Der langjährige Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Anas Schakfeh (links), neben Wolfgang Sobotka. Letzterer war zu Zeiten der Archivaufnahme aus dem Jahr 2016 noch Innenminister für die ÖVP.

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Die großangelegten Ermittlungen gegen angebliche Muslimbrüder und Hamas in Österreich bröckeln – zumindest stellenweise. Erst Anfang November wurde ein Religionslehrer vom Straflandesgericht Graz entlastet, wogegen die zuständige Staatsanwaltschaft vorerst noch Beschwerde einlegte. Nun wurden zwei weitere Verfahren in der Causa bekannt, die fix eingestellt wurden. Diesmal geht es auch um einen prominenten Akteur der muslimischen Community: den Ex-Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), Anas Schakfeh, wie auch die "Presse" berichtete.

Das Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation wurde von der Staatsanwaltschaft Graz eingestellt, "als kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung dieses (...) Beschuldigten besteht", heißt es kurz und knapp in dem Dokument, das dem STANDARD vorliegt. Dieses Schreiben wurde kurz vor Weihnachten an den Anwalt des 78-Jährigen, Leonhard Kregcjk, verschickt.

Schakfeh wurde von Lorenzo Vidino, einem Extremismusforscher der George Washington Universität, in einer Studie zur Muslimbruderschaft in Österreich aus dem Jahr 2017 in die Nähe der syrischen Bruderschaft gerückt. Es sind unter anderem Vidinos Erkenntnisse, auf die sich Ermittler in der Hausdurchsuchungsanordnung beziehen, mit der am 9. November 2020 im Zuge der sogenannten Operation Luxor landesweit Razzien gegen dutzende Beschuldigte durchgeführt wurden. Die Vorwürfe in der Causa wiegen schwer: Es geht um Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Terrorfinanzierung und Geldwäscherei. Schakfeh bestritt stets, etwas mit der Muslimbruderschaft zu tun zu haben.

Davon, dass Schakfeh als Beschuldiger geführt wird, habe dieser überhaupt erst einige Wochen nach den Razzien erfahren, wie er dem STANDARD sagt: "Einvernommen wurde ich nie." Von den Ermittlungen gegen ihn hörte Schakfeh nach eigenen Angaben erst wieder, als das Verfahren gegen ihn nun eingestellt wurde. Nun wisse er wenigstens, dass er Beschuldigter Nummer 72 gewesen sei.

"Mutmaßungen und Spekulationen"

Dass das Verfahren gegen Schakfeh eingestellt wurde, ist ein weiterer Dämpfer von inzwischen doch einigen in den laufenden Ermittlungen. Wesentlichen Anteil daran hat das Oberlandesgericht Graz.

Dieses erklärte im August die Razzien bei insgesamt neun Beschuldigten für rechtswidrig. Dazu gehörten auch die Räumlichkeiten der "Gemeinnützigen Privatstiftung Anas Schakfeh", in deren Beirat der ehemalige IGGÖ-Präsident sitzt und gegen die das Verfahren noch anhängig ist. Dem Gericht erschien die Beweislage in den genannten Fällen offensichtlich als zu dünn. Deshalb wies es auch ganz allgemein darauf hin, dass sich die Verdachtsannahmen nicht in bloßen "Mutmaßungen und Spekulationen" erschöpfen dürften, sondern "sich aus einer Bewertung zugänglicher Beweisergebnisse ableiten lassen müssen".

Mittlerweile wurde zudem ein zentraler Vorwurf der Staatsanwaltschaft in dieser Causa infrage gestellt: der Terrorverdacht. Die Ermittlungen drehen sich zwar um eine islamistische Millionenbewegung ägyptischen Ursprungs, aus der beispielsweise die terroristische Hamas hervorging oder der Jihadismus-Vordenker Sayyid Qutb. Doch aufgrund der "Vielfältigkeit" der Bewegung, die Ennahda-Partei in Tunesien etwa erkennt die Demokratie an, könne nicht jeder Muslimbruder automatisch als Terrorist gelten, befand das Oberlandesgericht. Als Terrororganisation gilt die Muslimbruderschaft weder in der Europäischen Union noch in Österreich. Hierzulande sind allerdings ihre Symbole verboten.

Etliche Beschlagnahmungen aufgehoben

Das Oberlandesgericht hinterfragte auch die Informationen, die der sogenannte "anonyme Hinweisgeber" lieferte. Jener Mann, der ebenfalls Beschuldigter in der Causa ist, skizzierte den Ermittlern nicht weniger als den mutmaßlichen Führungszirkel der Muslimbruderschaft in Österreich. Seine Ausführungen landeten fast wortgleich auf der Anordnung für die Razzia. Zumindest im Falle eines Beschuldigten monierte das Gericht, dass der Hinweisgeber weniger "zugängliche Tatsachenwahrnehmungen" geliefert haben dürfte, sondern "primär Einschätzungen".

Ende November hatte das Oberlandesgericht auch noch den Beschwerden von Beschuldigten gegen mehrere Beschlagnahmungen von Liegenschaften stattgegeben. Darunter befanden sich fünf, die im Besitz der Schakfeh-Stiftung stehen. Erneut mangelte es laut Gericht an "Verdachtssubstrat", also an Beweisen, die eine Beschlagnahmung weiterhin gerechtfertigt hätten. (Jan Michael Marchart, 27.12.2021)