Es würden Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes ausgelotet "und sogar gefunden", berichteten die Spitzen der Grünen und FPD nach dem ersten Treffen.

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Grüne und Liberale werden nach der Wahl zu den "Kanzlermachern": Sie können entweder mit der SPD oder der Union eine Koalition eingehen.

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Berlin – Nach der deutschen Bundestagswahl haben die Spitzen von Grünen und FDP überraschenderweise schon am Dienstag erste Vorgespräche über eine gemeinsame Regierungsbeteiligung geführt. Details zu den Themen wurden nicht bekannt, jedoch wollen die beiden Parteien am Freitag weiterverhandeln, wie es in einer Stellungnahme hieß.

Erst dann sollen Gespräche mit der SPD und der CDU/CSU folgen, wobei die FDP zuerst am Samstag mit den Unionsparteien sprechen will und dann erst mit den Sozialdemokraten am Sonntag. Vonseiten der Grünen hieß es, man wolle ebenfalls am Sonntag erste Gespräche mit der SPD führen. Wie genau der Zeitplan für das Wochenende aussieht, war bisher unklar. Die Union habe ihre Partei für die kommende Woche zu Gesprächen eingeladen, so Baerbock. Schließlich gebe es einen "klaren Auftrag für eine Erneuerung", sagte die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock.

Baerbock und ihr Co-Parteichef Robert Habeck trafen sich zuvor mit FDP-Chef Christian Lindner und FDP-Generalsekretär Volker Wissing. Alle vier posteten auf Instagram ein Foto des Quartetts und schrieben dazu: "Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten."

Erklärtes Ziel von Grünen und FDP ist die Einigung auf Grundlinien einer Zusammenarbeit, die als Voraussetzung für einen "Neustart" der Regierungspolitik dienen soll. Erst später wollen beide mit der Partei eines möglichen Kanzlers sprechen.

Die Grüne Jugend forderte Baerbock und Habeck zu einer klaren Ablehnung einer Koalition mit der Union auf. "Eine Jamaika-Koalition mit der Union würde die Grüne Jugend nicht mitmachen", sagte der Sprecher der Jugendorganisation, Georg Kurz, der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom Mittwoch. "Wir können auf keinen Fall die Partei, die explizit abgewählt wurde, zurück ins Kanzleramt hieven."

SPD sieht Gemeinsamkeiten in Ampelkoalition

SPD-Kanzlerkandidat Scholz hat eindringlich für eine Ampelkoalition mit den Grünen und der FDP geworben. "Da passt was zusammen, wenn man das zusammenbringen will", sagte er am Dienstagabend. "Es kann eine Regierung sein, wo drei Parteien zusammenkommen, die unterschiedliche, aber mit Überschneidungen versehene Fortschrittsideen haben." Mit den Grünen sah er eine Gemeinsamkeit im Aufhalten des menschengemachten Klimawandels, mit der FDP haben man Überschneidungen in der Frage der Bürgerrechte und bei der Modernisierung des Landes, erklärte Scholz beim Spätsommerfest der Parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion in Berlin. Laut Regierungssprecher Steffen Seibert gratulierte ihm die Kanzlerin Angela Merkel bereits am Montag "zu seinem Wahlerfolg".

SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans warnte unterdessen FDP und Grüne vor einer Jamaika-Koalition mit der Union. "Mit CDU/CSU würden sich Grüne und FDP einem Partner zuwenden, der in Selbstbeschäftigung und Ringen um Machterhalt um jeden Preis gefangen ist. Für ein Signal des Aufbruchs wären CDU und CSU ein Totalausfall", sagt Walter-Borjans dem "Handelsblatt".

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ging auf die Kämpfe in der Union nach dem Wahldebakel von CDU/CSU ein. "Natürlich macht die Unionsfraktion jetzt schwere Stunden durch", sagte Mützenich. Wichtig sei aber, dass das Parlament dann auch über eine Opposition verfüge. "Das Land gehört nicht einer CDU/CSU", so Mützenich. Das Land gehöre den Bürgerinnen und Bürgern, die Scholz gewählt hätten. Am Mittwoch stellt sich Mützenich den 206 Abgeordneten der neuen SPD-Fraktion zur Wiederwahl. Erwartet wird ein sehr gutes Ergebnis.

Unionsfraktionschef Brinkhaus "kein Platzhalter" für Laschet

Der wiedergewählte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus geht davon aus, dass Armin Laschet nicht Fraktionsvorsitzender werden will, sollte die Union in der Opposition landen. "Armin Laschet wird bestimmt nicht als Fraktionsvorsitzender kandidieren, wenn wir in die Opposition gehen", sagte Brinkhaus am Dienstagabend in den ARD-"Tagesthemen". "Insofern bin ich kein Platzhalter und fühle mich auch nicht so." Brinkhaus war am Abend mit 85 Prozent der Stimmen in der Unionsfraktion wiedergewählt worden – allerdings nur bis Ende April und nicht wie üblich für ein Jahr. Stattdessen werde sich Laschet um die Partei kümmern, sollte die Union nicht regieren, erklärte Brinkhaus. "Als Parteivorsitzender ist man dann ganz gut beschäftigt."

Sollte die Union nach ihrer Wahlniederlage tatsächlich in die Opposition gehen müssen, wäre der Fraktionsvorsitz der wichtigste Posten, der übrig bliebe. CDU und CSU seien einander einig, dass man Grünen und FDP nun Gespräche über eine Jamaika-Koalition anbieten wolle, sagte Brinkhaus in den "Tagesthemen". Klar sei, dass die Union nach der Niederlage gegen die SPD keine Ansprüche erheben könne. Aber eine Jamaika-Koalition sei neben der Ampel aus SPD, Grünen und FDP weiterhin eine Option.

Eine deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland würde allerdings einen Rücktritt des gescheiterten Unions-Kanzlerkandidaten Laschet von allen seinen politischen Ämtern begrüßen. Demnach sprechen sich 68 Prozent dafür aus, wie aus einer am Mittwoch veröffentlichten Yougov-Umfrage hervorgeht. 13 Prozent lehnen das ab. Laschet ist CDU-Chef und Ministerpräsident des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Die CDU/CSU war bei der Bundestagswahl auf den historischen Tiefpunkt von 24,1 Prozent gestürzt. Die SPD wurde mit 25,7 Prozent stärkste Kraft.

FDP: Jamaika "noch nicht vom Tisch"

Nach Worten von FDP-Fraktionsvize Michael Theurer ist eine Jamaika-Koalition jedoch "noch nicht vom Tisch". Parteichef Lindner habe zuletzt deutlich gemacht, dass die Liberalen eine Präferenz für ein solches Bündnis haben, sagt Theurer Mittwochfrüh im Deutschlandfunk. Ferner schließe er nicht aus, dass es zu einer Fortsetzung der großen Koalition "unter umgekehrten Vorzeichen" komme. Theurer fordert für die Gespräche mit den anderen Parteien Vertraulichkeit. Es dürfe – anders als in den Koalitionsverhandlungen vor vier Jahren – nicht dazu kommen, dass Wasserstandsmeldungen öffentlich gemacht werden. (APA, 29.9.2021)