Ricarda Lang bei ihrer Ansprache.

Foto: EPA/CLEMENS BILAN

Omid Nouripour applaudiert.

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Als Ricarda Lang am Samstag Nachmittag zu den Delegierten des Grünen Parteitages spricht, hält sie zunächst mit ihrem Frust nicht hinter dem Berg. "Oh mein Gott", ruft sie erklärt: Das habe sie spontan gedacht, als sie zwei Tage vor dem Treffen ihr positives Corona-PCR-Testergebnis bekam. Somit war klar: Sie kann ihre Bewerbungsrede für das Amt der Grünen-Vorsitzenden nicht im Berliner Velodrom halten. Dort sind ohnehin nur wenige Personen zugelassen. Die Delegierten müssen den Parteitag digital verfolgen.

Und auch die 28-jährige Lang spricht nun von zu Hause zu den Grünen Freundinnen und Freunden. Sie erzählt, dass sie in den vergangenen Wochen oft bedauert worden sei, weil die Grünen jetzt ja regieren. Sie verstehe das nicht. "Regieren ist doch keine Strafe, das ist eine riesengroße Chance", ruft sie. Denn die Grünen "machen Politik nicht nur, ums uns auf die Schulter zu klopfen", sondern um "unsere Lebensgrundlage zu erhalten". Man sei bereit "hart zu arbeiten für jeden Cent, der in die Kindergrundsicherung fließt und für jedes Windrad". Es werde nicht um "Wohlstand gegen Klimaschutz" gehen, sondern um "eine Wirtschaft, die Klimaneutralität zur Grundlage ihres Erfolg macht". Man müsse jetzt beweisen, dass "Klimaschutz und Soziales" zusammen gehören.

Jüngste Parteichefin der grünen Geschichte

"Mein Name ist Ricarda Lang. Ich bin 28 Jahre alt. Ich sehe aus, wie ich aussehe. Und ich bin verdammt stolz darauf, Politik in einer Partei zu machen, in der egal ist, was mir von anderen zugetraut wird", sagt sie dann noch. Lang ist das erste offen bisexuelle Mitglied des deutschen Bundestags. Sie zog im Herbst nach der Bundestagswahl ins deutsche Parlament ein. In sozialen Medien war sie schon oft Zielscheibe von hämischen und hasserfüllten Bemerkungen geworden. Gewählt wird sie mit 75,9 Prozent, sie ist die jüngste Parteichefin in der 40-jährigen Geschichte der Grünen.

Für den "Männer-Platz" gibt es drei Kandidaturen. Der Hesse Mathias Ilka nutzt seine Bewerbungsrede für scharfe Kritik an der eigenen Partei, sie habe während Rot-Grün (1998 bis 2005) "das Kapital entfesselt" die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht. Der nun regierenden Ampel als SPD, Grünen und FDP wirft er "Ratlosigkeit" vor. Torsten Kirschke aus dem Berliner Landesverband, erklärt, er kandidiere, "um zu zeigen, dass auch behinderte Menschen politisch mitgestalten können und wollen". Zudem sei ihm der Kampf gegen Rechtsextremismus wichtig.

"Koch und Kellner spielen"

Der letzte, der sich vorstellt, ist der außenpolitische Experte Omid Nouripour (46). Er erinnert in seiner Rede auch an die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder. Der habe "den ganzen Tag Koch und Kellner spielen wollen" – eine Anspielung an Schröders Dominanz. Jetzt, so Nouripour, sei die Partei aber "in neuen Sphären" und habe "noch so viel vor". Er räumt ein: "Der Koalitionsvertrag ist sicher nicht zu 100 Prozent das, was wir uns gewünscht hätten, aber er trägt eindeutig grüne Handschrift." Die grünen Regierungsmitglieder hätten "einen Knochenjob vor sich". Sie bräuchten "Unterstützung", aber auch eine "selbstbewusste Partei". Denn man wolle bei der nächsten Bundestagswahl "wieder in der K-Frage mitspielen". Das könne gelingen, denn: "Wir haben starke Regierungsmitglieder, eine großartige Fraktion, eine Partei, die klug und entschlossen ist."

Nouripour macht des Rennen bei den Männern ganz klar. Er wird mit 82,5 Prozent der Stimmen gewählt. Ein gemeinsames Foto des neuen Führungsfotos fällt aus, da die mit Corona infizierte Lang ja nicht da ist.

Nach vier Jahren an der Spitze der deutschen Grünen waren am Freitag Annalena Baerbock und Robert Habeck abgetreten. Die beiden sind nun Mitglieder der deutschen Bundesregierung, Baerbock ist Außenministerin, Habeck Minister für Klimaschutz und Wirtschaft. Die Regeln der Partei besagen, dass Mitglieder der Regierung nicht Parteichefs sein können.

Entlastet wurde der von ihnen geführte Vorstand nicht so glatt, wie sie sich es vielleicht gewünscht hätten. 449 Delegierte stimmten für die Entlastung, 111 dagegen, 70 enthielten sich. Vorbehalte gab es bei vielen wegen des Coronabonus', den sich der sechsköpfige Vorstand, zu dem auch Ricarda Lang gehörte, im Jahr 2020 selbst genehmigt hatte. Es gab damals 1.500 Euro pro Person. Parteiinterne Prüfer hatten den Vorgang kritisiert, das Geld haben mittlerweile auch alle zurückbezahlt. Dennoch ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdachts der Untreue zu Lasten der Partei. Der scheidende Bundesschatzmeister Marc Urbatsch räumte im Rückblick Fehler ein: "Klar ist: Mit dem Wissen von heute würden wir solch einen Beschluss nicht mehr fassen. Parteiinterne Kritik daran ist nachvollziehbar und berechtigt." (Birgit Baumann aus Berlin, 29.1.2022)