"Da wäre man ja verrückt, daraus kein Geschäft zu machen": Ex-"Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt (Bild) im Gespräch mit "Weltwoche"-Verleger Roger Köppel.

Foto: Screenshot Weltwoche Daily

Berlin – Julian Reichelt, 2021 wegen Compliance-Vorwürfen abgesetzter "Bild"-Chefredakteur, hat zuletzt auf Servus TV erklärt, dass er an einer neuen Medienplattform arbeitet. Im Gespräch mit "Weltwoche"-Chefredakteur und -Verleger Roger Köppel erklärt Reichelt, welche "Marktlücke" er im deutschen oder deutschsprachigen Markt sieht.

Die von Reichelt beobachtete "große Marktlücke im Journalismus": "Anti-Establishment sein, nicht gemocht werden, die Mächtigen kontrollieren, recherchieren, hinterfragen." Der aktuelle Journalismus wolle "Establishment sein und definieren", findet Reichelt.

"Großes Thema" für Reichelt ist, dass "die Lebensrealität von Millionen Menschen, ich würde sagen, der Mehrheit in unserem Land, sich in keiner Weise in Einklang bringen lässt damit, was die Menschen in den Medien sehen". Reichelt nennt als Beispiele "Migrationskrise" und Corona-Politik mit aus seiner Sicht "teilweise totalitär klingender Sprache". Medien hätten "viel zu oft und viel zu euphorisch viel zu unkritisch Regierungslinie wiedergegeben", sagt Reichelt.

"Verrückt, daraus kein Geschäft zu machen"

Über zukünftige Pläne sagt Reichelt "nichts allzu Konkretes", er wolle überraschen. Grundsätzlich sehe er als "Phänomen": "Die Berichterstattung in großen Teilen unserer Medien, besonders über das, was Menschen bewegt in ihrem Alltag, lässt sich nicht mehr in Einklang bringen damit, was Menschen in ihrem Alltag erleben. Medien und Alltag des Publikums haben nur noch sehr wenig miteinander zu tun. Das heißt, es gibt in diesem Land Millionen medial Obdachlose. Menschen, die ihre Sicht auf die Welt und wie sie die Welt erleben, nirgendwo in den Medien wiederfinden. Darin sehe ich tatsächlich eine große Marktlücke."

Das jüngste Bundestagswahlergebnis zeige ihm: "Die Mehrheit der Wähler findet ihre Ansichten in den Medien nicht mehr wieder" (laut Reichelt mit wenigen Ausnahmen wie bei Ulf Poschardt in der "Welt".) Der Ex-"Bild"-Chef über diese "medial Obdachlosen": "Da wäre man ja verrückt, daraus kein Geschäft zu machen." (red, 1.2.2022)