Die dauerhafte Besiedelung des Mars oder anderer Planeten ist freilich nach wie vor Zukunftsmusik. Vielversprechende Forschungserfolge lassen es aber immer möglicher erscheinen, dass sich in der 4,6 Milliarden Jahre langen Geschichte der Erde erstmals ein Zeitfenster eröffnet, den blauen Planeten zu verlassen und andere Himmelskörper dauerhaft zu besiedeln. Weshalb man sich langsam auch Gedanken macht, wer denn dann da oben das Sagen haben könnte. Ein Neubeginn im Weltall bietet schließlich die Möglichkeit, sich neue Formen des Regierens oder Regiertwerdens auszudenken – aber das birgt auch die Gefahr, alte und neue Formen der Unterdrückung zu schaffen. Klarerweise spricht wenig dafür, dass sich die blutige Geschichte der Menschheit samt den unterschiedlichen teils brutalen Herrschaftsmodellen auf einem anderen Planeten wiederholen muss.

Demokratie, Technokratie oder Diktatur: Wie könnte eine Marsregierung eines Tages aussehen?
Illustration: Fatih Aydogdu

Die Frage, die sich zu Beginn stellt, ist: Wer wird überhaupt auf dem Mars leben? Laut einer kürzlich erschienenen Studie zweier polnischer Wissenschafter ist es sehr wahrscheinlich, dass die Besiedelung des Mars vorerst eher den Wohlhabenden vorbehalten sein wird. Denn die private Raumfahrt ist (noch) extrem teuer. Zudem sei es denkbar, dass Menschen unfreiwillig auf dem roten Planeten landen: etwa als Gefängnisinsassen oder als Zwangsarbeiter, die in einer Weltraumkolonie arbeiten müssen. Je nachdem, wie die Aufteilung der Bewohnerinnen und Bewohner auf dem Mars ist, aus welchen Ländern diese kommen, welche Werte sie vertreten und welche Rechte diesen zuerkannt wird, werde sich auch die Herrschaftsform unterscheiden, schreiben die Forscher. So weit, so wenig überraschend. Aber sehen wir uns in einem Gedankenexperiment ein paar Möglichkeiten an:

Technokratie

Es ist davon auszugehen, dass erste Generationen von Siedlern auf neuen Planeten eher technologieaffine Menschen sein werden, schreiben die Forscher in ihrer Studie: Ingenieure, Software-Entwicklerinnen und Mechaniker – gekommen, um zu bleiben und Neues zu schaffen. Nicht zuletzt deshalb halten die Experten die Technokratie für eine sehr wahrscheinliche Herrschaftsform auf dem Mars. Dabei liegt die alleinige Macht in den Händen technisch versierter Experten, die auf Grundlage ihres Spezialwissens regieren. Vereinzelt hatten Regierungen auf der Erde technokratische Elemente, wirklich durchsetzen konnte sich die Idee aber nie.

Immer wieder wird prophezeit, dass bei einer Mars-Technokratie die Regierung mit der Zeit schrittweise schrumpfen würde, sie sich letztlich gar in eine reine Statistikbehörde wandelt, deren Maßnahmen sich rein auf Fakten stützen. Der Fokus läge darin, Technologien weiterzuentwickeln, um das Leben auf dem Mars möglichst angenehm zu gestalten. Maßgeblich beteiligt an der Organisation wären auch jene Weltraumunternehmen, die viele der Aktivitäten auf dem Planeten finanzieren, weshalb sich eine Art Konzernführerschaft auf dem Mars bilden könnte.

Konzernführerschaft

Während die Raumfahrt aufgrund der exorbitant hohen Kosten lange ausschließlich eine Sache für Staaten mit dicken Budgets war, sind es mittlerweile vor allem private Firmen wie Space X, die im Space-Race mitmischten. Die gemeinsam mit der Nasa entwickelten wiederverwendbaren Raketen des umstrittenen Tesla-Gründers Elon Musk etwa drücken die Kosten für Weltraummissionen jetzt schon ungemein.

