Die Lage des kugelförmigen Hohlraums in der Milchstraße. In der Vergrößerung sind die Perseus- und Taurus-Molekülwolken blau bzw. rot markiert.
Foto: Alyssa Goodman / Center for Astrophysics | Harvard & Smithsonian

Manchmal hilft es, sich einen Sachverhalt in drei Dimensionen vorzustellen. Das zeigte nun auch ein Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Wien: Bei der Erstellung dreidimensionaler Karten der interstellaren Materie in der Milchstraße haben die Forschenden einen riesigen Hohlraum entdeckt. Das kugelförmige Gebilde hat einen Durchmesser von fast 500 Lichtjahren. Wie sie im Fachjournal "Astrophysical Journal Letters" berichten, könnte der Hohlraum durch Sternenexplosionen – Supernovae – entstanden sein. An seiner Oberfläche entstehen wieder neue Sterne.

Während der Raum zwischen den Sternen meist leer ist, finden sich in manchen Regionen des Alls riesige Gaswolken, wo sich aufgrund der dort vorherrschenden Materiedichte und Temperatur Moleküle und in weiterer Folge Sterne bilden können. Auch bei den Molekülwolken in den Sternbildern Perseus und Taurus handelt es sich um solche stellare Kinderstuben mit zahlreichen neu gebildeten Sternen. Diese Wolken zählen mit einer Entfernung zur Erde von mehr als 400 Lichtjahren zu den nächstgelegenen großen Sternentstehungsregionen.

3D-Karte der Milchstraße

Die Perseus- und Taurus-Molekülwolken wurden in der Vergangenheit als Teil des sogenannten Gouldschen Gürtels identifiziert, einer großräumigen Ansammlung junger Sterne und Sternentstehungsgebiete. Erst im Vorjahr hat der Astrophysiker João Alves von der Uni Wien gemeinsam mit Forschenden der Harvard University herausgefunden, dass die Molekülwolken Teil einer riesigen, gashaltigen Struktur ober- und unterhalb der galaktischen Scheibe sind. Bei dieser "Radcliffe-Welle" handelt es sich um eine wellenförmige Struktur im lokalen Arm der Milchstraße.

Die Forschenden haben nun für ihre Arbeit Daten des europäischen Weltraumteleskops Gaia ausgewertet, das präzise die Position, Entfernung und Bewegung von Sternen vermisst. So konnten sie eine detaillierte 3D-Karte der interstellaren Materie in der Milchstraße erstellen. In der neuen Studie des US-amerikanischen Center for Astrophysics, an der auch Alves beteiligt war, wurden die Perseus- und Taurus-Molekülwolken mit Hilfe der Gaia-Daten zum ersten Mal in 3D kartiert.

Zwei Entstehungstheorien

In früheren, auf zwei Dimensionen beschränkten Bildern der Wolken sei nie deren wahre Form, Tiefe oder Dicke zu erkennen gewesen, betonen die Forschenden. "Jetzt wissen wir, wo sie mit einer Unsicherheit von nur einem Prozent liegen, was es uns ermöglicht, diesen Hohlraum zwischen ihnen zu erkennen", erklärte Catherine Zucker vom Center for Astrophysics, einer gemeinsamen Einrichtung des Smithsonian Astrophysical Observatory und des Harvard College Observatory. Zudem zeigte sich, dass an der Oberfläche des riesigen Hohlraums hunderte Sterne neu entstehen oder bereits existieren.

Die Fachleute haben zwei Theorien, wie der Hohlraum entstanden sein könnte: "Entweder ist eine Supernova im Kern dieser Blase explodiert und hat Gas nach außen gedrückt, um sie zu bilden, oder eine Reihe von Supernovae, die sich über Millionen von Jahren ereignet haben, haben sie im Laufe der Zeit geschaffen", sagt Studienleiter Shmuel Bialy vom Center for Astrophysics.

Tod und Geburt von Sternen

Das Forschungsteam geht davon aus, dass die Perseus- und Taurus-Molekülwolken keine unabhängigen Strukturen im Weltraum sind, sondern aus derselben Supernova-Schockwelle entstanden. "Dies zeigt, dass der Tod eines Sterns durch eine Supernova eine Kette von Ereignissen auslöst, die schließlich zur Geburt neuer Sterne führen kann", sagt Bialy.

Mithilfe der nun erstmals zur Verfügung stehenden echten – und nicht simulierten – 3D-Ansichten der Molekülwolken können Fachleute ihre verschiedenen Theorien über die Bildung neuer Sterne aus dem Gas überprüfen. "3D verändert alles, es ist eine sehr aufregende Zeit für uns Astrophysiker", sagt Alves. (APA, red, 22.9.2021)