Ein paar Schritte von der U-Bahn-Station Alser Straße entfernt wird bemerkenswert gut sizilianisch gekocht.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Nackerte Tische, ausdrucksarme Weine aus sizilianischer Massenproduktion und eine Musikauswahl, die das Italo-Sortiment von Radio Wien (Gianna Nannini bis Toto Cotugno) ziemlich exakt abdeckt; außerdem Öffnungszeiten bis tief in die Nacht, um auch gestrandeten Nachteulen noch den einen oder anderen Schluck über die Budel schieben zu können: Auf ersten Blick scheint sich Cucina Ballerini, gürtelnah auf der Hernalser Hauptstraße gelegen, nicht als Adresse für einen köstlichen Abend zu empfehlen.

So kann man sich täuschen. Betreiber Riccardo Ballerini stammt aus Trapani im äußersten Westen Siziliens, ist wegen seines achtjährigen Sohns aus einer früheren Beziehung in Wien und kann kaum Deutsch, dafür aber wirklich kochen. Paolo-Conte-Timbre und tiefe Ringe unter abenteuerlustigen Augen hat er noch dazu – passt gut in diese Vorstadt-Tschumsen.

Mit der unbedingten Authentizität der Zutaten, die italienische Restaurants sonst mit sakralem Gestus vor sich hertragen, hält sich der Mann nur mittelbar auf. Manches, wie der fantastische, luftgetrocknete Thunfischrogen ("Bottarga"), die milden Tropea-Zwiebeln, die roh über Meeresfrüchtepasta gelegten, roten Shrimps aus Mazara del Vallo im Süden Trapanis oder ein abgehoben aromatisches Zitruspesto, kommt natürlich aus der Heimat.

Von weit her

Aber der Thunfisch, laut Selbstbeschreibung das "Herz" von Ballerinis Küche, ist aus dem Südindischen Ozean, die Garnelen (groß, mit Kopf) aus vietnamesischer Salzwasserzucht. So ist das halt in einem Land, das Meeresfisch in erster Linie als ausländisch und ergo irgendwie anrüchig wahrnimmt: Ziemlich viel Gutes aus den nahen Meeren kommt so gar nicht erst zu uns, vergleichsweise fragwürdige Massenware aus industrieller Zucht und Fischerei von der anderen Seite des Globus aber alleweil.

Linguine mit Mies- und Jakobsmuscheln sowie den rohen, geschälten Sizilien-Shrimps und Meeresspargel
Foto: Gerhard Wasserbauer

Antipasti-Teller um 32 Euro für zwei Personen wirkt an so einer Adresse wagemutig – die Tiegel, Tellerchen und Schüsseln, die da aufgefahren werden, haben es aber in sich: zart schmelzende, kaum süße Caponata mit Melanzani, Stangenzeller, Mandeln, Kapern und Oliven; Salat aus knackig gegartem Oktopus, mit Olivenöl aus Ballerinis eigenem Hain bei Trapani; saftige Orangenfilets, wieder mit der exemplarisch milden Zwiebel, Fenchel und schwarzen Oliven – zum "Neutralisieren des Gaumens zwischen den Happen", raunt Ballerini; Bruschette mit eingelegten Sardellen auf roh marinierten Zucchini; nochmal Bruschetta, mit Paradeisern und frisch gehobelter Thun-Bottarga, südliche Aromenwucht, die einen aus den Winterstiefeln hebt; Tartare vom dunkelroten Thun mit Avocado (leider nicht vom Ätna!), extrem pur, seidig, unanständig geiles Mundgefühl; und schließlich kurz gebratene Streifen vom Thunfischbauch, die in dem bereits erwähnten Pesto aus Mandarinen, Orangen, Grapefruit baden, ein zart schmelzender Rausch der Aromen, irrsinnig gut.

Marsalalala!

Die Pasta kocht Ballerini auf der wienerischen Seite von al dente, die Salse und Sughi können es aber ebenso: Linguine mit Mies- und Jakobsmuscheln sowie den rohen, geschälten Sizilien-Shrimps und Meeresspargel zum Beispiel, sehr gut. Oder Carbonara, regelkonform mit Guanciale, Pecorino und Parmesan, wunderbar cremig, mit herrlich fettem, mürbem Backenspeck.

Wer dann noch kann, lässt sich noch mehr Thunfisch grillen, der ist geradezu cremig zart, so kurz wie Ballerini ihn von der Hitze küssen lässt. Oder, weil nur Fisch auch fad wird: Scaloppine al Marsala, der Klassiker mit der unwiderstehlichen Salsa aus dem oxydativ ausgebauten Wein der Insel. Der wird einem hinterher zum Cannolo auch noch gereicht – am Schnitzel schmeckt er aber besser. (Severin Corti, RONDO, 21.1.2022)

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