"Aus der Sendereihe in den Auktionssaal bleibt eher die Ausnahme."

Foto: Sotheby's

Ein Jahrhundertfund oder doch nur Ramsch? Das ist, worum es im Wesentlichen in jenen Fernsehformaten geht, bei denen private Erbstücke nahezu aller Art von Experten begutachtet und bewertet werden. Sendungen wie Bares für Rares (ZDF) oder Bares für Rares Österreich (Servus TV), die Millionen von Zusehern begeistern, erinnern dabei eher an ein Speeddating mit Händlern, die den Studiogästen die Ware im Idealfall auch gleich abkaufen. Für ein paar Hundert Euro höchstens.

Die kunsthistorische Einordnung spielt dort, wenn überhaupt, eine Nebenrolle. Denn der ideelle Wert der dort präsentierten Objekte liegt meist ohnedies über dem fachlichen und damit auch dem monetären. In puncto Information gehaltvoller ist die Sendereihe Was schätzen Sie? (ORF 3) in Kooperation mit dem Dorotheum.

Fernsehflohmarkt

Seit 2011 begibt sich dabei Karl Hohenlohe in den Kellern und auf den Dachböden von Herr und Frau Österreicher auf die Suche nach vermeintlichen oder realen Schätzen, die sodann von den Experten des Auktionshauses unter die Lupe genommen werden. Dazu erzählen die Besitzer ihre persönliche Bezugsgeschichte zu den Objekten.

Ähnlich wird das seit 1985 wöchentlich im Fernsehen des Bayerischen Rundfunks gehandhabt: Kunst und Krempel nennt sich das aus einem Fernsehflohmarkt entstandene Format. Auch hier präsentieren Privatbesitzer alte Gegenstände und lassen sie unter Livebedingungen von Experten einordnen. Deren spontane erste Einschätzung liefert Erkenntnisse an beiden Enden der erwartbaren Skala: Prunkvolles entpuppt sich als Nachahmung, Unscheinbares als Kostbarkeit. Bemerkenswerte Entdeckungen sind über die Jahre eher eine Ausnahme geblieben. Aber es gibt sie.

Überraschungen

Im April 2014 stand eine Berliner Straßenszene im Mittelpunkt, gemäß Signatur vom deutschen Impressionisten Lesser Ury. Die erste Vermutung – "ein Druck" – revidierte der österreichische Experte Herbert Giese recht flott, nachdem das Bild von der Verglasung und dem Rahmen befreit war: "Ein wunderschönes Original!" Solche Großstadtbilder gehörten zu den Gründungsakten einer sich erneuernden Zivilisation und seien ein weltweit gefragtes Motiv, erläuterte Kunsthistoriker Hans Ottomeyer.

Erst jüngst sei ein vergleichbares Bild für 130.000 Euro versteigert worden, lautete Gieses Richtwert. Verschätzt, im positiven Sinne. Denn im Juni des gleichen Jahres erzielte das zwischen 1915 und 1920 datierte und um den Titel Alexanderplatz ergänzte Pastell bei Christie’s in London umgerechnet 200.000 Euro netto (ohne Aufgeld).

Ermittlungen des Landeskriminalamts

"Fake or Fortune" sei Dank, konnte das 1999 für 6325 Dollar als Werk eines Nachfolgers von Jean-Léon Gérôme ersteigerte Gemälde nun als Original des französischen Orientalisten versteigert werden. Erlös: 103.000 Dollar (exkl. Aufgeld).
Foto: Sotheby’s

Eine Überraschung der anderen Sorte bescherte ein um 1620 datiertes Gemälde des Künstlers Frans Francken d. J. mit dem Titel Die Bergpredigt aus einer Folge im November 2008, dessen Echtheit die Experten bestätigten und den Wert mit etwa 100.000 Euro bezifferten. Ein aufmerksamer Zuschauer recherchierte und informierte im April des Folgejahres das bayerische Landeskriminalamt (LKA). Kurzfassung: Es handle sich womöglich um Raubkunst, jedenfalls um eines von 650 für das Linzer Museum vorgesehenen Gemälden, die im April 1945 kurz vor dem Einmarsch der US-Truppen auf ungeklärte Weise aus dem sogenannten "Führerbau" in München verschwanden.

