Brauchen wir das Böse, um Gutes zu tun? Im Gastkommentar widmet sich der Wirtschaftshistoriker Robert Skidelsky dieser philosophischen Frage.

Die Schriftstellerin Margaret Atwood beschreibt in ihrem dystopischen Roman Oryx und Crake aus dem Jahr 2003 eine Pille namens BlyssPluss, die alle Menschen glücklich machen und Krankheiten beseitigen soll. Da eine breite Anwendung der Pille jedoch die Gewinne der Pharmaunternehmen schmälern würde, bezahlen diese den Arzneimittelenentwickler HelthWyzer dafür, dass er die Anwender krank macht, indem er ihnen ein Virus in die Pillen einpflanzt. HelthWyzer kann dann seine Gewinne durch den Verkauf des Gegenmittels verdoppeln. "Die besten Krankheiten aus geschäftlicher Sicht", erklärt der Wissenschafter Crake in der Fiktion, "sind solche, die langwierige Krankheiten verursachen. Im Idealfall – das heißt für maximalen Profit – sollte der Patient entweder gesund werden oder sterben, kurz bevor sein ganzes Geld aufgebraucht ist. Das ist eine schöne Rechnung." Crakes "ideale" Krankheit ist eine, die die Produktion und den Verkauf von Gegenmitteln anregt. Eine bedauerliche Folge dieses schlauen Geschäftsplans ist, dass ein Großteil der Weltbevölkerung stirbt.

Das Gut und das Böse

Hinter dieser Erzählung steckt der provokante Gedanke, dass man das Schlechte bewusst in Kauf nimmt, um das Gute hervorzubringen. Dies ist vergleichbar mit der Idee von den "optimalen" Krisen des bekannten Entwicklungsökonomen Albert O. Hirschman – schwer genug, um Fortschritt auszulösen, aber nicht so schwer, dass sie die Mittel zum Erreichen dieses Fortschritts auslöschen. Hirschman selbst unterstützte Projekte, von denen er annahm, dass sie scheitern würden, um "Druckpunkte" für Verbesserungen zu schaffen.

All dies führt dazu, sich über die Bedeutung der extremen Ereignisse zu wundern, die viele als Folge des Klimawandels für das kommende Jahrhundert vorhersagen – und natürlich über die Bedeutung der eher traditionellen Seuchen und Hungersnöte, die uns wahrscheinlich heimsuchen werden.

Schöpferische Zerstörung

Die Quelle dieser Spekulationen ist sowohl theologisch als auch prosaisch: Warum hat Gott, wenn er allmächtig und vollkommen gut ist, eine Welt mit Leid und Übel geschaffen? Eine Antwort, so Stephen Davies in seinem 2019 erschienenen Buch The Street-Wise Guide to the Devil and His Works (deutsch: Der gerissene Wegweiser zum Teufel und seinen Werken), lautet, dass die Einführung Satans in Gottes Schöpfung dazu diene, "den Glauben und die Tugendhaftigkeit (...) der Menschheit zu testen und zu prüfen". Eine andere besagt, dass "das Böse notwendig ist, um das Gute zu vervollkommnen". Der Teufel ist also eine "feindliche Macht, die eine stärkere und umfassendere Art des Guten hervorbringt und ermöglicht".

Die Rolle Satans in der christlichen Theodizee besteht also darin, schlimme Ereignisse herbeizuführen, um eine notwendige Reaktion zu provozieren. Diese Rolle spielt der Teufel sowohl in John Miltons Paradise Lost (Das verlorene Paradies) als auch in Percy Bysshe Shelleys Prometheus Unbound (Der entfesselte Prometheus). Der Wirtschaftswissenschafter Joseph Schumpeter brachte dieselbe Idee in seiner Theorie zum Ausdruck, nach der sich die Wirtschaft durch "schöpferische Zerstörung" weiterentwickelt.

"Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen, er liebt sich bald die unbedingte Ruh."

Am stärksten kommt diese Idee jedoch in Goethes Faust zum Ausdruck. Im einleitenden "Prolog im Himmel" erklärt Gott dem Dämon Mephisto sein Problem. Die Menschheit, die nach Gottes Ebenbild geschaffen wurde, hat zwar das Potenzial zum Fortschritt, ist aber von Natur aus faul und uninteressiert: "Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen, er liebt sich bald die unbedingte Ruh." So schickt Gott Mephisto als die Kraft, die "immer wieder Böses tun und doch das Gute schaffen würde", um sie aus ihrer Selbstgefälligkeit aufzurütteln.

