Der Vielredner wurde plötzlich einsilbig. Parteichef Werner Kogler bereitete die Frage der Medien, wie viele Grüne den berühmt gewordenen Sideletter zum Koalitionspakt denn gekannt haben, Unbehagen. "Nur sehr wenige", druckste der Vizekanzler herum, ohne konkreter zu werden.

Verschämt verborgene Absprachen über Personalbesetzungen und politische Reizthemen: Das passt so gar nicht zur Selbststilisierung einer auf Transparenz versteiften Partei. Offenbart sich da der finale Beleg, dass die Grünen ihre Unschuld verloren haben?

Über die Mechanik in der Koalition ist Werner Kogler den Mitstreiterinnen und Mitstreitern an der Parteibasis keine Rechenschaft schuldig – sehr wohl aber über die vertretenen Inhalte.
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Manche Aufregung, da haben die Koalitionspartner recht, ist überzogen. Das Wort "Postenschacher" kommt einem rasch über die Lippen, doch dabei muss scharf unterschieden werden. Verwerflich ist es, wenn Parteien Versorgungsjobs schaffen, Günstlinge an den formellen Entscheidungsträgern vorbei in Schaltstellen hieven. Im türkis-grünen Fall geht es aber im Wesentlichen – mit Ausnahme eines Vorstandspostens in der Finanzmarktaufsicht – um Stellen, die eine Regierung von Gesetzes wegen zu besetzen hat; die komplizierte Gemengelage im ORF sei an dieser Stelle ausgeklammert. Um vorsorglich Streit zu vermeiden, haben ÖVP und Grüne lediglich abgesteckt, wann welche Partei das Nominierungsrecht bekommen soll.

Ob dieser Mechanismus missbraucht wird, hängt stark von der Praxis ab – etwa davon, ob ein Parteibuch mehr als Kompetenz zählt oder ob Bewerbungen bei Ausschreibungen ernst genommen werden. Doch dass eine Regierung in staatlichen Sphären den Einfluss wahrt, ist grundsätzlich vernünftig. Wer sonst soll die Verantwortung übernehmen, wenn nicht die gewählten Vertreter?

Glaubwürdigkeit verspielt

Moralisch fragwürdiger ist aus grüner Sicht ein anderer Aspekt des Sideletters. Über die Mechanik in der Koalition ist Kogler den Mitstreiterinnen und Mitstreitern an der Parteibasis keine Rechenschaft schuldig – sehr wohl aber über die vertretenen Inhalte. Ein Regierungspakt muss laut innergrüner Verfassung vom Bundeskongress abgesegnet werden. Dahinter verbirgt sich nicht bloß Formalismus, sondern ein identitätsstiftender Teil des eigenen Selbstverständnisses. Gern rühmen sich die Grünen, keine autoritär geführte Jasagerpartei zu sein.

Diesen Anspruch hat Kogler weggewischt, indem er potenziell umstrittene Vorhaben – Kopftuchverbot für Lehrerinnen, Aus für die Hacklerfrühpension, Budgetziele – nicht nur am Bundeskongress vorbeigeschmuggelt hat. Selbst enge Mitverhandlerinnen waren offenbar nicht im Bilde. Es ging zwar nur um eine Handvoll Absprachen, doch das ändert nichts am Prinzip: Der Parteichef hat seine Basis hintergangen.

Was Kogler für sich reklamieren kann: In der Sache behielt er bis dato recht. Die von der ÖVP geforderte Festlegung auf das Kopftuchverbot blieb tatsächlich so folgenlos, wie das die grüne Spitze kalkuliert hat, die Abschaffung der teuren Hacklerregelung war völlig richtig. Der von den Grünen als Ersatz ausverhandelte Frühstarterbonus ist eine sinnvollere Lösung.

Der grüne Parteichef handelte realpolitisch also durchaus geschickt – aber eben auch unehrlich. Persönliche Glaubwürdigkeit ist in Zeiten, in denen Ermittlungen der Justiz reihenweise Politikerfassaden einstürzen lassen, ein besonders hohes Gut. Mit den klandestinen Arrangements im Sideletter hat Kogler eine Portion davon verspielt. (Gerald John, 31.1.2022)