Das LKA begann zu ermitteln und wandte sich im September 2009 mit der Suche nach dem gegenwärtigen Besitzer an die Öffentlichkeit: Der Sender hatte die Herausgabe des Namens seines Gastes verweigert. Die Angelegenheit klärte sich dennoch. Eine Verwandte des Mannes meldete sich, und das LKA zog das Werk vorerst ein.

Die Rolle der Herkunft

Ein Gerichtsverfahren später bekam die Familie, laut Süddeutscher Zeitung Nachfahren eines NS-Kasernenwarts, das Bild 2014 zurück. Ob ihr längst verstorbener Vorfahre an der Plünderung 1945 beteiligt gewesen war, blieb ungeklärt. Gesichert ist hingegen, dass der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt das Gemälde im Herbst 1943 im besetzten Frankreich erstanden und in der Folge an den Planungsstab des "Führermuseums" verkauft hatte.

Welche Rolle die historische Herkunft spielen kann, wenn es um die Frage der Echtheit von Objekten geht, zeigt seit 2011 die Dokumentarserie Fake or Fortune? der BBC in nahezu jeder Folge auf. Das Konzept stammt vom Kunsthändler und Kunsthistoriker Philip Mould, der sich gemeinsam mit der Journalistin Fiona Bruce jener Werke annimmt, die von der Fachwelt noch nicht als authentische Originale eines Künstlers anerkannt oder aber als solche abgelehnt wurden.

Detektivarbeit

In jeder der auch über Amazon Prime verfügbaren Folgen wird in Archiven recherchiert, kommen Experten zu Wort, die das betreffende Objekt forensisch untersuchen, wissenschaftliche Tests an den verwendeten Materialien durchführen und auf die Eigenheiten des Künstlers hin überprüfen. Die gesammelten Recherchen werden den jeweils für die Authentifizierung von Werken des Künstlers zuständigen Institutionen oder Kunsthistorikern vorgelegt, die sodann ihr Urteil fällen.

Mal werden Bilder als solche von Nachahmern oder Fälschern entlarvt, mal der Ritterschlag in Form der Anerkennung als Original erteilt, womit automatisch eine Wertsteigerung verknüpft ist. Die Rekonstruktion der Provenienz eines Werkes – oftmals bis zur Entstehungszeit zurück – kann dabei ganz wesentlich zum Ergebnis beitragen.

Von Auktionshäusern war die Echtheit der Zeichnung angezweifelt worden, die sich im Zuge der Recherchen von "Fake or Fortune" jedoch tatsächlich als Vorstudie von Paul Gauguin zu seinem berühmten Gemälde "Nafea faa ipoipo? (Wann heiratest du?)" entpuppte.
Foto: BBC Screenshot

2016 untersuchte das Team zwei mögliche Werke des französischen Künstlers Paul Gauguin, deren Echtheit von Auktionshäusern angezweifelt worden waren. Im Falle eines Stilllebens sollte sich diese Einschätzung bestätigen, nicht so bei einer kleinen Bleistiftskizze, die eine kauernde tahitianische Frau darstellte.

Gaugin: Fake or Fortune?

Hatte hier jemand eine 1958 in einem Buch veröffentlichte Studie kopiert? Oder handelt es sich womöglich um eine erste Skizze zu Nafea faa ipoipo? ("Wann heiratest du?"), einem der berühmtesten Gemälde Gaugins überhaupt?

2015 war Letzteres für einen kolportierten Preis von 300 Millionen Dollar nach Katar verkauft worden. Die zugehörige kleine Zeichnung hätte folglich nicht nur einen hohen monetären Wert, sondern wäre auch von kunsthistorisch großem Interesse. Die Besitzerin hatte sie von ihrem Großvater geerbt, einem in der NS-Zeit nach England emigrierten deutschen Kunsthistoriker. Mit detektivischer Akribie konnte das Team von Fake or Fortune? nicht nur die Chronologie der Vorbesitzer klären, sondern auch belegen, dass die Skizze nach Gauguins Tod irgendwann zwischen 1916 und 1932 aus seinem Skizzenbuch ausgeschnitten worden war. Das für die Autorisierung der Werke des Künstlers zuständige Wildenstein-Institut bestätigte am Ende die Echtheit.

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Ein echter Giacometti

Ähnlich verhielt es sich 2018 mit einer Gipsskulptur, bei der es sich um Alberto Giacomettis Frühwerk Tête qui regarde zu handeln schien, von dem mehrere Fassungen existieren. Das Objekt befand sich laut Überlieferung seit den 1930er-Jahren in Familienbesitz, war jedoch – einer ungestümen Katze sei Dank – restauriert worden: nicht nur sichtlich amateurhaft vom Großvater, sondern zuvor auch von einem Fachmann in einer Technik, die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr eingesetzt wurde, wie eine Computertomografie des Objekts ergab.

