Das Eiserne Tor, imposantes Donau-Durchbruchstal zwischen Serbien und Rumänien, galt lange Zeit als gefährlich und zugleich als reizvoll.
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Fast 500 Seiten stark ist die "Donau-Anthologie der anderen Art", die die beiden Germanistinnen Edit Király und Olivia Spiridon 2018 unter dem schlichten Titel "Der Fluss" zusammengestellt haben. Darin findet man Auszüge aus zahllosen literarischen Texten über die Donau, geordnet nach Themen wie Quelle, Brücken, Hochwasser, Krieg, Überquerungen oder Grenzen. Hier wird deutlich: Die Donau hat nicht nur geografisches, sondern auch kulturelles Gewicht.

Die Donau ist mit 2857 Kilometer Länge nach der Wolga der zweitlängste Fluss in Europa und entwässert große Teile Mittel- und Südosteuropas. Sie durchfließt oder berührt zehn Staaten, so viele wie kein anderer Fluss der Erde. Sie ist eine der ältesten europäischen Handelsrouten, war Bindeglied des großen Habsburgerreichs und Teil des Eisernen Vorhangs der Ostblockstaaten. Politische Spannungen und Kriege behinderten den Austausch über die bedeutende Wasserstraße zeitweise.

Literatur, Fotografie und Film als Quelle

Das Material der Donau-Anthologie war so reichlich, dass die Idee für ein größeres Forschungsprojekt reifte, in dem nicht nur Literatur, sondern auch Fotografie und Filme zur Donau untersucht werden. Wie definieren sich kulturelle Selbstverständnisse über den Bezug zur Donau? Wie unterscheiden sie sich zwischen den Ländern, Kulturen und Sprachräumen, und wie verändern sie sich über den Lauf der Zeit? Diese Fragen analysiert das Forschungsprojekt "Die Donau lesen. (Trans-)Nationale Narrative im 20. und 21. Jahrhundert", gefördert vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Das Team ist bewusst transnational und interdisziplinär: Edit Király ist in Budapest aufgewachsen, lebt in Wien und forscht seit langem zur Donau in der Literatur. Olivia Spiridon wurde in Hermannstadt in Rumänien geboren, hat in Passau studiert und arbeitet am Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen. Projektleiter ist der Literaturwissenschafter Christoph Leitgeb vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Ein Fluss – viele Bilder

Der Projektstart im März 2020 fiel mit der Pandemie zusammen, weshalb Reisen in die Donau-Länder zur Archivrecherche lange Zeit nicht möglich waren. Die Recherchen mussten ins Internet verlegt werden. Der aus Südtirol stammende Fotohistoriker Anton Holzer, der im Rahmen des Projekts Fotobücher und Bildpostkarten untersucht, konnte trotzdem aus dem Vollen schöpfen, weil Postkarten im 20. Jahrhundert in großer Zahl im Umlauf waren und online gut auffindbar und erwerbbar sind.

Postkarten prägten das Bild von der Donau – die rote Farbe symbolisiert den Übergang von West nach Ost.
Foto: Anton Holzer

Die Donau war ein beliebtes Motiv. Zu jeder Stadt gab es die passenden Postkarten, die Ansichten vom Fluss in der Stadt "bühnen-haft", wie der Forscher es nennt, montierten. Da in Wien die Donau nicht direkt durch die Stadt fließt, wurde oft kurzerhand der Donaukanal zum Fluss gemacht. Und die Farbe der Donau zu einem leuchtenden Blau stilisiert.

Neben Fotobüchern, die eher touristische Geschichten erzählen, gab es auch welche, die politisch-gesellschaftlich ausgerichtet waren: Nationalsozialistische Bildbände dienten als mediale Begleitung der Expansion nach Südosten oder der "Heim ins Reich"-Bewegung, kommunistische Länder zeigten ihren technischen Fortschritt bei Kraftwerksbauten oder heldenhafte Arbeiter bei der Schilfernte im Delta.

Anton Holzer hatte erwartet, dass es aus jedem Anrainerstaat Fotobücher über die Donau gibt, doch aus einem Land fand er keine: Bulgarien. Der Grund: "Bulgarien ist nicht so sehr nach Norden an die Donau orientiert, sondern nach Osten ans Schwarze Meer."

Fortschritt und Zerstörung

Seit den 1970er- und 1980er-Jahren wird die Donau als Landschaft in der Fotografie breiter gefasst, hat der Fotohistoriker festgestellt. Im Zusammenhang mit Umwelt- und Naturschutzthemen werden auch die Auen, Nebenarme und Zuflüsse thematisiert und neue Blickwinkel eingenommen. Der deutsche Fotokünstler Andreas Müller-Pohle beispielsweise hat die Donau in ihrem gesamten Lauf auf Höhe der Wasseroberfläche fotografiert, also Wasser und Landschaft miteinander verbunden, und in diese Fotos Umweltdaten der Donau eingefügt.

