Stadtrat Peter Hacker (SPÖ) präsentierte den Bericht am Donnerstag.

Foto: apa / herbert pfarrhofer

Gedenktafeln hatte Geoffrey R. Houguet, Nachfahre der Familie Rothschild wohl nicht im Sinne, als er gegen die Stadt Wien vor Gericht ging. Die Anbringung von Gedenktafeln, genauer gesagt die Empfehlung dazu, ist jedoch das vorläufige Ergebnis der Expertenkommission, die vergangenes Jahr mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte der "Nathaniel Freiherr von Rothschild’schen Stiftung für Nervenkranke" beauftragt wurde.

Der mehr als 300 Seiten umfassende Bericht der Kommission unter dem Vorsitz von Ilse Reiter-Zatloukal wurde der Öffentlichkeit am Donnerstag präsentiert. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker lobte die "genauen Einblicke in die Abläufe der letzten Jahrzehnte".

Erbe fordert unabhängiges Kuratorium

Gemessen an Houguets Forderungen wirkt das Resultat in Form von Gedenktafeln, die schon 1963 beschlossen, jedoch nie angebracht wurden, überraschend banal. Wie berichtet begehrt der Rothschild-Erbe, der bis 1997 auch im Vorstand der Creditanstalt Investmentbank tätig war, nicht weniger als die Abberufung des Magistrats als Stiftungsverwalter und die Wiedereinsetzung eines unabhängigen Kuratoriums. Weiters sollen eine Änderung der Stiftungssatzung 2017 und der Verkauf einer Liegenschaft für nichtig erklärt werden.

Hoguets Urgroßvater, Albert Freiherr von Rothschild, hat die Stiftung im Jahr 1907 in Erfüllung eines Testamentsnachtrags errichtet. Das Stiftungsvermögen betrug 20 Millionen Kronen, eine gewaltige Summe für eine wohltätige Stiftung, auch nach heutigem Wert (rund 122 Millionen Euro). Damit wurden zwei Kliniken für Nervenkranke errichtet.

Zäsur im Jahr 1939

Bis heute existiert die Nervenheilanstalt Rosenhügel, die mittlerweile unter dem Titel neurologisches Zentrum firmiert und Teil der städtischen Klinik Hietzing ist. Das Spital Maria-Theresien-Schlössl wurde aufgelöst, der Betrieb im Jahr 2002 auf die Baumgartner Höhe verlegt und die Liegenschaft verkauft.

Anders als in der Stiftungsurkunde vorgesehen, haben Mitglieder oder Nachfahren der Familie Rothschild bei dieser Stiftung heute nichts mehr mitzureden. Die Zäsur bescherte die Machtergreifung der Nationalsozialisten, die beide Stiftungsanstalten 1939 unter "kommissarische Leitungen" stellten, die Stiftung zwangsweise auflösten und das Wertpapiervermögen zugunsten von NSDAP und NS-Bürokratie entzogen.

"Keine Arisierung"

Wie aus dem Expertenbericht hervorgeht, handelte es sich dabei "um keine Arisierung". Denn die Stiftung wurde vom Stillhaltekommissar explizit nicht als "jüdische Stiftung" eingestuft: "Weil sich ihr Zweck nicht unmittelbar auf jüdische Interessen bezog bzw. Begünstigte nicht Juden und Jüdinnen, sondern die gesamte Bevölkerung" gewesen sei.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Stiftung, spät aber doch, 1956 wiederhergestellt, jedoch ohne Einsetzung des vorhergehenden Kuratoriums. Eine diesbezügliche Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof befindet sich in Bearbeitung, wie Hoguets Anwalt Wulf-Gordian Hauser im STANDARD-Gespräch bestätigt. Jene zur aktuellen Satzung wurde vom Verfassungsgerichtshof bereits abgewiesen.

Den Bericht der Expertenkommission habe Hauser noch nicht gelesen. Dass sich die Stadt Wien in ihrem Vorgehen offenbar weitestgehend bestätigt sieht, überrasche ihn freilich nicht. Wann die Tafeln mit dem Namen Nathaniel von Rothschild als Stifter und dem Datum der Stiftungsgründung an den Pavillons am Rosenhügel montiert werden, ist nicht bekannt. (Olga Kronsteiner, 18.11.2021)