Demonstrantinnen und Demonstranten im November in Berlin. Sie fordern wirksame Klimapolitik.
Foto: AFP / John Macdougall

Wird dies also der Punkt sein, an dem die extremen Klimaereignisse, die uns wahrscheinlich ereilen werden, eintreten werden? Schließlich glauben heute nur wenige ernsthaft daran, dass die Welt die auf der jüngsten Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP 26) festgelegten Ziele erreichen wird, und selbst wenn dies der Fall sein sollte, dass wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau begrenzen werden.

Drei Szenarien

In seinem kürzlich erschienenen Buch Decarbonomics & the Post-Pandemic World (Decarbonomics und die Welt nach der Pandemie) prognostiziert der Wirtschaftswissenschafter Charles Dumas eine Abfolge von Extremereignissen im Zusammenhang mit steigenden Temperaturen. Wenn sich die globale Erwärmung bis 2025 bei 1,5 Grad Celsius stabilisiert, ist mit einer schnelleren Wüstenbildung in Nordamerika und Afrika zu rechnen, mit der Verlangsamung oder dem Versiegen des Golfstroms bis 2100, mit dem Verschwinden von Gebirgsgletschern und Teilen der Arktis, mit dem Verlust der Regenwälder und mit noch nie dagewesenen Wirbelstürmen im Südatlantik, die Inseln überfluten.

In einem zweiten Szenario übersteigt der globale Temperaturanstieg 1,5 Grad Celsius. Infolgedessen dehnt sich die Wüste Gobi aus, Schalentiere werden ausgerottet, das Mittelmeer wird austrocknen, und ständig wüten Waldbrände. Darüber hinaus werden Städte wie Miami, das Zentrum Londons, große Teile Manhattans, Schanghai, Mumbai und Bangkok bis zur Mitte des 22. Jahrhunderts unter Wasser stehen. Kriege um die Kontrolle über die nun flüssige Arktis werden ausbrechen, die Eisschmelze in den Anden lässt Peru austrocknen, und viele Tierarten sterben aus.

Das dritte Szenario von Dumas ist noch extremer. Große Teile des südlichen Afrikas und des Amazonasbeckens werden zu Wüsten, Nordindien und Pakistan werden von einer Schneeschmelze im Himalaya heimgesucht, und Stürme wüten unaufhörlich. Der steigende Meeresspiegel lässt New York, London, die Niederlande und australische Städte untergehen, und tropische Krankheiten, die viel gefährlicher sind als Covid-19, breiten sich rasch aus. Dumas macht keine weiteren Prognosen, denn die in den ersten drei Szenarien verursachten Schäden "machen es sehr wahrscheinlich, dass drastische Maßnahmen akzeptiert und ergriffen werden".

"Optimale" Krisen gibt es nicht

Solche katastrophalen Ereignisse müssen keine Strafe Gottes sein, um als notwendige Weckrufe zu dienen. Während die Denker der Aufklärung an den linearen Fortschritt des menschlichen Geistes glaubten, kann das Erreichen höherer Stufen des Denkens und Verhaltens tatsächlich zum Teil von extremen Ereignissen abhängen. Die Geschichte bietet ausreichend Beispiele, die diese Ansicht untermauern: Der Zweite Weltkrieg war zum Beispiel eine notwendige Voraussetzung für die Gründung der Europäischen Union.

Das heißt noch lange nicht, dass wir absichtlich das Böse zulassen sollten, um das Gute zu erreichen, wie es die Arzneimittelhersteller in Atwoods Roman zu tun glaubten. Zunächst einmal ist es nicht möglich, "optimale" Krisen zu kalibrieren.

Außerdem sind wir heute weniger geneigt, Robespierre zuzustimmen, dass Terror gerechtfertigt ist, wenn er zur Tugend führt, weil die Theorie vom "notwendigen Preis" des Fortschritts mit den Gräueltaten des Stalinismus und des Hitlerismus in Konflikt geraten ist. "Wir sind in Situationen geraten", schrieb der deutsche Philosoph Karl Jaspers 1948, "in denen wir keine Lust hatten, Goethe zu lesen, sondern uns Shakespeare, Aischylos oder der Bibel zuwandten, wenn wir überhaupt noch lesen konnten".

Aber Faust bleibt dennoch der Elefant im Raum, der ungebetene Gast der Moderne. (Robert Skidelsky, Übersetzung: Andreas Hubig, Copyright: Project Syndicate, 6.1.2022)