalb haben wir die Investitionsprämie geschaffen. Drittes Thema ist, Österreich attraktiv für Investitionen zu machen, damit Arbeitsplätze geschaffen werden.

STANDARD: Die Investitionsprämie gab es bereits, was wollen Sie im nächsten Halbjahr konkret angehen?

Schramböck: Die digitale Transformation des Mittelstands ist das Thema. Klassische Produktions- oder Handelsbetriebe brauchen im Vertrieb digitale Geschäftsprozesse, den Auf- und Ausbau des E-Commerce.

STANDARD: Wollen Sie die Investitionsprämie verlängern oder neu auflegen? Im Vorjahr nutzten sie vor allem Unternehmen, die bereits Projekte geplant, quasi in der Schublade hatten ...

Margarete Schramböck empfängt in ihrem Büro am Stubenring.
Regine Hendrich

Schramböck: Das war definitiv nicht der Fall.

STANDARD: Doch. Größere Anschaffungen oder Erneuerungsinvestitionen haben teils lange Vorlaufzeiten, das geht gar nicht in ein paar Wochen. Und so üppig war die Prämie nicht.

Schramböck: Das ist definitiv nicht so. 80 Prozent der Projekte sind neue Projekte, nur 20 Prozent wären sowieso gemacht worden. Ich kann das nicht stehenlassen, dass die Prämie nicht so üppig war: Mit fünf Milliarden Euro Liquidität und einem Rahmen von 7,8 Milliarden ist es die größte Einzelmaßnahme, die es seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat.

STANDARD: Für das einzelne Unternehmen war die Prämie mit sieben Prozent der Investitionssumme bzw. 14 Prozent für Digitalisierungsprojekte, Life-Science und Nachhaltigkeit am unteren Ende dessen, was sich die Industrie gewünscht hatte.

Schramböck: Das ist auch nicht richtig. Das Feedback war: Die Investitionsprämie kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Wir sind jetzt bei 243.000 Anträgen und einem Rahmen von 7,8 Milliarden Euro. Wir schätzen, dass circa fünf Milliarden abgerufen werden. Das ist für den Green Deal genau richtig.

STANDARD: Die Frage war, ob eine weitere Maßnahme geplant ist.

Schramböck: Eine Neuauflage wird es nicht geben. Wir wollten den Konjunkturimpuls vorziehen, und jetzt läuft es wieder. Die Entwicklung gibt uns recht: Es wurden aufgrund der Investitionsprämie auch Investitionen und Gelder von ausländischen Konzernmüttern freigegeben. Und da sage ich: Wos ma ham, hamma! Was jetzt hier investiert wird, bringt uns einen Schritt nach vorn, und in zwei Jahren kommt vielleicht eine Folgeinvestition, die wir sonst nicht bekommen würden.

Die Bilder in ihrem Büro hat sie selbst im Archiv ausgesucht.
Regine Hendrich

STANDARD: Wo sehen Sie Schwachstellen des Wirtschaftsstandorts?

Schramböck: Beim Thema Fachkräfte drückt der Schuh am meisten, bei der Ausbildung. Fachkräfte zu haben, um Innovationen vorantreiben zu können, das ist das Thema. Eine Antwort darauf ist die Lehre, aber in Form neuer Wege in der Lehrausbildung. Österreich trennt sehr stark, etwa bei der theoretischen Ausbildung. Nach der Matura geht es an die Universität. In Deutschland ist es üblich, dass nach dem Abitur eine Lehrausbildung gemacht wird. Der CEO von Sanofi hat zum Beispiel zuerst Matura gemacht, danach eine Lehre im Betrieb.

STANDARD: Nach der Matura in die Berufsschule, das ist nicht attraktiv.

