Gemeinsam lernt man am besten. Das ist nicht neu. Teamarbeit gehört schon seit langem zu den bewährten Lernmethoden. Bereits in der Volksschule werden bestimmte Themen gemeinsam erarbeitet. Das Schulmodell der Mehrstufenklassen, wo Volksschüler von der ersten bis zur vierten Klasse gemeinsam unterrichtet werden, baut auf dem System des Voneinander- und Miteinanderlernens auf. Gemeinsames Lernen zieht sich wie ein roter Faden durch die Bildungslandschaft. Gemeinsam ein Thema zu bearbeiten gehört an den Hochschulen bereits zum fixen Bestandteil.

Und auch in der Erwachsenenbildung gehört das Voneinanderlernen dazu. MBA-Studierende nennen zu den Benefits des Studiums mehrheitlich, dass sie von den anderen Teilnehmern viel lernen konnten. Gemischte Teams bringen nicht nur hier neue Sichtweisen ein. Das ist die Idee sowohl hinter den Mehrstufenklassen als auch bei MBA-Programmen – so wird auch der Effekt, was man sich gegenseitig beibringen kann, möglichst groß.

Kooperatives Lernen ist aber mehr, als nur voneinander und miteinander zu lernen. Nicht jede Gruppenarbeit fällt unter den Begriff des kooperativen Lernens. Das Bundesinstitut für Erwachsenenbildung (Bifeb) beschreibt kooperatives Lernen "als ein modernes Lernsetting, das nicht nur auf der Vermittlung des Wissens von einer Lehrperson zu Lernenden basiert, sondern das Wissen aller beteiligten Personen nützt. Dies erfordert ein geeignetes Wissensmanagement. Mehrere Lernende arbeiten gemeinsam an einer Aufgabe, die Lehrperson nimmt eine beratende Funktion ein. Das Ziel liegt in der aktiveren Beschäftigung mit dem Inhalt, einer gleichmäßigeren Verteilung der Aktivitäten sowie einer kritischeren Auseinandersetzung mit dem Inhalt aufgrund der verschiedenen Sichtweisen."

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Kooperatives Lernen ist aber mehr, als nur voneinander und miteinander zu lernen.
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Selbstreflexion

Ein wesentliches Merkmal sei demnach die Selbstreflexion in der Gruppe. Kooperatives Lernen fördere soziale und interkulturelle Kompetenzen, aber auch die kommunikativen Fähigkeiten. Anforderungen, die gerade in unserer Wissensgesellschaft immer stärker gefragt sind. Für den Bildungswissenschafter Christoph Helm, Leiter der Abteilung für Bildungsforschung an der Johannes-Kepler-Universität Linz, spielt beim kooperativen Lernen die sogenannte "Ko-Konstruktion" von Wissen eine zentrale Rolle.

Über den Diskurs der Lernenden würden Erfahrungen ausgetauscht und kognitive Konflikte – Meinungsverschiedenheiten, aber insbesondere auch Verständnisschwierigkeiten und Missverständnisse – ausgetragen und geklärt. Danach erfolge eine intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sichtweisen. Das wiederum fördere das Verstehen der bearbeiteten Inhalte. Hier spiele die kognitive Elaboration eine zentrale Rolle. Damit sei die Vernetzung von neuen Konzepten oder Unterrichtsinhalten mit bereits vorhandenem Wissen gemeint.

Höhere Motivation

Die grundlegende Methode für kooperatives Lernen wurde in den 1980er-Jahren vom US-amerikanischen Psychologen Spencer Kagan entwickelt. Nach dem Grundprinzip Think-Pair-Share werden die Unterrichtseinheiten strukturiert. Im ersten Schritt bearbeitet jeder für sich ein Thema, danach gemeinsam mit einigen Kollegen, bevor der Beitrag vor allen präsentiert und reflektiert wird. Unter diesem Grundprinzip gibt es viele Möglichkeiten, wie kooperatives Lernen in der Wissensvermittlung eingesetzt werden kann.

Studien, die die Lernerfolge von kooperativen und konkurrenzorientierten Ansätzen verglichen haben, zeigten bei Lernenden in einer kooperativen Umgebung einen höheren Lernerfolg und eine größere Bereitschaft, dieses Wissen weiterzugeben. Darüber hinaus wurden eine höhere intrinsische Motivation und generell eine positivere Einstellung zum Lernen festgestellt.

