In diesem Jahr ist es ein leuchtender Winterhimmel der Projektionskunst von Lumine. Unter Strassers Direktion wurde das Museumsquartier immer häufiger mit Kunst im öffentlichen Raum bespielt.

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Christian Strasser sieht das MQ als exemplarisches Kulturareal.

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Nach zehn Jahren als Direktor des Museumsquartiers zieht es ihn nun weiter zur Sozialbau AG. Wohnen, sagt Christian Strasser, sei die aktuell größte Herausforderung der Stadt. Das MQ sieht er auf dem richtigen Weg, mit ihm habe die Kunst einen anderen Stellenwert in Wien bekommen.

STANDARD: Das Museumsquartier feiert sein 20-jähriges Bestehen, erste Pläne dafür reichen bereits fast 40 Jahre zurück. Warum brauchen derartige Projekte oft so lange?

Strasser: Das MQ befindet sich mitten in der Stadt. Da etwas völlig Neues auf das reichliche kulturelle Erbe draufzusetzen schafft Diskussionen. Vor 30 Jahren hatte zeitgenössische Kunst einen viel geringeren Stellenwert als heute. Das MQ hat viel beigetragen, das zu verändern. Für große Projekte braucht es mutige Politikerinnen und Politiker. Heinz Fischer, Erhard Busek und natürlich die Wiener Bürgermeister waren sehr wichtig. Es hätten auch Hotels oder Shoppingmalls hinkommen können. Zum Glück hat man Weitblick bewiesen.

STANDARD: Zwei geplante Türme wurden damals nicht gebaut. Wurde alles richtig konzipiert, oder hätte man etwas besser machen können?

Strasser: Wenn man hineingeht, hat man sofort das Gefühl, der Platz ist stimmig. Das ist den Architektenbrüdern Ortner sehr gut gelungen. Die barocke Fassade ist einerseits wunderbar, weil sie das MQ komplett verkehrsberuhigt, aber sie macht es auch ein bisschen zu einer Festung. Der nicht gebaute Leseturm hätte auch den Zweck erfüllt, dass das MQ von außen weithin als solches sichtbar gewesen wäre. Ein bisschen gelingt uns das nun mit der neuen Libelle auf dem Dach des Leopold-Museums. Und heute würde man das Areal vielleicht stärker begrünen. Das kann ja noch werden.

STANDARD: Sie haben Ihre Position 2011 angetreten: Was waren die wichtigsten Neuerungen seither?

Strasser: Es ging in meiner Periode viel darum, das MQ als sozialen Lebensraum zu etablieren. Lebensraum, Kunstraum, Schaffensraum sollen ineinandergreifen. Es gibt jetzt eine große Akzeptanz in der breiten Bevölkerung, mittlerweile besuchen 4,5 Millionen Leute jährlich das MQ. Mir war auch wichtig, dass die Zugangspassagen künstlerisch bespielt werden. Schon beim Eingang wird man daran erinnert, dass man ein Kulturareal betritt.

STANDARD: Die Realisierung der Libelle hat sehr lange gedauert. Warum?

Strasser: Im innerstädtischen Bereich sind solche Bauten wegen Anrainerbeschwerden schwer durchzusetzen. Aber ich denke, jetzt sind alle zufrieden damit. Der Anspruch war, einen Ort zu schaffen, der für alle frei zugänglich ist. Derartiges ist selten geworden in Großstädten. Die Libelle ist in Gemeinschaftsarbeit der Gebrüder Ortner, Eva Schlegel und Brigitte Kowanz entstanden – ein Gesamtkunstwerk ...

STANDARD: … das in der Draufsicht aussieht wie ein Penis. War das ursprünglich gewollt, oder ist es ein Unfall, der jetzt zur Urban Legend wird?

Strasser: (lacht) Das lässt sich nicht ganz leugnen, ja. Es ist uns auch erst aufgefallen, als wir das Modell zum ersten Mal gesehen haben. Ich glaube aber, als Urban Legend macht sich das eh ganz gut.

STANDARD: Hand aufs Herz: Sind nicht die wichtigsten Objekte im MQ die allseits beliebten Kunststoffsofas, die Enzis? Ohne sie wäre es sehr trist.

Strasser: Da ist dem Architektur büro PPAG wirklich etwas gelungen. Die Enzis sind seit 2002 ein wichtiges Puzzleteil des Lebensraums MQ. Aber neben dem Kulturangebot muss natürlich auch die Gastronomie gut sein.

STANDARD: Ein bisschen hat man sogar das Gefühl, die Kultureinrichtungen im MQ sind nur die Kulisse, und die wahre Musik spielt konsumistisch auf dem Platz davor. Stört Sie das?

Strasser: Das Allerwichtigste ist sehr wohl, dass das kulturelle Angebot passt. Aber ich habe auch nichts davon, wenn ab 18 Uhr alles leer ist, so wie es in vielen anderen Kulturarealen der Fall ist. Aus der ganzen Welt kommen Politiker zu uns, weil sie schauen wollen: Wie schaffen wir es, den Ort auch nach Schließzeit der Museen lebendig zu halten. Außerdem würde ich nicht unterschätzen, wie viele Menschen nur zum Ausgehen ins MQ kommen und sich vor Ort dann doch auch für die Kultureinrichtungen interessieren.

STANDARD: Sie haben auch Freizeitanlagen wie eine Minigolfbahn eta bliert: Gibt es für Sie Grenzen des Hedonismus im MQ? Man will ja nicht dem Prater Konkurrenz machen.

Strasser: Das ist eine sensible Geschichte, ja. Aber unser Grundsatz war immer, dass diese Anlagen auch ästhetische Kriterien erfüllen müssen. Es spricht nichts gegen spielerische Konzepte, sofern sie sich ins künstlerische Gesamtensemble einfügen. Einer der wichtigsten Grundsätze des MQ muss der sein, dass es immer wieder neu überrascht.

STANDARD: Zuletzt haben Sie die Kooperation mit ähnlichen Kulturarealen in Montréal und Lugano gesucht: Wo steht das MQ international?

Strasser: Wir haben jetzt ein Buch mit den spannendsten Kulturarealen der Welt herausgebracht. Das MQ ist da noch immer exemplarisch. Der nächste Schritt ist, dass wir diese Areale stärker miteinander vernetzen. Die Areale sollten noch mehr als Forum gedacht werden, wo die wichtigen Themen des 21. Jahrhunderts diskutiert werden.

STANDARD: Als "Zwidemu" bezeichnet, wird bei jungen Menschen der Ort zwischen den Museen KHM und NHM immer beliebter. Sehen Sie hier Platz für eine Erweiterung des MQ?

Strasser: Ja. Es ist logisch, dass man sich stadtplanerisch überlegen muss, wie man das Areal vom Museumsquartier über KHM und NHM bis zum Heldenplatz fußgängerfreundlicher gestaltet. Aber auch in die andere Richtung ist Erweiterung möglich, in den siebten Bezirk hinein bis zur Stiftskaserne, wo man aus Teilen ein Kreativzentrum machen kann. Das Spannende an Wien um 1900 war, dass kluge Menschen aus der ganzen Welt zusammengekommen sind und sich gegenseitig kreativ inspiriert haben. Die Basis dafür hat auch das Wien von heute. (Stefan Weiss, 12.11.2021)