Schramböck: Da gibt es etwas Neues, die "Duale Akademie" in Oberösterreich. Das ist eine auf zwei Jahre verkürzte Lehrzeit nach der Matura, mit Auslandsaufenthalt und Abschlussarbeit. Das Besondere: eigene Berufsschulklassen für diese jungen Erwachsenen. Der Fokus liegt auf Ausbildungen wie E-Commerce, Coding, Mechatronik, Großhandel. Ich habe jetzt einen Erlass gemacht, dass dieses duale System in jedem Bundesland mit seinen Schwerpunkten etabliert wird. Und: Die Betriebe denken langsam um. Es muss so sein, dass auch 25- oder 30-Jährige eine Lehre beginnen. Dazu brauchen wir Berufsschulklassen für Erwachsene. Es ist oft tatsächlich uninteressant, mit Jungen zusammenzusitzen, die in der Ausbildung noch nicht so weit sind.

STANDARD: Haben die Betriebe zu hohe Ansprüche? Seit Jahren gibt es ein Jammern und Wehklagen, dass man zu wenige Nachwuchskräfte findet.

Schramböck: Wir haben ein strukturelles Problem. In Deutschland ist es fast üblich, dass man nach der Matura eine Lehre macht und dann das Studium. Die Firmen begleiten da oft bei der Auswahl des Studiums. Das sehe ich als große Chance für Frauen, etwas zu studieren, das in den Betrieben nachgefragt wird: Umweltlehrberufe, Digitalisierung, technische Berufe.

STANDARD: Aber wir brauchen Facharbeiterinnen und Facharbeiter. Mit Studium bin ich schon wieder eine oder zwei Stufen höher.

Den Fachkräftemangel sieht die Ministerin als eine der drängendsten Herausforderungen. Sie will auch Maturanten in die Lehre bringen.
Regine Hendrich

Schramböck: Wir brauchen beides. In Österreich fokussiert man darauf, dass nach der Matura das Studium kommt. Erst danach kommt man in einen Betrieb. Wir lassen aus, dass ich nach der Matura eine Berufsausbildung mit oder ohne Meisterprüfung mache und danach studiere. Wir brauchen viel mehr Flexibilität im System und im Denken – auch bei den Eltern, die die Berufsauswahl mit ihren Kindern treffen. Was es noch braucht: den "Master professional" und den "Bachelor professional", ein Studium, bei dem praktische Ausbildungseinrichtungen oder Firmen an Bord sind. Wir sind gerade beim Einführen.

STANDARD: Wie bringen wir die in der Corona-Krise aufgrund von Homeoffice und Teleunterricht "verlorengegangenen" Auszubildenden mit den Betrieben zusammen?

Schramböck: Wir haben überall mehr offene Lehrstellen als Lehrstellensuchende, nur in Wien nicht. Das Programm "b.mobile" mit zehn Millionen Euro soll junge Menschen unterstützen, von Wien in die Bundesländer zu gehen, um eine Ausbildung zu absolvieren. In Wien war die Arbeitslosigkeit mit 13 Prozent bereits vor Corona doppelt so hoch wie in München, Berlin oder Hamburg. Wir müssen Anreize schaffen, damit die Leute Beschäftigung annehmen. Da war Covid die Chance für einige, sich umzuschulen. Wann, wenn nicht jetzt? Der Topf ist mit 700 Millionen Euro gefüllt.

STANDARD: Die Entrümpelung der Gewerbeordnung, ein jahrzehntelanger Ruf aus der Wirtschaft, ist kein Thema? Arbeit gäbe es genug, Multigewerbescheine, die viel kosten ...

Schramböck: Ich kenne die Kritik und höre das auch. Aber das ist nicht ungefährlich. Deutschland hat 15 bis 20 Gewerbe aufgehoben und zu freien Gewerben gemacht. Der Effekt war, dass es keine Bewerber für die Lehre mehr gab und die Qualität dramatisch hinuntergegangen ist. Das heißt: Die Strenge des Systems führt dazu, dass sich die Leute für einen Beruf – ob Floristin oder Automechaniker – ausbilden lassen. Hauptsache, die Leute haben eine duale Ausbildung. Unser duales System führt dazu, dass die Leute viel besser ausgebildet und abgesichert sind. In Frankreich oder Italien ist die Jugendarbeitslosigkeit viel höher als bei uns. Deshalb ist es mir viel wichtiger, dass die Lehrberufsausbildung modernisiert wird. Digitalisierung und soziale Kompetenz, da muss jeder Beruf fit sein.