Olivia Spiridon hat neben Spielfilmen und Literaturverfilmungen zur Donau Kleinode entdeckt, die die Entwicklung des Films und des Transportwesens gleichermaßen dokumentieren: "Jemand, der im Ersten Weltkrieg Pilot war, hat nach dem Krieg zwischen Stuttgart und dem Bodensee mit dem Flugzeug Pakete geliefert und dabei die Donau gefilmt."

Zwangsweise Absiedelung

Ein besonderes Werk ist auch der Film "Apoi s-a nãscut orașul" ("Danach wurde die Stadt geboren") von 1972, in dem der rumänische Regisseur Constantin Vaeni im staatlichen Auftrag die zwangsweise Absiedlung und Neuerrichtung der Stadt Orșova dokumentieren sollte, die dem Bau des Donau-Kraftwerks "Eisernes Tor 1" weichen musste. Dem Regisseur gelingt es jedoch, durch Kameraführung, Schnitt und Ton auf subversive Weise die brutale Zerstörung und die Trostlosigkeit der neuen Plattenbausiedlung zu zeigen.

Das Eiserne Tor, der Donau-Durchbruch zwischen den serbischen Karpaten und dem Banater Gebirge, war immer wieder Thema von Erzählungen und Bildern. Die Strecke war lange Zeit gefährlich und gleichzeitig sehr reizvoll. Ein beliebtes Motiv und Reiseziel war auch die kleine Insel Ada Kaleh ebendort, die bis 1912 eine übriggebliebene Exklave des Osmanischen Reichs war, mit entsprechenden Bauwerken wie Moschee, Basar und Kaffeehäusern.

Ada Kaleh und fünf weitere Dörfer wurden 1968 ebenfalls zwangsweise abgesiedelt und überflutet. Der Wasserspiegel liegt seither um 35 Meter höher als zuvor. In der Zeit des kommunistischen Ostblocks war die Donau eine "eiserne" Grenze. Vor allem von Rumänien versuchten Menschen, durch den Fluss nach Jugoslawien zu gelangen; viele starben dabei.

Die Donau als Symbol für Sehnsucht: Still aus dem Film "Silent River".
Foto: Olivia Spiridon/Anca Miruna Lazarescu

Der Blick über den Fluss, als Symbol für Sehnsucht und Lebensgefahr gleichermaßen, wurde in Film und Literatur thematisiert. So auch im mehrfach ausgezeichneten Film "Silent River" ("Stille Wasser", 2011) der deutsch-rumänischen Regisseurin und Drehbuchautorin Anca Miruna Lăzărescu.

Der Fluss als Konstrukt

Ob in der Fotografie, im Film oder in der Literatur, Flüsse sind ein Thema, sagt Edit Király, "weil sie die Ordnung des Festlandes aufbrechen, sie bewegen sich, sie verflüssigen die Grenzen. Sie haben immer wieder Anstöße gegeben, sich über sie Gedanken zu machen, denn was ein Fluss kulturell bedeutet, ist ein Konstrukt."

Der Fluss als Metapher hat sich immer wieder verändert. Im 19. und 20. Jahrhundert hatte die Donau ihre Bedeutung als "verbindendes Band" zwischen den Ländern der Donaumonarchie, mit dem man eine Gemeinsamkeit beschwören konnte. Nach 1989 wurde der Fluss, der West- und Südosteuropa durchfließt, oft als europäischer Fluss gesehen.

Mit dem Forschungsprojekt "Die Donau lesen" soll die Vielfalt der Donau-Narrative gezeigt werden; wie sie entstehen, wie sie wandern und in einem anderen Kontext verwendet werden. Ein Beispiel ist das berühmte Gedicht "An der Donau" des bedeutenden ungarischen Lyrikers Attila József. Einzelne Elemente dieses Gedichts wurden in andere Gedichte eingebaut, in denen die Stimmung des Originals gebrochen erscheint.

Narrative

Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy hat sich bei seinem Roman Donau abwärts einen besonderen Spaß daraus gemacht, Zitate und Narrative zur Donau einzubauen und sie zu verbiegen. Edit Király konnte diesen Sommer den seit kurzem in Berlin an der Akademie der Künste aufbewahrten Nachlass Esterházys studieren und anhand seiner Notizen die spannende Genese dieses Romans erforschen.

Christoph Leitgeb beschäftigt sich unter anderem mit dem "Geschichtsfluss Donau": In mehreren literarischen Werken wird eine Reise auf der Donau genutzt, um an historische Ereignisse zu erinnern. Der ungarische Autor Péter Nádas zum Beispiel lässt in seinem monumentalen Werk "Parallelgeschichten" eine Romanfigur mit dem Schiff von Budapest in seine Heimat Mohács fahren. Die Reise führt somit an den Ort der epochalen ungarische Niederlage gegen die Osmanen und gleichzeitig in die Vergangenheit der Figur. (Sonja Bettel, 9.10.2021)