"Es ist gefährlich, du könntest sterben, es wird ungemütlich, es wird eine lange Reise, das Essen wird nicht gut sein." So bewirbt Musk den Trip für die ersten Entdecker. Für alle, die es überleben, sei es aber ein fantastisches Abenteuer, so Musk. Der Südafrikaner, der auch die kanadische und US-Staatsbürgerschaft besitzt, will schon binnen zehn Jahren Menschen auf Marskolonialisierungsmission schicken. Rund 200.000 US-Dollar sollen die Tickets dafür kosten. Wer es sich nicht leisten kann, für den soll es Kredite oder Jobs auf dem Mars geben, um die Schulden zu zahlen.

Kein irdischer Staat habe Souveränität auf dem Mars, es sei ein "freier Planet", betont Space X. Stattdessen würden die neuen Gesetze allen voran von den Unternehmen selbst bestimmt werden. Nach dieser Logik würden die Mars-Unternehmen auch die entsprechende Infrastruktur auf dem roten Planeten errichten. Gegen ein entsprechendes Entgelt sorgen sie allumfassend für Sicherheit, Gesundheit, Pensionen und die restliche Grundversorgung einer Person. Die digitale Staatsbürgerschaft wird zum künd- und wechselbaren Abo – Premiumvarianten inklusive. Die Konzerne konkurrieren im freien Wettbewerb miteinander. Die anfängliche Abhängigkeit von irdischen Gütern und Dienstleistungen verleiht den Transport- und Logistikunternehmen jedoch eine ungemeine Macht, die in irgendeiner Form reglementiert werden müsste.

Echte Basisdemokratie

Weder die Konzernführerschaft noch die Technokratie würden den künftigen Mars-Bewohnern aber ein effektives, politisches Mitspracherecht einräumen. Für eine Demokratie spricht, dass die ersten Kolonisten aufgrund besserer finanzieller Mittel wohl überwiegend aus reichen Staaten kommen dürften – und damit wahrscheinlich auch vermehrt demokratische Werte und Ansichten auf dem neuen Planeten vertreten.

Besonders die direkte Demokratie wurde von vielen, etwa Musk selbst, als ideale Herrschaftsform auf dem Mars angepriesen. Sie korrumpiere weniger, außerdem sollen Gesetze Ablaufdaten haben, sagt Musk. Einige Utopisten versuchen der Demokratie gar ein basisdemokratisches Mars-Upgrade zu verpassen: Abgestimmt würde per App und Gesichtserkennung. Zudem könnte jede Bürgerin und jeder Bürger neue Ideen vorschlagen und umsetzen, wäre dann zwischenzeitlich von allen anderen beruflichen Pflichten freigestellt.

Allerdings bestünde bei einer direkten Demokratie am Mars auch die Gefahr, dass die Entwicklung am Planeten von einer bestimmten Interessensgruppe, wie beispielsweise Industrievertretern, dominiert wird, schreiben die Forscher der anfangs erwähnten Studie. Diese könnten Gesetze voranbringen, die die übermäßige Ausbeutung des Planeten verursachen, um möglichst hohe Gewinne zu erwirtschaften – der neue Mars-Kapitalismus wäre geboren.

Uno-Herrschaft

Nicht zuletzt deshalb bestünde eine Option darin, den neuen Lebensraum schon von Beginn an unter eine gemeinsame Kontrolle aller Staaten der Erde zu stellen. Diese Kontrollorganisation könnte möglicherweise auch ein Wetteifern, wie man es damals im "Wettlauf um Afrika" erleben musste, unterbinden. Sie könnte als Streitschlichter zwischen den beteiligten Staaten fungieren und Grenzziehungen konfliktfrei organisieren.

Die Uno ist dafür wohl die geeignetste Option, immerhin teilen sich ihre Mitglieder auch auf der Erde fast den gesamten Grund und Boden auf. Ein Uno-Sondergesandter würde, so gut es geht, versuchen, die Interessen der gesamten Menschheit zu vertreten. Weil sich die mächtigsten irdischen Staaten auf ein gemeinsames Vorgehen einigen müssten, wäre ein Alleingang, der nur den Interessen einer Großmacht dient, zumindest in der Theorie schwierig.

