Eigentlich ist es ja eine Frechheit. Denn Eva Michailowitsch sah in etwa so müde und ausgelaugt aus wie Normalos nach einem Fünf-Kilometer-Lauf. Oder viel eher: wie Normalos vor einem Spazierlauf.

Nur: Die Grazerin hatte, als ich Sonntagabend mit ihr videoplauderte, gerade 50 Kilometer abgespult. Zu Fuß, versteht sich, laufend. Und damit nicht genug: Vor diesen 50 Kilometern waren 14 nicht weniger intensive Tage gelegen: Der Sonntag war der 15. Tag der West-Ost-Österreich-Durchquerung der Trail- und Ultraläuferin.

Am 6. August war Michailowitsch in Vorarlberg, am Rhein, losgelaufen – und wenn alles glattgeht, wird sie diesen Donnerstag im Burgenland ankommen. Am Sonntag war sie bis Maria Anzbach gekommen, saß jetzt bei einem Bekannten auf der Couch, freute sich auf die Wien-Etappe am Montag – und war ein bisserl unsicher, ob sie wegen des doch näherkommenden Endes ihrer Langstrecke glücklich oder traurig sein sollte.

Thomas Rottenberg

Ich kenne Eva nicht persönlich. Sie schrieb mir irgendwann Ende Juli und fragte, ob ich sie auf ihrer Wien-Etappe begleiten wolle. Klar wollte ich – nur ging es sich diesen Montag dann einfach nicht aus.

Während Eva lachend sagte, dass mit das Schöne an so einer Reise sei, dass man rasch vergesse, welcher Wochentag gerade sei, ist es bei mir genau umgekehrt: Der Montag ist der intensivste Tag meiner Woche. Schade. Also erzählte sie mir Sonntagabend per Video von sich und diesem Lauf: etwa über die Motivation, sich "so etwas" anzutun. Über die Vorlage, die USA-Durchquerung von US-Kult-Trailläufer Rickey Gates. Der hat ja nicht nur jede Straße seiner Heimatstadt San Francisco belaufen, sondern auch die USA komplett durchquert ("Transamericana" ) – und dabei, nach eigenen Worten, nicht nur seine Heimat, sondern auch sich selbst ganz neu wahrzunehmen gelernt.

Thomas Rottenberg

Wir plauderten auch über Training, Pace und Vorbereitung. Über Logistik und Menschen, die einen am Rad hin und wieder begleiten oder daheim als Navigierhilfe auf Abruf bereitstehen, wenn die Landschaft plötzlich nicht mehr zu dem passt, was die Navi-App behauptet. Wir plauderten auch über Stöcke beim Laufen und die Unverzichtbarkeit von gutem Kaffee.

Aber vor allem über die Bilder und die Menschen, auf die man bei so einer Reise trifft. Darüber, wie offen und freundlich die meisten Menschen reagieren, wenn man mit einem Lächeln auf sie zugeht.

Und auch ein bisserl über das komische Gefühl zwischen Euphorie und Trauer, wenn ein Projekt, eine Reise, sich dem Ende nähert.

DER STANDARD

Ich war – bin – beeindruckt.

Ja eh, natürlich auch von der Mega-Leistung.

Aber vor allem von Evas Zugang: Ob das andere – egal ob Männer oder Frauen – schon vor ihr gemacht haben? Ob sie schneller als irgendwer sein wollte? Ob sie der Welt irgendetwas zeigen oder beweisen wollte?

Eva lachte: Nein, sagte sie dann, sie habe einfach irgendwann diese Idee gehabt. Die sei zu einem kleinen Traum geworden.

Und Träume sind dazu da, sie wahr zu machen. (Thomas Rottenberg, 24.8.2021)

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