Nach einem Blechschaden hängt niemand gern in der Warteschleife. Auch Versicherer selbst widmen sich lieber anderen Dingen.

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Kurz nicht aufgepasst oder die Distanz falsch eingeschätzt, und schon ziert eine Delle das eigene oder im ungünstigeren Fall ein anderes Auto. Unterm Strich für niemanden eine lustige Situation, vor allem weil es sich um eine Kleinigkeit handelt. Für Versicherungen gehören derartige Schäden zwar zum alltäglichen Programm, doch die Regulierung bindet Ressourcen, das kostet Geld, und das Ergebnis steht in Kaskofällen zumeist im Vorhinein fest: Die Versicherung zahlt.

Selbstlernende Algorithmen, die Muster in eingeschickten Daten erkennen, durchdringen dementsprechend das Versicherungswesen immer stärker. So wickelt etwa der deutsche Versicherungskonzern Allianz seit Oktober vergangenen Jahres Schadensfälle mithilfe einer künstlichen Intelligenz (KI) ab. Insgesamt seien bereits 30.000 Schadensfälle mit dieser Technologie bearbeitet worden, sagt Christopher Iwanowski, Leiter der Abteilung Schadenentwicklung bei dem Münchner Unternehmen, gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

Berechnung auf Basis von Foto

Der Kunde fotografiert den Schaden, schickt die Bilder ein, und die KI berechnet die anfallenden Reparaturkosten. "Kollege Computer" habe in der ersten Phase gute Arbeit geleistet, meint Iwanowski. Ob das Geld direkt überwiesen oder doch ein Mitarbeiter zwischengeschaltet wird, obliegt dem Kunden.

Ebenfalls im Oktober 2020 gab die Uniqa den Startschuss für eine Software, um die Schadensabwicklung zu beschleunigen. Der STANDARD hat berichtet. Gemeinsam mit dem von fünf Österreichern in Berlin gegründeten Start-up Omnius wurde ein digitaler Sachbearbeiter entwickelt. Die Vision sei, alle Sachschäden innerhalb von 24 Stunden abzuwickeln. Das heißt, dass der Versicherungskunde innerhalb von 24 Stunden weiß, ob die Versicherung einspringt und wenn ja mit welcher Summe.

Rriesige Versicherungskonzerne bergen derartige Entwicklungen enorme Einsparungspotenziale. Nicht umsonst gilt dieser Sektor als einer der Vorreiter beim Einsatz von Techniken zur Analyse großer Datenmengen und KI-Praktiken wie Maschinenlernen.

Angst vor Jobverlust

Seit Jahren geht deswegen die Angst eines radikalen Stellenabbaus um. Hören will man in der Versicherungsbranche davon meist wenig, zumeist heißt es, die Belegschaft bekomme dadurch mehr Zeit, sich mit komplexeren Fällen zu beschäftigen. Die vor einigen Jahren prophezeiten Kündigungswellen blieben bisher jedenfalls aus.

Schadensregulierung ist für Versicherungen ein Massengeschäft, bei der Allianz allein arbeiten rund 3000 Menschen in dieser Sparte. Kleinere Marktteilnehmer bekommen durch die Automatisierung überhaupt erst eine Existenzgrundlage – so etwa der deutsche Onlineversicherer Nexible, wo im ganzen Unternehmen 50 Leute arbeiten.

"Wir versuchen, so viel wie möglich zu automatisieren, anders hätten wir gegen die großen Konzerne keine Chance", sagt Technologiechefin des Insurtechs Valentina Brebenaru im Gespräch mit dem STANDARD. Ohne menschliche Interaktion geht es allerdings auch nicht, hat sich bei der 2017 gegründeten Firma gezeigt. "Je näher wir an der vollständigen Automatisierung der Schadensfälle waren, desto unzufriedener waren die Versicherten", sagt Brebenaru. Technologisch wäre alles vollautomatisiert möglich, aber in vielen Fällen brauche es nach wie vor menschliche Unterstützung. Alleinige Kommunikation mit Chatbots reiche nicht.

Baukasten-Konzept

Nexible bietet in Deutschland Kfz- sowie Reise- und Zahnzusatzversicherungen an. Seit Frühjahr 2019 ist Nexible auch in Österreich aktiv, hier beschränkt sich das Angebot allerdings auf Kfz-Haftpflicht. Wie viele Kunden das Unternehmen verbucht, verrät Brebenaru nicht, lediglich starkes Wachstum führt sie an.

Brebenaru sieht einen Trend zu sogenannten "Low-Code-Plattformen". Wie in einem Baukasten lassen sich auf solchen Plattformen neue Produkte konfigurieren, ohne alles eigens programmieren zu müssen.

Frage des Datenschutzes

Während der "Lernprozess" europäischer Versicherungsmaschinen also allmählich anläuft, ziehen die Tech-Giganten aus den USA und China immer weiter davon. In Europa hat Datenschutz Vorrang. Das sei gut und wichtig, sagen europäische Firmen, auch Brebenaru. Sie warnt jedoch, sich nicht täuschen zu lassen. "Wer einen Tesla fährt, schickt seine Daten ohnehin zu einem Server in die USA." Dort würde man mit solchen Daten arbeiten, in Europa sei das nicht erlaubt. Deswegen sei hier die Entwicklung langsamer. Im Sinne der Konsumentinnen und Konsumenten könne man die langsamere Entwicklung aber vertreten. (Andreas Danzer, 23.1.2022)