Ganz neu sind die Überlegungen freilich nicht. "Es gibt bereits seit vielen Jahren Weltraumverträge auf Uno-Ebene und nationale Weltraumgesetze in ihrer Umsetzung. Dieser Rechtsrahmen regelt auch zukünftige Tätigkeiten von Staaten und Unternehmen auf dem Mars", sagt Ingo Baumann, Experte für Weltraumrecht von der deutschen Fachkanzlei BHO Legal. Wenn Firmen beispielsweise auf dem Mars tätig werden wollen, müssen sie Genehmigungen dafür bei ihren nationalen Behörden einholen. Es gebe kein eigenes Recht für den Mars, weshalb etwa die Vorschläge von Elon Musk für eine selbstbestimmte Marskolonie aus rechtlicher Sicht unsinnig seien. Nach dem Weltraumvertrag könne sich kein Land Territorium auf dem Mars oder einem anderen Planeten aneignen.

Was den Ressourcenabbau betrifft, haben eine Handvoll Staaten national geregelt, dass Firmen, die Ressourcen auf anderen Planeten wie dem Mars abbauen, diese auch behalten und kommerziell verwerten dürfen, sagt Baumann. Viele andere Staaten lehnen dies jedoch mit Verweis auf den Weltraumvertrag ab und fordern, dass diese Frage nur durch die Staatengemeinschaft gemeinsam geregelt werden kann. Die Diskussion auf Uno-Ebene werden dazu noch Jahre andauern, so der Experte.

Militärdiktatur

Unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen ist laut den Forschern der anfangs erwähnten Studie eine Militärdiktatur am Mars. Eine solche würde Mittel benötigen, um die Menschen vor Ort mit Gewalt zu kontrollieren: einen Militärapparat, ausreichend Polizisten und funktionierende Geheimdienste – alles Dienste, die bei den derzeitigen Marsmissionen kaum vertreten sind.

Das Szenario einer Mars-Diktatur wäre freilich nicht unbedingt freudeerweckend: Menschenrechte wären auf dem Planeten dann möglicherweise ausgehebelt oder eingeschränkt, Sklaverei möglicherweise wieder eingeführt und die Rückkehr auf den Planeten Erde wäre verboten. Die Macht des Stärkeren ist aber besonders in einem Machtvakuum ohne schlagkräftige Gegner, wie es anfangs herrschen könnte, ein oft verlockendes Prinzip. Davor gilt es gewarnt zu sein.

Jüngstenrat

Die Geschichte der Erde hat gezeigt: Die alten Regierungschefs, Könige und Staatsoberhäupter sind oftmals zukunftsvergessen. Sie schauen, um ihre Popularität zu wahren und Wahlen zu gewinnen, nicht auf das, was es langfristig wirklich bräuchte. Die Klimakrise ist das beste Beispiel.

Auf dem Mars wird der Spieß umgedreht. Ab 30 darf keiner mehr in die Politik. Mit 14 ist man reif genug mitzugestalten. Die junge Generation sucht sich unter ihresgleichen die klügsten Köpfe für einen gemeinsamen Rat aus, und diese haben – unter Berücksichtigung eines gewissen Über-30-Schutzes à la Minderheitenschutz – die alleinige Macht und versuchen sich an einer Politik, die ihnen auch dann noch ein gutes Leben garantiert, wenn sie selbst nichts mehr zu sagen haben.

Keine Macht für niemand

Warum überhaupt wieder im Vorhinein ein künstliches Konstrukt darüberstülpen, wenn wir doch noch gar nicht wissen, wie sich das Leben auf dem neuen Planeten auf die Menschen auswirkt. Die ersten Siedlungen verschiedener Missionen werden ohnehin nur mau besucht und zudem sowieso etwas verstreut sein. Wenn es in erster Linie darum geht zu überleben, ist der Aufbau demokratiepolitischer Institutionen oder eines Parlaments samt zweier Kammern beziehungsweise ein Geheimdienst vielleicht nicht gerade die dringendste Frage.

Vielleicht sollte das Herrschaftssystem auf dem Mars auch gar nicht von den Menschen auf der Erde ausgedacht werden, sondern erst von den Siedlerinnen und Siedlern auf dem Planeten selbst?

Bis es soweit ist, wird aber ohnehin noch einiges an Zeit vergehen. Es bleibt zu hoffen, dass das dortige System dann bereits aus den Fehlern der menschlichen Geschichte auf der Erde gelernt hat. (Fabian Sommavilla, Jakob Pallinger, 23.10.2021)