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Nach dem schnellen Anstieg zum Jahresauftakt sorgte die Pandemie jedoch bald für schlechte Laune bei den Anlegern in Japan.

Foto: Getty Images / Sean Gladwell

Als einziger wichtiger Aktienmarkt hat Japan seine historischen Hochstände aus dem 20. Jahrhundert bisher nicht übertreffen können. Doch in diesem zweiten Pandemie-Jahr haben Japans Aktienbarometer ein großes Wegstück zum Olymp zurückgelegt. Bereits im Februar überwand der Nikkei 225 erstmals seit 31 Jahren die Marke von 30.000 Yen, der marktbreite Topix kletterte über 1900 Punkte. Trotz zwischenzeitlicher Rückschläge hielten sich die Indizes nahe oder über diesen Marken. Der Nikkei kletterte zeitweise um eine zweistellige Prozentzahl, der Topix legte noch kräftiger zu.

Nach dem schnellen Anstieg zum Jahresauftakt sorgte die Pandemie jedoch bald für schlechte Laune bei den Anlegern. Nicht einmal die Austragung der Olympischen Sommerspiele in Tokio im Juli und August konnte die Stimmung aufhellen. Anfangs galt Japan wegen seiner vielen zyklischen Unternehmen als lukrative Wette auf eine kräftige Erholung der Weltwirtschaft nach dem Ende der Corona-Beschränkungen. Die US-Investmentberatung T. Rowe Price beschrieb Japan sogar als den "offensten und zyklischsten Markt der Welt".

Doch der globale Aufschwung fiel schwächer aus als erwartet. Zugleich musste die Regierung in Tokio den nationalen Corona-Notstand mehrmals verlängern. Erst Ende September konnte sie ihn aufheben. Bis dahin hielten sich Verbraucher und Firmenmanager mit Konsum und Investitionen zurück. Im ersten und dritten Kalenderquartal schrumpfte die Wirtschaftsleistung, im zweiten Quartal blieb das Wachstum schwach. Unter diesem Eindruck fiel der Nikkei-Index nach einigem Auf und Ab auf den Stand vom Jahresanfang zurück.

Ein Weg mit Höhen und Tiefen

Doch Mitte August setzte der Markt schließlich zu einer dynamischen Aufholrally an. Im Sommer hinkte Japan nämlich laut der Investmentbank Jefferies Europa und den USA so weit hinterher wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die niedrige Bewertung lockte ausländische Anleger in Scharen an, nach jahrelanger Abstinenz kehrten sie nach Japan zurück. Zudem erwarteten sie, dass die Beschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund der rasant steigenden Impfquote bald enden würden. Danach würde die Regierung ein mächtiges Konjunkturpaket schnüren, um die Pandemiefolgen zu überwinden.

Allerdings stellte sich bald heraus, dass einige ausländische Adressen sich nur kurzfristig in Japan engagierten und ihre Positionen bald wieder verkauften. Ein Grund war die weltweite Inflationssorge durch die steigenden Rohstoffkosten. Die anhaltenden Lieferengpässe bei Halbleitern bremsten die japanische Industrieproduktion. Nach ihren Jahreshochs Mitte September gaben Nikkei und Topix daher einen Großteil ihrer Gewinne zunächst wieder ab.

Die Sicherheit einer stabilen Regierung nach der Parlamentswahl Ende Oktober ließ die Kurse jedoch wieder steigen, je mehr sich das Jahresende näherte. Zugleich nahmen Analysten und Investoren eine längerfristige Perspektive ein. Die Schweizer Bank UBS etwa sagte ein starkes Gewinnwachstum der Unternehmen von 42 Prozent im laufenden Geschäftsjahr vorher. Der Ertragssprung würde höhere Aktienkurse rechtfertigen. Der japanische Vermögensverwalter Nikko AM nannte die gestärkte Unternehmensführung sowie den geplanten Börsenumbau im April 2022 als längerfristige Kaufmotive.

Flexibilisierung

Besonders interessierten sich die Aktienanleger für die Geldpolitik. Die Pandemie schweißte die japanische Notenbank und die Regierung noch enger zusammen. Geld- und Fiskalpolitik arbeiteten Hand in Hand, um die Wirtschaftsschäden durch das Coronavirus zu begrenzen. Im März überprüfte die Bank of Japan (BoJ) ihre Strategie und beschloss eine "Flexibilisierung". Danach verringerte sie ihre Käufe an Aktienindexfonds (ETFs) und Staatsanleihen.

Die jährliche Mindestkaufmenge an ETFs schaffte sie ab, seit Anfang Juni erhöhte die BoJ den Bestand nur noch geringfügig. Die Investoren mussten sich darauf einstellen, dass die Notenbank sich nur noch stärker in Aktien engagiert, wenn die Kurse in den Keller sacken. Diese "Flexibilisierung" hat nach Ansicht einiger Analysten die Nachfrage nach japanischen Aktien verringert und Anleger verunsichert.

Aktivistische Aktionäre

Für das größte Aufsehen am Markt sorgte der traditionsreiche Mischkonzern Toshiba. Dort tobte eine Schlacht zwischen aktivistischen Aktionären, die auf eine Privatisierung drängten, und einem Management, das eine Zerschlagung der Gruppe verhindern will. Laut Morgan Stanley ist Japan inzwischen der weltweit zweitgrößte Standort für solche Aktivisten. Sie steigen bei Unternehmen ein und verlangen Ausschüttungen und Restrukturierungen. Wenn der Kurs gestiegen ist, schließen sie ihre Positionen.

Im Umgang mit diesen Investoren ging die Toshiba-Führung nicht immer ethisch sauber vor, was eine interne Untersuchung einräumte. So versuchte CEO Nobuo Kurumatani, den Aktivisten mehr Mitsprache zu verweigern, indem er mit dem mächtigen Industrieministerium kungelte.

Später zog der Konzernchef offenbar die Fäden, als sein Ex-Arbeitgeber, die britische Beteiligungsgesellschaft CVC Capital, Toshiba komplett kaufen wollte. Kurumatanis Nachfolger Satoshi Tsunakawa kündigte im November eine Dreiteilung an, um die Aktivisten zu vertreiben. Damit hat wohl der Schlussakt des Dramas begonnen. (Martin Fritz, Magazin "Portfolio", 15.12.2021)