Recherchen ergaben weiters, dass die Großeltern Giacometti nicht nur persönlich gekannt haben, sondern die Skulptur auch direkt bei ihm erworben haben dürften. Die Rechercheergebnisse wurden dokumentiert und mitsamt der Skulptur der Giacometti-Stiftung übergeben. Deren erste Reaktion: Man werde die Sache genauer überprüfen.

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Bedeutende Inschrift

Das Urteil fiel erst, nachdem die Episode im September 2018 ausgestrahlt worden war. Der Großvater hatte die Reparatur der zerbrochenen Skulptur auch mit einem weißen Anstrich zu kaschieren versucht. Als dieser von einem Restaurator nun abgenommen wurde, kam eine Inschrift zum Vorschein, wie die Stiftung mitteilte: "Alberto Giacometti 1928". Die Familie entschloss sich prompt zum Verkauf: Im Februar 2019 erzielte der Gipskopf bei Christie’s in London umgerechnet knapp 562.000 Euro netto.


"Fake or Fortune" – der echte Orientalist

Der Journalistin Fiona Bruche und dem Kunsthistoriker und Kunsthändler Philip Mould gelang der Nachweis, dass es sich um ein authentisches Werk des französischen Künstlers Gérôme handelt.
Foto: Screenshot "Fake or Fortune", BBC

1999 ersteigerte der Amerikaner Jon Swihart für 6325 Dollar bei Christie’s in New York ein Gemälde aus dem Jahr 1858, das einen Araber beim Gebet in einer Moschee zeigt. Es war dem Umkreis des französischen Orientalisten Jean-Léon Gérôme zugeschrieben. Ursprünglich galt es als dessen Original, war jedoch von dem für das Œuvre dieses Künstlers anerkannten Experten Gerald Ackerman in den 1980er-Jahren herabgestuft worden.

Nach dessen Tod wandte sich Swihart an das Team von Fake or Fortune?, dem in einer spannenden Recherche der erhoffte Nachweis der Echtheit gelang. Über Dekor-Details im Hintergrund des Gemäldes konnte sogar die Moschee identifiziert werden. Nach der Ausstrahlung der Folge im August gelangte das Bild als authentisches Werk von Gérôme im Oktober bei Sotheby’s zur Auktion. Der Zuschlag erfolgte bei umgerechnet 89.000 Euro oder rund 103.000 Dollar (exkl. Aufgeld) und bescherte dem Amerikaner einen stattlichen Gewinn gegenüber dem ursprünglichen Kaufpreis.

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"Was schätzen Sie?" – ein unverkäufliches Tischerl

Im Februar 2021 wurde das Kombinationstischchen im Rahmen der ersten Sendung des Jahres präsentiert und gelange dann im Juni erstmals zur Versteigerung. Vorerst fand sich kein Käufer.
Foto: Dorotheum

In der ersten Folge der ORF-3-Sendung im heurigen Jahr besuchte Journalist Karl Hohenlohe einen gewissen Heinrich Gerlinger. Der ehemalige Innenausstatter und Antiquitätenhändler wollte sich von einem Biedermeier-Kleinmöbel trennen, das er einst für 100.000 Schilling in England erworben und seiner Frau geschenkt hatte: "Schatzi, halte die Klappe mal!", wies er sie vor laufender Kamera beim Öffnen des Tischchens an.

Experte Ulrich Prinz bewahrte Contenance und erläuterte: ein sogenanntes Bonheur de jour, Donaumonarchie, ca. 1830, eschefurniertes Gestell mit Intarsien aus gebeiztem Birnenholz sowie zahlreichen Innen- und Geheimfächern. Der aktuelle Wert? So um die fünf, vielleicht 6000 Euro, erläuterte der Möbelexperte. Für eine Versteigerung empfahl er einen Startpreis von höchstens 4000 Euro. Ein Richtwert, der sich in der Realität nicht erfüllen sollte. Seit Juni gelangte das Kombinationstischchen insgesamt viermal im Dorotheum zur Auktion und blieb bisher unverkauft. (Olga Kronsteiner, Magazin "Portfolio, 4.1.2022)

Dorotheum