Sofia – Die sozialistische Partei beginnt am Sonntag als drittstärkste politische Kraft in Bulgarien Beratungen zur Regierungsbildung. Das ist der dritte und letzte Anlauf im Rahmen der jetzigen Volksversammlung, die bei vorgezogenen Wahlen am 11. Juli gewählt wurde. Die Kräfteverhältnisse im stark zersplitterten Sechs-Parteien-Parlament in Sofia lassen jedoch keine Möglichkeit für eine Regierungsmehrheit zu.

Zwei gescheiterte Versuche bereits

Die Sozialisten haben den Regierungsauftrag von Präsident Rumen Radew am Freitag bekommen. Zuvor entschied sich der Wahlsieger "Es gibt so ein Volk" (ITN) kurzfristig, auf die Regierungsbildung zu verzichten. Die populistische Formation des TV-Showmasters Slawi Trifonow wollte zunächst trotz ihrer hauchdünnen Mehrheit von 65 Abgeordneten im 240-köpfigen Parlament keine Koalition bilden, sondern eine Minderheitsregierung aufstellen. Da sie entgegen den Erwartungen dafür keine Unterstützung bekam, zogen die Populisten ihre Ministerliste noch vor der Abstimmung im Parlament zurück.

Laut Verfassung bekam dann die zweitstärkste Parlamentskraft den Zuschlag. Die abgewählte Mitte-Rechts-Partei GERB des Langzeit-Ministerpräsidenten Bojko Borissow hatte jedoch bereits nach der Wahl erklärt, dass sie den Regierungsauftrag umgehend zurückgeben würde, weil sie politisch isoliert ist. So entschied sich der Präsident, der vor fünf Jahren von der sozialistischen Partei in das höchste Amt im Staat gehievt worden ist, die drittstärkste Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen.

Schlechte Aussichten

Die Aussichten auf einen erfolgreichen Ausgang der am Sonntag begonnenen, einwöchigen Verhandlungen sind jedoch mehr als spärlich. Die populistische ITN erklärte bereits, dass sie den "ehemaligen Kommunisten" ihre Unterstützung verweigere, weil sie eine Minderheitsregierung der ITN ebenfalls nicht unterstützt hätte. Die Sozialisten ihrerseits wollen mit GERB erst gar nicht verhandeln. Somit ist es rein rechnerisch nicht möglich, eine Mehrheit zu bilden, denn ITN und GERB haben zusammen 128 Abgeordnete im 240-köpfigen Parlament.

Auch Sozialistenchefin Kornelia Ninowa hat schlechte Chancen auf eine Regierungsbildung.
Foto: EPA/VASSIL DONEV

Die bürgerliche Koalition "Demokratisches Bulgarien" und das ideologisch schwer einzuordnende Protestbündnis "Stehe auf" mit jeweils 34 und 13 Abgeordneten erklärten daraufhin, dass die Verhandlungen der Sozialisten keinen Sinn mehr ergäben. Die sechste Parlamentskraft, die wirtschaftsliberale Türkenpartei DPS, hält sich derzeit mit Kommentaren zurück.

Dennoch ist die sozialistische Partei gewillt zu versuchen, eine Regierung auf die Beine zu stellen. "Wenn es sich als unmöglich erweist, werden wir den Regierungsauftrag spätestens am 15. September zurückgeben", sagte Sozialistenchefin Kornelia Ninowa vor Beginn der Verhandlungen.

Pattsituation

Somit befindet sich das EU-Land Bulgarien nach den regulären Parlamentswahlen im April und den vorgezogenen Neuwahlen im Juli an der Schwelle einer dritten Wahl im Rahmen eines Kalenderjahres. Die Trennlinien in der bulgarischen Politik sind unverändert geblieben: Drei Anti-Establishment-Parteien – ITN, "Demokratisches Bulgarien" und "Stehe auf" – gegen die abgewählte Mitte-Rechts-Partei GERB des langjährigen Ministerpräsidenten Borissow, dem man korrupte Amtsführung vorwirft, und die in Bulgarien seit der Wende stark umstrittene Türkenpartei DPS, die immer wieder als Fädenzieher hinter den Kulissen vermutet wird.

Die Pattsituation droht sich auch nach nächsten Parlamentswahlen im Herbst zu wiederholen. Soziologen warnen jedoch vor zu voreiligen Schlüssen mit dem Hinweis, dass sich bis zu den nächsten vorgezogenen Wahlen viel ändern kann.

Die vierte Corona-Welle hat inzwischen auch Bulgarien erreicht. Wegen der politischen Krise seit dem Frühjahr hat Bulgarien seinen Corona-Wiederaufbauplan der EU-Kommission noch nicht vorgelegt. Angesichts der Afghanistan-Krise erwartet das Land einen steigenden Migrationsdruck an der EU-Außengrenze zur Türkei.

Meinungsumschwung

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts MarketLinks ergab, dass die populistische Partei ITN stark Vertrauen abbaut und mit lediglich 15,7 Prozent als drittstärkste Kraft ins nächste Parlament einziehen würde, wären am Sonntag Wahlen. Am 11. Juli hatte die Formation mit 24,8 Prozent die Wahl gewonnen. Sieger wäre nun aber die GERB mit 21,6 Prozent, die somit ihr Ergebnis von April und Juli fast wiederholen würde. Mit 16,5 Prozent würde das bürgerliche Bündnis "Demokratisches Bulgarien" zweite politische Kraft werden.

Mögliche Doppelwahl

Für den Ausgang der nächsten Wahl spielen nicht nur die veränderten Einstellungen der Wähler in Bulgarien eine Rolle, sondern auch der Umstand, dass im Herbst auch der nächste Präsident gewählt wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass im November Parlament und Präsident gleichzeitig bestimmt werden.

Dies wollte Staatschef Radew, der um ein zweites Mandat kämpfen wird, vermeiden, da er befürchtet, dass sein Wahlkampf im Rennen um das Parlament untergehen wird. Zudem sind seine Gegner noch nicht bekannt, da die übrigen Parteien mit ihren Nominierungen zögern und die Lösung der Regierungskrise abwarten wollen.

Als Zeichen der Nervosität deuten politische Beobachter in Bulgarien die Vorwürfe des Präsidenten, dass die Parteien nicht bereit seien, die politische Verantwortung zu übernehmen und eine Regierung zu bilden. "Die Politik wird abgestraft", warnte Radew im Hinblick auf die sich abzeichnenden Neuwahlen. (APA, 29.8.2021)