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Die Auswertung der fäkalen Hochphasen passt zum Anstieg in der Bevölkerungszahl St. Petersburgs.
Foto: AP Photo / Dmitri Lovetsky

Ungewöhnliche Zeugen für historischen Wandel hat ein Forschungsteam an der Ostsee identifiziert: Fäkalien, die im Laufe der Zeit durch Flüsse im Meer landen und sich in Sedimentschichten ablagern, dürften brauchbare Indizien für frühere Umweltbedingungen, Nutztierhaltung und Bevölkerungswachstum sein. Dies berichten die Forscher im Fachjournal "Environmental Research".

Bei den winzigen Stoffen, die sie für ihre Analyse heranziehen, handelt es sich um sogenannte Fäkal-Lipide, also Substanzen im Kot, die sich chemisch wie Fette verhalten. "Wir bestimmen in den Sedimenten Lipide, die für menschliche Fäkalien, aber auch für Exkremente von landwirtschaftlichen Nutztieren charakteristisch sind", sagt der Geowissenschafter Jérôme Kaiser vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, der die Forschungsarbeit gemeinsam mit dem Demografen Mathias Lerch von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) durchführte. Die beiden Arten von Exkrementen – menschlich und nutztierisch – lassen sich auf molekularer Ebene unterscheiden.

Variierender Fäkalgehalt

Die Proben stammen von mehreren Zuflüssen im Ostseeraum, das Team führte zudem unter anderem eine tiefere Sedimentkernbohrung auf See durch. Der Gehalt an Fäkal-Lipiden fällt ganz verschieden aus – nachvollziehbarerweise: "Flüsse, in deren Einzugsgebiet Großstädte liegen oder intensive Nutztierhaltung betrieben wird, zeigen die höchsten Werte", sagt Kaiser.

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Fachleute der Marinen Geologie bereiten hier einen sogenannten Multicorer vor, um aus dem Meeresboden kurze Sedimentkerne zu entnehmen.
Foto: Jérôme Kaiser, IOW

Die Proben aus dem Sedimentkern ließen sich auf den Zeitraum von 1867 bis 2015 datieren. Den Lipidmessungen zufolge stieg der Anteil der Exkremente immer weiter an – mit besonders hohen menschlichen Anteilen in den 1950ern, den späten 1980ern und in den 2010er-Jahren. Dies passt zu den Mustern des Bevölkerungsanstiegs im südöstlichen Ostseeraum, unter anderem in der russischen Großstadt St. Petersburg.

Sauerstoff wird knapp

Der Biomarker könnte für historische Forschung besonders interessant sein, wenn kaum andere Daten zur Bevölkerungsdynamik vorliegen, sagt Kaiser: "Wir wissen, dass diese Moleküle recht lange im Sediment stabil bleiben. Wir können sie nutzen, zum Beispiel um mehr Informationen über das Bevölkerungswachstum zur Zeit der Mittelalterlichen Wärmeperiode zu bekommen."

Die Methode könne auch als Indikator für Überdüngung dienen. Gerade dann, wenn die Überreste in einem relativ abgeschlossenen Meer wie der Ostsee landen, ist dies relevant: Wenn viel Biomasse zusätzlich in Gewässer eingebracht wird, sorgt das für Eutrophierung. Das kann nicht nur in Seen, sondern auch in Ökosystemen des Meeres zu besonders aktiven Algen führen und zu einer knappen Sauerstoffversorgung.

Keine Kloake

Für die Ostsee lässt sich diese zunehmende Abwasserverschmutzung vor allem ab den 1950er-Jahren nachweisen. Abwässer und Düngemittel aus der Landwirtschaft sind stark angestiegen. In der Aussendung des Leibniz-Instituts wird allerdings auch erwähnt, dass die Marker, die in der Studie analysiert wurden, nur in sehr geringen Konzentrationen vorliegen.

Abwässer, die im Meer landen, würden hier dank zahlreicher Klärwerke an der Küste gereinigt und stark verdünnt, betont die Forschungsanstalt – sicherlich auch angesichts der Tatsache, dass es sich um eine beliebte Urlaubsregion handelt: "Nein, die Ostsee ist keine Kloake." (sic, 27.1.2022)