Appeasement ist ein politischer Begriff aus den Dreißigerjahren, mit dem eine Politik ständigen Nachgebens gegenüber Diktatoren bezeichnet wurde. Heute wird über die Gefahr der Beschwichtigung gegenüber der aggressiven Expansionspolitik Russlands diskutiert.

Angesichts der über 120.000 russischen Soldaten an den Grenzen der seit 1991 unabhängigen Ukraine, auch mit der 2014 annektierten Krim, und angesichts Belarus spekuliert man nur darüber, ob der von imperialen Wunschträumen getriebene Herrscher im Kreml mit militärischem Druck die Einsetzung einer freundlich gesinnten Regierung in Kiew, mit einem "kleinen Krieg" die Abtrennung der ganzen Donezk-Region, nicht nur der von Separatisten verwalteten "Republiken" Donezk und Luhansk, erzwingen oder sogar eine größere militärische Aktion riskieren wird.

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Wladimir Putins ist kein Partner, sondern ein eiskalter Feind des Westens.
Foto: AP/Alexei Nikolsky

Anders als bei der Berlin- oder Kuba-Krise vor 1989 würde ein russischer Angriff auf die Ukraine zu keiner militärischen Intervention der USA oder der Nato führen. Die Nato- und EU-Staaten bereiten im Falle eines Angriffs gegen die Ukraine ausschließlich "massive Wirtschaftssanktionen" vor. Diese könnten allerdings auch für den Western enorme Kosten und im schlimmsten Fall sogar die Unterbrechung der russischen Gaslieferungen bedeuten.

Angesichts der in innenpolitisches Chaos versinkenden Biden-Regierung, des um Wiederwahl kämpfenden Emmanuel Macron in Paris und des ums Überleben ringenden Boris Johnsons in London ist die politische und wirtschaftliche Bedeutung Deutschlands größer denn je.

Historische Schuldhypothek

Wohl deshalb tritt der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder gerade in dieser spannungsgeladenen Phase wieder als lautstarker Verteidiger der Politik Wladimir Putins auf und warf schockierend der bedrohten Ukraine "Säbelrasseln" vor. Der "Laufbursche Putins", so der verhaftete Oppositionsführer Alexej Nawalny, ist bei drei russischen Unternehmen unter Vertrag und soll allein als Aufsichtsratsvorsitzender des vom Kreml kontrollierten Ölkonzerns Rosneft 600.000 US-Dollar im Jahr erhalten. Er wirbt nicht zum ersten Mal für die Politik seines engen Freundes Putin.

Beim Verhältnis zu Russland haben die Worte Schröders in Teilen der Partei des SPD-Bundeskanzlers Olaf Scholz noch immer großes Gewicht. Seit kurzem nehmen zwei Schröder-Bewunderer als Co-Vorsitzender bzw. Generalsekretär Spitzenpositionen in der SPD ein. Putin weiß, dass sich viele Deutsche an die historische Schuldhypothek gegenüber Russland und an die Rolle Michail Gorbatschows bei der deutschen Einheit erinnern und eine Leisetreterei gegenüber Moskau wünschen. Putins weltpolitische Ambitionen und seine Geschichtsklitterung zusammen mit der Unterdrückung der Opposition setzen aber das Vermächtnis Stalins fort. Er ist kein Partner, sondern ein von seinen Geheimdiensterfahrungen geprägter eiskalter Feind des Westens.

Auch die Befreiung (Ost-)Österreichs durch die Rote Armee ist keine Berechtigung für eine neutrale Position des gleichen Abstandes zum demokratischen Westen und zum Putin-Regime, wie es der gescheiterte Ex- Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), Mitglied des Aufsichtsrates der russischen Staatsbahnen, uns in einer Wortmeldung im ORF empfohlen hat. (Paul Lendvai, 1.2.2022)