Es war der Abend vor der Verkündung des bisher letzten Lockdowns, als noch unausgesprochen die Entscheidung fiel. Die SPÖ-Spitze war sich weitgehend einig, der schwarze Landeshauptmann der Steiermark, Hermann Schützenhöfer, hatte sich schon öffentlich dazu bekannt, und auch die Grünen verständigten sich im kleinen Zirkel darauf: Es brauche eine Impfpflicht – auch wenn sie eigentlich keiner je wollte.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, Kanzler Karl Nehammer und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein hatten am Sonntag die Eckpunkte zur Impfpflicht erklärt und verteidigt.
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Der Kanzler hieß damals noch Alexander Schallenberg. Der war zu dieser Zeit, Mitte November, damit beschäftigt, einen Lockdown für alle zu verhindern – was ihm bekanntlich nicht gelungen ist. Am 19. November wurde nach dem Landeshauptleutetreffen am Tiroler Achensee – zu dem auch Kanzler und Gesundheitsminister geladen wurden – in einem Aufwasch das neuerliche Hinunterfahren des Landes und die Einführung einer Impfpflicht verkündet. Und das, nachdem zuvor alle Beteiligten immer wieder beteuert hatten, dass es dazu nie kommen werde. Warum also der Meinungsumschwung damals? Und was ist innerkoalitionär in der Sache seither geschehen?

Kein Herzensanliegen

Fest steht: Die Entscheidung für die Impfpflicht fiel kurzerhand in einer nächtlichen Sitzung; davor war sie niemandes Herzensanliegen. Und trotzdem hat das Projekt einen hohen Stellenwert bekommen. Es würde der neu zusammengesetzten Regierung als Versagen ausgelegt, wenn sie daran scheitert. Das weiß man auch in der Koalition.

In den vergangenen Tagen und Wochen haben im Kanzleramt und Gesundheitsministerium deshalb zahlreiche Treffen mit Expertinnen und Experten stattgefunden. Einig seien sich die meisten darüber gewesen, dass eine Impfpflicht grundsätzlich zulässig sei. In anderen Punkten habe es hingegen durchaus Differenzen gegeben – etwa darüber, ob Schwangere von der Impfpflicht erfasst sein sollen oder nicht.

Der größte rechtliche Knackpunkt war jedoch der Zeitpunkt, ab wann die Impfpflicht in welcher Form gelten soll. Anders als insinuiert wurde, tritt die Impfpflicht nicht mit 1. Februar in Kraft, sondern eigentlich Mitte März, wenn sie dann auch kontrolliert wird. Für die Regierung sei jedoch klar gewesen, dass man den angekündigten Februar-Termin nicht verschieben will. So wurde das Vorhaben eben in "drei Phasen" unterteilt – in der ersten Phase wird die Bevölkerung nun nur über die neue Pflicht informiert.

Administrative Schwierigkeiten

Dahinter stecken auch technische und administrative Schwierigkeiten. Im Jänner gab die zuständige Elga GmbH bekannt, dass die Umsetzung der Impfpflicht in Form von Anschreiben, die an Ungeimpfte gehen sollen, frühestens ab April möglich sei. Die Probleme waren schon lange davor bekannt. DER STANDARD hatte im Gesundheitsministerium ab Dezember mehrfach angefragt, ob es zu Verzögerungen komme. Die Antwort lautete stets, es laufe alles nach Plan. Dann kam es doch etwas anders.

Aber wer hatte die Impfpflicht nun eigentlich forciert? Bei den Grünen soll es der Gesundheitsminister selbst gewesen sein, dem die Idee im Spätherbst doch immer schlauer erschien. Mückstein, so erzählen es Grüne, habe von seinen Experten im Haus immer wieder zu hören bekommen, dass die Impfquote dringend erhöht gehöre, wenn das Gesundheitssystem geschützt werden solle. Lockdowns hatten sich mehr und mehr abgenützt. Mückstein soll – ähnlich wie viele in der ÖVP – argumentiert haben, dass man das öffentliche Leben nicht mehr ständig aufs Neue lahmlegen könne. Bevor er ins Auto stieg, um zum Achensee zu fahren, holte er sich von Vizekanzler Werner Kogler und der grünen Klubchefin Sigrid Maurer das Okay: Die Grünen würden einer Impfpflicht zustimmen.

Schwarze Machtspiele

In der ÖVP bahnte sich zu dieser Zeit gerade das Chaos an. Sebastian Kurz war noch Klubchef, Schallenberg beharrte auf den Losungen, die der junge Altkanzler ausgegeben hatte: Für Geimpfte sollte die Pandemie vorbei sein. Die schwarzen Landeshauptleute arbeiteten hingegen gerade an ihrer Rückeroberung der innerparteilichen Macht. In Niederösterreich hatte ein paar Tage vor dem Treffen am Achensee der Präsident der Industriellenvereinigung die Politik aufgefordert, eine Impfpflicht einzuführen. Es war dann auch Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die in den Verhandlungen gesagt haben soll: Gut, ein Lockdown für alle, aber dafür kommt die Impfpflicht. Die anderen zogen mit.

In der Koalition soll das Projekt später zu keinen gröberen Auseinandersetzungen mehr geführt haben. Bei den Grünen sind sich manche nicht ganz sicher, ob es mehr am Thema oder am neuen Kanzler lag. (Katharina Mittelstaedt, 17.1.2022)