Der 25. November als internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen gibt Anlass, sich über "Incels" und die Gefährlichkeit der Verschränkungen von Antifeminismus und Rechtsextremismus (auch) im Internet Gedanken zu machen.

Misogynie, also Frauenfeindlichkeit, Gewalt gegen Frauen und Antifeminismus gehen oft Hand in Hand. Antifeminismus meint konkret die Ablehnung von feministischen Gleichstellungs- und Emanzipationsbestrebungen und deren organisierte Gegnerschaft, die mitunter bis hin zum Rechtsterrorismus reicht. Das Autorinnenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In) veröffentlichte dazu 2020 eine ausgiebige Auseinandersetzung mit der Aktualität antifeministischen Denkens und Handelns, sowie mit dem "Glauben an männliche Vorherrschaft" als "Basis für sexualisierte Gewalt, Femizide und Terrorismus".

In der aktuellsten Leipziger Autoritarismus-Studie werden ebenfalls gewisse Vorstellungen und Ausprägungen von Männlichkeit als wesentlich hinsichtlich antifeministischer Einstellungen ausgewiesen. Bedrohungsvorstellungen, insbesondere die Angst vor dem Verlust der eigenen Dominanz oder gesellschaftlichen Stellung sowie die Angst vor Veränderungen in (heteronormativen) Geschlechterbeziehungen, sind dabei besonders zentral.

Es geht also um jene Formen von Männlichkeit, denen gesellschaftlich tatsächlich bestimmte Privilegien zugestanden werden – und deren Verlust innerhalb eines vermeintlich übermächtigen Bedrohungsszenarios konstruiert wird. In dieser Logik werden demnach "die Männer" heutzutage von "der Gender-Lobby", vom "Genderismus" oder von "den Feministinnen" im Allgemeinen bedroht.

Ein Sammelbecken des projektiven Frauen- und LGBTIQ+-Hasses stellen im Internet die "Incels" dar.
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Online ganz normal

Im digitalen Raum sind Frauen-/LGBTIQ+-Feindlichkeit, Sexismus und Antifeminismus keine Neuigkeit. Gerade im (Online-)Gaming und in dazugehörigen Plattformen wie Steam, Discord oder sogenannten "Imageboards" wie Reddit oder 4chan haben Sexismus und Antifeminismus eine langjährige Tradition, die medial, wenn überhaupt, nur in ihren extremsten Formen Aufmerksamkeit erfährt.

Ein Beispiel dafür ist die 2014 entfachte Debatte rund um #GamerGate. Ausgangspunkt war die positive Rezension eines Computerspieles der nicht-binären Spieleentwickler:in Zoë Quinn, die in der Folge in einer orchestrierten Kampagne mit massiven Hassnachrichten bis hin zu Vergewaltigungs- und Morddrohungen konfrontiert war. Dabei spielte ursächlich ein Blog-Eintrag eines Ex-Partners von Quinn eine zentrale Rolle. Die enorme Geschwindigkeit digitaler Shitstorms erfasste in den folgenden Monaten weitere feministische und queere Akteurinnen und Akteure innerhalb der Gaming-Szene. Ein Ausmaß an Hass im Netz, das keinesfalls die Ausnahme, sondern eher die Regel darstellt.

Und auch in der Berichterstattung über bestimmte Mordattentate wurde es oftmals versäumt, die Täter jenem (digitalen) Milieu zuzuordnen, aus dem sie kommen: aus den vermeintlich rechtsfreien Online-Räumen, wo alles sagbar (und im Zweifelsfall "ironisch") ist. Da gehören neben Sexismus und Antifeminismus auch Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie zu normalen Umgangsformen – eine Tatsache, die die globale extreme Rechte schon seit längerem für sich zu nutzen und zu eskalieren weiß.

Digitale Gegenkultur

"[We built] a new front in the long-standing culture war – the Internet", stellte Andrew Breitbart, der verstorbene Gründer des rechtsextremen Online-Portals Breitbart News, bereits vor zehn Jahren fest. Und er hatte Recht, denn eine der Hauptstrategien der selbsternannten "Neuen Rechten" ist in Anlehnung an Antonio Gramscis Hegemoniekonzept genau der Fokus auf einen "Kulturkampf", in dem es langfristig die kulturelle Hegemonie zu erringen gilt. Von "Kulturen" anstatt von "Völkern" zu sprechen bedeutet im modernisierten Rechtsextremismus nicht nur, sprachliche Veränderungen (gerade auch in vermeintlicher Abgrenzung zum herkömmlichen Neonazismus) vorzunehmen, sondern auch jene Orte zu vereinnahmen, die die Gegenwart und Zukunft bestimmen: die digitalen Räume.