STANDARD: Welche Lehrinhalte flogen raus?

Sie haben nichts gegen den Verbrennungsmotor, aber gegen das CO2, das hinten rauskomme sagt sie.
Foto: Regina Hendrich

Schramböck: Falls es zehn Jahre in Folge keine Interessenten für einen Lehrberuf gibt, wird dieser gestrichen. Wir schaffen aber auch neue, wie etwa Umwelttechnik, Recycling-Management, Chocolatier – alles Berufe, die sehr interessieren. Über die Lehrinhalte entscheiden die Fachgruppen mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern. Wir regeln das dann per Verordnung. Jeder Lehrberuf wird alle fünf Jahre überarbeitet.

STANDARD: Stichwort Umwelt: Der Aufschrei war groß, weil uralte Straßenbauprojekte hinterfragt, evaluiert werden. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die ÖVP als steinzeitliche Klimaschutzverhinderer dasteht?

Schramböck: Ganz und gar nicht. Da sind wir weit davon entfernt. Die ökosoziale Marktwirtschaft, die öko und sozial enthält, ist bei uns seit den 1980ern Programm. Wir müssen beides schaffen: Umwelt schützen und Arbeitsplätze erhalten. Es ist nicht von Gott gegeben, dass Europa immer weit vorn sein wird. Das geht nur, wenn Innovation vorangetrieben wird, Erfindungen und neue Entwicklungen stattfinden. Ohne Technologie und Innovation gibt es keinen Klimaschutz. So einfach ist das. Probleme werden wir mit Erfindungen lösen können. Dabei nutzen wir Innovationen, die aus den Betrieben kommen. Tun wir doch bitte nicht so, als hätten wir in der Politik den Klimaschutz erfunden! Das machen die Familienbetriebe längst, die denken in Generationen.

STANDARD: Wir werden konkrete Ziele brauchen. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler will aus dem Verbrennungsmotor aussteigen.

Schramböck: Ich habe nichts gegen den Verbrennungsmotor, aber gegen das CO2, das hinten rauskommt. Das Ergebnis wird eine Kombination sein, eine Technologie für alles wird es nicht geben. Der Elektromotor für schwere Zugmaschinen funktioniert ja nicht. Wir müssen Technologie-offen sein. Die Schlüsselfrage ist ja, wie sauber die Energie ist, aus der Strom und Wasserstoff gemacht wird.

Beim Klimaschutz ist Schramböck froh, dass sich das Umweltministerium um die Verfahrensbeschleunigung kümmert.
Regine Hendrich

STANDARD: Alle wollen Strom aus Windkraft, aber niemand will das Windrad vor der Haustür.

Schramböck: Deshalb ist es gut, dass das Umweltministerium die Umweltverfahren beschleunigen will. Es geht um eine angemessene Geschwindigkeit beim Ausbau von Wasser- oder Windkraft und darum, dass nicht alles bis ins Unendliche hinausgezögert wird. Das konnten sich auch Generationen vor uns nicht leisten. Es geht nicht um ein Drüberfahren über die Bürger, aber die Verfahren dauern zehn, 15 Jahre, das ist schlecht für den Standort. Wir brauchen Infrastrukturprojekte.

STANDARD: So lang dauern Verfahren nicht. Der letzte von der damaligen Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) vorgelegte UVP-Bericht ergab, dass die eingereichten Pläne oft mangelhaft, unvollständig waren oder verändert wurden – das hat bei Flughafen und Lobautunnel gleichermaßen viel Zeit gekostet.

Schramböck: Ja, es ist ein Problem, dass sich der Staat und die involvierten Behörden nicht an die Fristen halten, die im UVP-Gesetz vorgesehen sind. Das Schlimmste für den Standort ist keine Entscheidung. Ein Nein ist auch eine Entscheidung, dann wird es andere Varianten geben. Aber es braucht Klarheit. (Luise Ungerboeck, Regina Bruckner, 14.8.2021)