Uwe Mundlos (links), Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt lebten jahrelang im Untergrund und bildeten den NSU. Sie finanzierten den Alltag mit Raubüberfällen auf Banken.

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Demo zum Jahrestag des Prozesses.

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Am 4. November 2011, am Vormittag, betreten im thüringischen Eisenach zwei Männer eine Sparkasse. Sie bedrohen Mitarbeiter, schlagen den Filialleiter und flüchten mit 71.915 Euro. Wenig später entdeckt die Polizei das Wohnmobil, in dem sich die beiden verschanzen. Kurz vor dem Zugriff fallen darin Schüsse. Von Selbsttötung ist später in der Anklageschrift zu einem der größten deutschen Terrorprozesse zu lesen.

Am 4. November 2011 aber ahnen die Ermittler noch nicht, wen sie da vor sich haben. Es sind Uwe Böhnhardt (34) und Uwe Mundlos (37), die gemeinsam mit der damals 36-jährigen Beate Zschäpe die rechtsextreme Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bilden.

Zschäpe ist an dem Tag nicht bei ihren Freunden. Sie steckt in Zwickau (Sachsen) das gemeinsame Wohnhaus in Brand und flüchtet. Im Schutt findet die Polizei Waffen, mit denen zuvor neun Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund ermordet worden waren.

Vier Tage später stellt sich Zschäpe der Polizei. Ab diesem Zeitpunkt werden die Zusammenhänge immer klarer und immer schrecklicher. So schrecklich, dass der damalige Generalbundesanwalt Harald Range später sagt: "Die NSU-Morde sind unser 11. September."

Zwischen 2000 und 2007 starben neun Männer und eine Polizistin, dem NSU werden zudem 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle zur Last gelegt.

Verdacht auf Drogendeals

Doch in Deutschland herrscht nicht nur Entsetzen über die Verbrechen. Viele erschraken, als deutlich wurde, dass die Polizei viel zu lange rechtsextreme Attentate überhaupt nicht in Betracht zog, sondern davon ausging, dass die Opfer in Drogengeschäfte oder organisierte Kriminalität verwickelt waren.

In ganz schlechtem Licht stand nach dem Auffliegen des NSU der Verfassungsschutz, der die Gefahr aus der rechtsextremen Szene nicht sah oder nicht sehen wollte. "Deutlich geworden sind (...) schwere behördliche Versäumnisse und Fehler sowie Organisationsmängel bis hin zum Organisationsversagen bei Behörden von Bund und Ländern vor allem beim Informationsaustausch, Analysefähigkeit, Mitarbeiterauswahl und Prioritätensetzung" – so lautet die Kritik im Abschlussbericht, den der Untersuchungsausschuss des Bundestags 2013 vorlegte.

Es ist auch von einer doppelten Traumatisierung der Angehörigen die Rede. Sie seien "traumatisiert durch die Tat an sich, traumatisiert aber auch durch die darauffolgenden Verdächtigungen und Fehler bei den Ermittlungen".

2012 versprach Kanzlerin Angela Merkel bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des NSU: "Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen."

Doch genau dies ist nach Ansicht vieler nicht ausreichend passiert. Selbst Thomas Haldenwang, der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sagte bei einer Diskussion in Berlin: "Am Ende bleibt dieses sehr, sehr unwohle Gefühl."

Mord nicht mitbekommen

Ermittler treiben vor allem zwei Fragen um: Ist es glaubhaft, dass Andreas Temme, ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, nichts vom Mord an Halit Yozgat mitbekam? Yozgat wurde am 6. April 2006 in seinem Internetcafé in Kassel erschossen, Temme war zum Zeitpunkt der Ermordung ebenfalls in dem Lokal, will aber nichts gehört oder gesehen haben.

Unklar ist auch das Motiv für den Mord an der aus Thüringen stammenden Polizistin Michèle Kiesewetter. Sie wurde 2007 als letztes Opfer in Heilbronn (Baden-Württemberg) regelrecht hingerichtet.

Nicht nur die Angehörigen der Opfer haben noch weitere Fragen: Warum konnte der NSU so lange unentdeckt morden? War das Netzwerk nicht noch viel größer? Wer steckt dahinter?

Jahrelanger Prozess

2013 begann in München der NSU-Prozess. Zschäpe schwieg zunächst zwei Jahre lang, ließ aber dann 2015 eine Erklärung durch ihren Verteidiger verlesen. In dieser bestritt sie, an Morden und Anschlägen beteiligt gewesen zu sein.

2018 wurde sie wegen Mittäterschaft an den Morden und Anschlägen sowie wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu lebenslanger Haft verurteilt. Gegen vier mitangeklagte Männer ergingen Urteile wegen Beihilfe.

Und über allem schwebt nach wie vor eine Frage: Könnte so etwas noch einmal passieren? Verfassungsschützer Haldenwang findet zwar auch, man könne die Zusammenarbeit der Behörden noch verbessern. Doch er sagt: "So etwas wie NSU könnte sich mit den heutigen Methoden und Arbeitsweisen der Sicherheitsbehörden nicht wiederholen." (Birgit Baumann aus Berlin, 4.11.2021)