Beim kooperativen Lernen werde der Fokus auf die vorliegenden Ressourcen der Lernenden – Vorwissen, Vorerfahrungen, Kompetenzen, Einstellungen etc. – gelegt, ergänzt Bildungsforscher Helm. "Durch gegenseitiges Erklären lernen nicht nur die Empfänger der Erklärung dazu, sondern auch die erklärende Person, da das Geben von Erklärungen kognitive Leistungen auf höherem Niveau erfordert, beispielsweise durch das Finden von guten, anschaulichen Beispielen."

Empirische Erhebungen haben gezeigt, dass kooperatives Lernen zu einem "sinnvollen Lernen" verhelfe. Dadurch würden neue Inhalte nicht nur besser verstanden, sondern auch langfristig behalten, sagt Helm. "Kooperatives Lernen stellt in diesem Sinne eine zentrale Maßnahme von kognitiv aktivierenden Lernumgebungen dar. Und kognitive Aktivierung zählt in der Bildungsforschung zu den drei fundamentalen Merkmalen erfolgreicher Lernumgebungen."

Dieser Text ist am 21. Oktober 2021 im Der Standard Karriere Magazin erschienen.
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Viel Potenzial

Wenn gut angeleitet, dann fördere kooperatives Lernen den Wissenserwerb und den Erwerb sozialer, kommunikativer, demokratischer Fähigkeiten gleichermaßen. "Kooperatives Lernen ist aber kein Selbstläufer", betont Helm. Es brauche die Anleitung durch erfahrene Lehrkräfte. Darüber hinaus sei es für den Lernenden mit einem deutlich höheren Zeitaufwand verbunden. Fehlende oder mangelnde Anleitung und Unterstützung beim Lernen könne Lernende auch überfordern und unerwünschte Wirkungen haben.

Wie stark kooperatives Lernen bzw. kooperative Lernsettings in der Erwachsenenbildung eingesetzt werden, dafür gebe es im deutschen Sprachraum keine belastbaren wissenschaftlichen Studien, sagt Helm. Da aber kooperative Lernsettings wie Gruppenarbeiten und Gruppenpräsentationen eine beliebte Abwechslung zum traditionellen lehrendenzentrierten Vortrag sind, sei anzunehmen, dass diese häufig zum Einsatz kommen.

Positive Einstellung

Die Lernenden selbst müssten, weiß Helm, eine positive Einstellung und Motivation dem kooperativen Lernen gegenüber mitbringen. Darüber hinaus gebe es Forschungsbefunde, die darauf verweisen, dass kooperative Lernformen genauso wie offene und selbstgesteuerte Lernformen eher etwas für Persönlichkeiten sind, die vor einer unsicheren, unstrukturierten, wenig angeleiteten Lernsituation nicht zurückschrecken. Für sehr ängstliche und gewissheitsorientierte Lernende sind kooperative Lernformen demzufolge weniger zielführend. Für Lernende, die gerne autonom und selbstgesteuert lernen und dabei in den sozialen Austausch treten, scheinen die Methoden besonders geeignet.

Die Grundstruktur des kooperativen Lernens ist nach wie vor die gleiche. Die Lernräume haben sich im Laufe der Zeit aber stark verändert. Lernprogramme können individueller und kreativer gestaltet und begleitet werden. Digitale Lernplattformen ermöglichen gemeinsames Lernen zeit- und ortsunabhängig.

Kooperative Lehre

Gerade im vergangenen Jahr wurden viele dieser neuen Möglichkeiten sowohl in der Erwachsenenbildung als auch im Schulunterricht ausprobiert und ausgebaut. Viele Tools zur virtuellen Zusammenarbeit werden bereits angewendet. Und auch Helm sieht in einer virtuellen Umgebung viel Potenzial für kooperative Lernformen. Aktuellen Metaanalysen zufolge zeigte auch computergestütztes kooperatives Lernen große Vorteile für den Lernerfolg. Dies gelte für alle Altersgruppen, Schüler genauso wie Erwachsene. Der Technologieeinsatz an sich mache aber nicht den Unterschied. Die Frage sei vielmehr, wie kooperatives Lernen durch digitale Tools unterstützt werden könne.

Nicht nur beim Lernen wird auf Kooperation gesetzt, auch in der Lehre wird die Zusammenarbeit unterschiedlicher Bildungsinstitutionen und verschiedener Disziplinen immer wichtiger. Die engen Grenzen der Disziplinen verschwimmen zusehends, Vernetzung wird immer wichtiger. Daher sollen Kooperationen in der Lehre weiter gestärkt werden. Als Zeichen der Wichtigkeit ist auch der Ars Docendi zu deuten. Der Staatspreis für exzellente Lehre wird jährlich auch in der Kategorie "Kooperative Lehr- und Arbeitsformen" vergeben. (Gudrun Ostermann, 25.11.2021)