Die Republik und all ihre Posten werden zwischen den jeweiligen Regierungsparteien aufgeteilt. Das war schon immer so und ist weiterhin so. Das Obszöne an diesem Vorgehen ist den handelnden Parteien offenbar sehr bewusst. Die entsprechenden Sideletter zum Regierungsprogramm werden nicht nur geheim gehalten, ihre Existenz wurde bis vor kurzem überhaupt in Abrede gestellt. Jetzt liegen sie auf dem Tisch, durch Indiskretionen oder Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. In diesen vertraulichen Vereinbarungen geht es um die Postenbesetzung in der Republik – von den Höchstgerichten über Staatsbeteiligungen bis tief hinein in den ORF. Es geht um politische Tauschgeschäfte, um Kopftuchverbot, Pensionen und Budget.

Nicht alles ist verwerflich. Und zwischen den Vereinbarungen der ÖVP mit der FPÖ und jenen mit den Grünen ist ein gradueller Unterschied. Dass Postenbesetzungen besprochen werden, ist argumentierbar und nachvollziehbar. Die Art und Weise, wie hemmungslos und unverschämt die Republik aufgeteilt wird, wo sich die Parteien überall einmischen und ihren Einfluss wahren oder ausbauen, ist aber schlicht skandalös.

Das Verwerfliche daran ist, dass die Parteien Abhängigkeiten schaffen und von Personen in Schlüsselpositionen schließlich auch Loyalität einfordern.

In den Sidelettern geht es um politische Tauschgeschäfte, um Kopftuchverbot, Pensionen und Budget.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Verlässliche Leute

Das grundlegende Problem: Es werden nicht die bestqualifizierten Personen gesucht, diese wären in vielen Fällen außerhalb des direkten Einflussbereichs einer Partei zu finden. Es werden möglichst verlässliche Leute gesucht, die im Sinne der Partei wirken, der sie dank des Karriereschritts noch stärker verbunden sind. Das sind in der Regel nicht die besten Leute. Wer so Karriere macht, ist möglicherweise auch nicht ganz frei von einem charakterlich bedenklichen Wesenszug.

Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass jeder, der von einer Partei auf einen Posten gehievt wird, ungeeignet ist. Es gibt bei ÖVP und Grünen, wahrscheinlich auch bei der FPÖ, kluge Köpfe, die einen tollen Job machen können, die im Ernstfall die Sachlage unbeeinflusst von parteipolitischen Wünschen beurteilen und die Integrität der Entscheidungsfindung über die Loyalität zu einer Partei stellen. Tatsächlich? Das wird eher die Ausnahme, nicht die Regel sein.

Ferner ist zu unterscheiden, wo solche Vereinbarungen strafrechtlich relevant sein können. Es ist ungustiös, wenn Ausschreibungen ad absurdum geführt werden. Heikel wird es, wenn der Kanzler einen Vorstand bestellt, nicht die Aufsichtsräte. Aber in der österreichischen, lange geübten Praxis nimmt man vieles als selbstverständlich hin.

Sebastian Kurz wollte alles besser machen, hat in Wahrheit aber das System der parteipolitischen Freunderlwirtschaft verfeinert. Absurd sind die Namenslisten, die mit der FPÖ angelegt wurden. Nicht ganz so wild, aber immer noch skurril ist der Sideletter, den auch die Grünen bei ihrem Eintritt in die Koalition unterschrieben haben. Solche Geheimabkommen sind Gift für die Demokratie. Eine saubere Politik braucht transparente und nachvollziehbare Entscheidungen und keinesfalls Günstlinge an allen Schaltstellen. Kurz ist politisch an dem krassen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit gescheitert. Dieser Widerspruch tut sich auch bei Vizekanzler Werner Kogler auf. Dem werden die Grünen etwas entgegensetzen müssen, sonst ist auch ihre Glaubwürdigkeit dahin. (Michael Völker, 30.1.2022)