Es geht also um das Schaffen digitaler "Gegenkulturen", wie sie von manchen der extremen Rechten (beispielsweise Martin Sellner) selbst genannt werden. Während Akteurinnen und Akteure wie die "Identitären" zwar nach wie vor auf Bilder einer "wehrhaften" beziehungsweise "soldatischen" Männlichkeit zurückgreifen, kommt es gleichzeitig zu einer verstärkten Anrufung vermeintlich "unterdrückter" Männer. Diese wären in der heutigen Zeit die eigentlich Marginalisierten oder "Opfer".

Zuspitzungen

Ein Sammelbecken des projektiven Frauen- und LGBTIQ+-Hasses stellt im Internet das Denken der "Incels" (eine Selbstbezeichnung für "Involuntary Celibate", unfreiwillige Zölibatäre) dar. Die Vorstellung der Männer als die "Verlierer unserer Zeit" spitzt sich in der Incel-Logik zu. In einer Welt, die "vom Feminismus beherrscht" und von Oberflächlichkeiten geprägt sei, würden Frauen ausschließlich mit sogenannten "Chads" (den Prototypen viriler Männlichkeit) Beziehungen führen wollen. Incels haben auf diesem Attraktivitätsmarkt vermeintlich keine Chance und fühlen sich, gemäß einer Anspruchslogik, von Frauen um ihr "Recht" auf (sexuelle) Zuwendung und Verfügbarkeit betrogen. In Imageboards und in den jeweiligen Foren wird die allgemeine Misogynie radikalisiert, der Selbsthass durch gegenseitige Verhöhnungen und Beleidigungen innerhalb der äußerst toxischen Community zusätzlich befeuert.

In den extremsten Fällen führt diese Logik zu Terroranschlägen. Der Täter von Isla Vista/Santa Barbara tötete 2014 sechs Menschen, verletzte 13 weitere und beging anschließend Suizid. Er war bekennender Incel und avancierte nach seiner Tat zum Vorbild und "Supreme Gentleman" der Community. 2015 erschoss ein Mann, der sich in seinem "Manifest" auf die Tat von 2014 bezog, an einem Community College in Oregon neun Menschen, verletzte acht weitere und tötete anschließend sich selbst. 2017 wurden ebenfalls zwei Menschen in einer High School in New Mexico mit Referenz auf den Täter von Isla Vista ermordet. 2018 kam es gleich zu drei Attentaten mit antifeministischen Motiven und Incel-Referenzen. In Toronto fuhr ein Mann mit dem Auto in eine Gruppe an Menschen, tötete dabei elf und verletzte 15. Vorab hatte er auf Facebook geschrieben, dass die "Incel Rebellion" bereits begonnen habe. Ein weiterer Täter tötete 17 Menschen in Florida, auch er bezog sich auf den Täter von Isla Vista. Ein dritter erschoss zwei und verletzte vier Frauen in einem Yoga-Studio, ebenfalls in Florida.

Die Attentäter von Christchurch und Halle (beide 2019) waren in rechtsextremen Foren und auf den Imageboards Reddit oder 4chan aktiv, das Feindbild Feminismus spielte eine zentrale Rolle in ihren kruden Theorien über einen "Bevölkerungsaustausch" oder "Genozid an Weißen". Beide filmten sich während der Tat via Livestream – und erhielten breiten Zuspruch aus der Community. Das Halle-"Manifest" war gekennzeichnet durch verschiedene "Achievements" und "Levels", die es zu erreichen galt – je nachdem, welche und wieviele Menschen der Täter töten konnte.

Handlungsbedarf

Mittlerweile gibt es eine lange Liste an Attentaten, deren Gemeinsamkeiten nicht nur in ihrer misogynen, antifeministischen und rechtsextremen Gesinnung liegen, sondern auch im Ort ihrer Fanatisierung. Manche der Täter handelten explizit als Incels, andere motivierte mehr ihr Antisemitismus oder Rassismus – aber alle waren sie Teil der Online-Communities, in denen menschenfeindliche "Satire" zur Normalität, Misogynie und Antifeminismus zum guten Ton gehören.

Es sind auch diese Zusammenhänge gemeint, wenn Feministinnen und Feministen in der Mobilisierung gegen Femizide und in der medialen Debatte rundherum einfordern, anstatt über "Beziehungsdramen" endlich über gesellschaftliche und ideologische Strukturen zu sprechen, wenn es um tödliche Gewalt an Frauen und LGBTIQ+-Personen geht. Femizide, rechtsterroristische und antifeministische Attentate – sie alle sind tödliche Reaktion darauf, was von der extremen Rechten bis in die vermeintliche gesellschaftliche "Mitte" hinein als "Verlust männlicher Dominanz" konstruiert wird. Dabei darf das Ernstnehmen des Problems nicht erst dann beginnen, wenn Frauen und LGBTIQ+-Personen dadurch sterben müssen. (Bianca Kämpf, 25.11.2021)

Bianca Kämpf arbeitet in der Rechtsextremismusforschung, ihre Schwerpunkte sind Rechtsextremismus und Geschlecht sowie Antifeminismus – auch im digitalen Raum.

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