Joe Biden ist sich treu geblieben. Niemand wird behaupten, er habe unter dem Druck seiner Kritiker die Richtung geändert. Warum die US-Soldaten Afghanistan zwanzig Jahre nach dem Einmarsch wieder verlassen, dafür hat er zwei Tage nach der kompletten Machtübernahme durch die Taliban überzeugende Argumente geliefert.

US-Präsident Joe Bidens Hoffnung, die Segel in Afghanistan halbwegs geordnet zu streichen, hat sich nicht erfüllt.
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Biden hat recht, wenn er sagt, eine fremde Streitmacht könne kein Land verteidigen, dessen eigene Armee dieses Land nicht verteidigen könne oder wolle. Er hat recht, wenn er argumentiert, er könne Amerikanern in Uniform nicht guten Gewissens befehlen, sich in einem Bürgerkrieg fern der Heimat aufzureiben. Er hat recht, wenn er betont, es könne nicht die Aufgabe des Westens sein, am Hindukusch eine zentralisierte Demokratie zu schaffen. Letzteres ist, noch einmal auf den Punkt gebracht, die Antwort auf die Hybris eines George W. Bush, der es seinerzeit anders sah.

Was man Biden gewiss nicht vorwerfen kann: dass er erst spät zu solchen Erkenntnissen gelangt. Schon 2009 gehörte er zu den Skeptikern, als sein Chef, Präsident Barack Obama, eine Truppenaufstockung anordnete, mit Enddatum versehen, sodass es schon damals wie eine eher lästige Pflichtübung wirkte.

Obama, der den Einsatz in Afghanistan im Wahlkampf als den richtigen bezeichnete, während er den im Irak als den falschen charakterisierte, handelte vor allem aus innenpolitischen Gründen. Von den Republikanern angefeindet, wollte er sich nicht nachsagen lassen, er sei ein Pazifist, der es grundsätzlich ablehne, auf militärische Mittel zu setzen. Biden, der Senatsveteran, der sich derartige Vorwürfe nie anhören musste, verlor die Strategiedebatte im Weißen Haus, woraus er nie ein Geheimnis machte.

Steilvorlage

Die damalige Niederlage verleiht ihm heute Glaubwürdigkeit. Zu Recht kann er anführen, dass er mit seiner Entscheidung nach festen, durch schmerzhafte Erfahrungen geformten Überzeugungen handelt. Und dass es Donald Trump war, der den Deal mit den Taliban aushandelte? Der die Steilvorlage für den Durchmarsch der Islamisten lieferte, weil er keine nennenswerten Gegenleistungen verlangte und die Regierung in Kabul nie ernsthaft einbezog in die Gespräche? Es hinderte Biden nicht daran, an der Vereinbarung festzuhalten. Einfach deshalb, weil er sich mit seinem Vorgänger, so scharf er bisweilen gegen ihn polemisierte, in diesem Punkt einig ist: Zu dem, was er wie Trump endlose Kriege nennt, ist Amerika nicht mehr bereit.

Kein US-Präsident, der den Rückzug befiehlt, wird von seinen Wählern dafür bestraft. Man kann es "America First" nennen oder die neue Bescheidenheit einer ernüchterten Supermacht: So bald dürfte sich an der politischen Großwetterlage nichts ändern – auch nicht unter dem Eindruck eines blamabel organisierten Abzugs.

Bidens Hoffnung, die Segel in Afghanistan halbwegs geordnet zu streichen, hat sich nicht erfüllt– im Gegenteil. Die schrecklichen Bilder aus Kabul lassen an der Kompetenz des Pentagons, des State Department, der Geheimdienste, seiner Regierung insgesamt zweifeln. Dafür muss er als Commander-in-Chief die Verantwortung übernehmen. Dass Biden es allenfalls halbherzig tut, eigene Fehler nicht wirklich eingesteht, lässt ihn merkwürdig uneinsichtig wirken, fast schon abgehoben. Natürlich ist er nicht allein schuld an dem Debakel. Aber etwas mehr Demut wäre schon angebracht. (Frank Herrmann, 17.8.2021)