Zynischer, kommerzieller, dreister. Rechtzeitig zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele regte Thomas Bach förmlich zur Umdichtung des olympischen Mottos an. Da toppte der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) noch einmal alle Loblieder, die er zuvor schon auf das Gastgeberland China gesungen hatte. Und er sah "dunkle Wolken der wachsenden Politisierung des Sports am Horizont" aufziehen, sah sogar "Boykottgeister" der Vergangenheit wieder "ihr hässliches Gesicht" zeigen. Dazu fällt einem nur noch ein berühmter Filmausschnitt mit dem berühmten französischen Komiker Louis de Funès ein: "Nein!" – "Doch!" – "Oh!"

Der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach.
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Wie das IOC seit der Vergabe den chinesischen Veranstaltern die Mauer macht, das ist an Dreistigkeit tatsächlich kaum zu überbieten. Die Olympischen Spiele, so tönte Bach, müssten "jenseits aller Differenzen und politischen Auseinandersetzungen stehen", nur so könnten sie "die ganze Menschheit in all ihrer Vielfalt zusammenbringen". Die von Bach beschworene "neutrale Haltung" des IOC, sie ist mit einem geflügelten österreichischen Wort gut zu umreißen: Hände falten, Goschn halten!

Österreich, apropos, passt ganz gut ins Bild, schließlich gewinnt ÖOC-Präsident Karl Stoss im IOC unter Bach immer mehr an Bedeutung. Auch der frühere Casinos-General ist einer, dem kein Wort der Kritik an China auskommt. So halten sich denn auch die österreichischen Sportlerinnen und Sportler, ganz anders etwa als nicht wenige deutsche oder US-amerikanische, mit Meinungsäußerungen zurück. Die volle Konzentration gilt dem Sport.

Menschenrechtsverletzungen

Dabei würde China, das aufmuckenden Aktiven fast offen Konsequenzen androhte, nicht wenig Angriffsfläche bieten – manche meinen, so viel Angriffsfläche wie kein anderer Gastgeber von Winterspielen seit Garmisch-Partenkirchen 1936. Staatlich organisierte Menschenrechtsverletzungen an Uiguren, Tibetern und Mongolen sind dokumentiert. Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt. Auf dem diesbezüglichen Index von "Reporter ohne Grenzen" landet China traditionell auf einem der letzten Plätze. Zuletzt hat sich die Lage für Journalistinnen und Journalisten weiter verschlechtert.

Kein Wunder, dass die USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland die Spiele diplomatisch boykottieren. Die EU fand keine gemeinsame Linie, Österreich fand einen österreichischen Weg. Laut Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) reist allein der Pandemie wegen kein Regierungsmitglied nach Peking. Sportminister Werner Kogler (Grüne) erklärte zwar sehr wohl, er lasse Peking wegen der Menschenrechtslage aus, als Boykott wollte er sein Fernbleiben aber auch wieder nicht verstanden wissen. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

Weitaus schlimmer ist, wie sich das IOC verhält und dass sich Bach kein einziges Mal für Menschenrechte im Gastgeberland eingesetzt hat. Chinas drastische Maßnahmen, die eine Corona-Verbreitung verhindern sollen, sind noch das geringste Übel.

Ja, wahrscheinlich wäre kein europäisches Land derzeit in der Lage, ein Event derartiger Dimension zu schupfen. Gutheißen muss man die Spiele in China deshalb nicht. Und wie die Olympier gar von einem Glücksfall zu reden und höchste Töne des Lobs anzustimmen ist schwer daneben. (Fritz Neumann, 4.2.2022)