Im Weyerhof bei Mittersill wird die alpine Küche authentisch, aber auch herausragend zeitgenössisch interpretiert.

Foto: Majken Corti

Ein globaler Trend wird aus der alpinen Küche nicht mehr, auch wenn das ein paar illuminierte Touristiker sich so vorstellen und der eine oder andere wurzelechte Küchenheld sich in Verbitterung übt, dass die Küchenweltstars aus Skandinavien das Räuchern und Fermentieren in Wahrheit "nur von uns Berglern abgekupfert" hätten.

Ist natürlich hanebüchener Unsinn und zeugt von der übergroßen Herausforderung, das Wesentliche zu erkennen: Dass sich der hohe Norden vor bald zwei Jahrzehnten aus dem Nichts an die Weltspitze des guten Essens katapultierte, ist zwar schon auch dem tollen Kochen, vor allem aber dem faszinierenden Storytelling und der kommunikativen Begabung von Jahrhundertköchen wie René Redzepi zu verdanken.

Wer eine gute Idee hat, muss sie so erzählen, dass die Welt nicht anders kann, als zuzuhören. Dass der muslimische Migrantensohn Redzepi eine zeitgemäße Ausbildung, jahrelange Auslandserfahrung und exzellentes Englisch mit auf den Weg bekam, ist in Dänemark ganz normal. Bei uns muss sich vor der Welteroberung noch ein bisserl was an der Mentalität ändern.

Echt alpin

Andreas Stotter und Franz Meilinger haben derlei eh nicht vor. Sie kochen nur echt alpin, auf Vorbestellung auch atemberaubend kreativ, aber ohne in platter Attitüde oder klebrigen Klischees picken zu bleiben. Okay, herausragenden Kaiserschmarren haben sie schon im Programm, karamellisiert und mit knackig herben, hausgerührten Preiselbeeren kombiniert. Den gibt es auf der Wirtshauskarte, wie es sich gehört, unter den vegetarischen Hauptspeisen gelistet.

Die Kaspressknödel sind wunderbar stinkige, herrlich knusprige Pucks, die beim Anstechen endlos Fäden ziehen. Sie werden in Rindsuppe serviert und bekommen in der Hauptspeisenversion einen sehr guten, augenscheinlich tagesfrisch gemachten, gemischten Salat zur Seite gestellt.

Rindfleischsulz, ein prachtvoller Fleck auf der Zunge zergehenden Glibbers, wird mit Zwiebeln und Essigmarinade aufgetragen, empfiehlt sich als ideale Vorspeise zu den Freuden des Kaiserschmarren.

Der gebratene Leberknödel ist so mächtig, dass kaum noch Suppe in der Tasse Platz hat, die Spinatspätzle baden in alpin käsiger und kantig abgeschmeckter Champignonrahmsauce, das gold gefleckte Schweinswiener aus dem Butterschmalz – Kalb gibt’s eh auch – ist dem Ideal trotz Preiselbeeren und Pommes auf unheimliche Art sehr nah.

Alpenglühen

Bolognese vom Reh.
Foto: Majken Corti

So richtig aufgegeigt wird am Weyerhof aber, wenn vorab das Überraschungsmenü bestellt wurde. Dann zeigen Meilinger und Stotter, was sie sie drauf haben. Knusprig gebackener Kalbskopf mit Sauerkrautmayo macht schon zum Amuse mächtig Lust auf das Kommende.

Glasierter Schweinsbauch mit fetter Henne, Senfkörndln, eingelegten Maiwipfeln und einem süßen Strich Fichtenhonig zeigt dann, wo die Reise hingeht: Kraftvolle, genuin alpine Aromen, mit sparsam elegantem Gestus zusammengefügt.

Mächtige, roh in fermentiertem Gurkensaft marinierte Chunks vom Saibling sind mit allerhand ätherisch zupackenden Ölen abgeschmeckt, überwältigen mit kühl seidiger Anmutung am Gaumen und vibrieren förmlich vor feiner Säure.

Bolognese vom Reh (siehe Bild) ist noch so ein Beispiel für die unprätenziöse, aber abenteuerlich sicher ins Glückszentrum zielende Küche: Mit geeisten Granten, unreif wie Kapern eingelegten Heidelbeeren, eingerexten Eierschwammerl und allerhand Kräutern abgeschmeckt, wird das nominell einfache Ragout zur köstlichen Auseinandersetzung mit den kargen, mineralisch durchwirkten Aromen des Gebirges.

Dass man vom Weyerhof in kaum einer halben Stunde in Kitzbühel ist, klingt wie eine gefährliche Drohung. Wer dort zu Skiurlaub verurteilt ist, könnte es freilich als Fluchtgrund erkennen. (Severin Corti, RONDO, 4.2.2022)

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