1964 malte Martial Raysse "Made in Japan. La Grande odalisque"

Am Ende des Tages tun die Füße weh, trotz Sneakern. Google Maps rekonstruiert: Sieben Kilometer habe ich zurückgelegt, sechs Pariser Museen abgeklappert. Treppauf, treppab bin ich durch die verschlungenen Gänge der großen Kunsttanker gelaufen, sogar der Mona Lisa habe ich auf die Schnelle Hallo gesagt. Los ging es morgens um halb zehn beim Musée Yves Saint Laurent, die nächsten Stopps: Musée d’art moderne, Musée d’Orsay, Louvre, Musée Picasso, Centre Pompidou. Ein Sprint durch die Kunstsammlungen, Yves Saint Laurents auf der Spur.

Yves Saint Laurent im Nacktporträt

Musée Yves Saint Laurent

Wer dem 2008 verstorbenen Modedesigner nahekommen will, beginnt in der Avenue Marceau. In diesem Haus wurde Modegeschichte geschrieben. 1974 zog der Designer in das Gebäude unweit der Pont de l’Alma mit Blick auf den Eiffelturm. Drei Jahrzehnte lang arbeitete er auf der Nummer fünf. 2017 wurde hier das Musée Yves Saint Laurent eröffnet. Seither breitet das Haus das Vermächtnis des Designers auf 450 Quadratmetern aus. Herzstück des Museums: das vollgestopfte Atelier mit Bücherwand und Moodboard. Auch die Schau Yves Saint Laurent aux Musées wird an diesem Morgen hier eröffnet, natürlich! Im Salon sagen Madison Cox, Präsident der Stiftung "Pierre Bergé – Yves Saint Laurent" und Initiator der Mammut-Schau, sowie das Kuratorenduo Mouna Mekouar und Stephan Janson "bonjour": Das Nationalheiligtum Yves Saint Laurent ist eine durch und durch französische Angelegenheit. Die erste Station? Nimmt mit hinter die Kulissen, im Mittelpunkt steht die Vorarbeit zu den Modekollektionen: Es lassen sich Skizzen und Schnittmuster entdecken. Mein Highlight: ein Raum, befüllt mit Modellen aus Nesselstoff, die Ende der Achtzigerjahre als Hommage an den Künstler Georges Braque gefertigt wurden.

Musée d’art moderne Paris

Zum Musée d’Art moderne Paris ist es ein Katzensprung. 1937 für die Weltausstellung errichtet, befindet sich das Ausstellungshaus im Ostflügel des Palais de Tokyo. In der luftigen Architektur bekommt die Mode Raum, endlich! Inmitten von Raoul Dufys wahnwitzigem, 600 Quadratmeter großem Bild La Fée Elecricité (ebenfalls entstanden für jene Weltausstellung) sind drei Seidenkleider Saint Laurents aus der Herbstkollektion 1992 ausgestellt.

Raoul Dufys Bild "La Fée Electricité" wird im Musée d’art moderne zur Kulisse für Laurents Seidenkleider

Ich drücke angesichts des Farbfeuerwerks auf den Auslöser. Wer das nicht tut, ist selber schuld. Nach einem Slalom durch die Sammlung weiß ich: Yves Saint Laurent rasterte Mitte der Sechzigerjahre so poppig wie Alain Jacquet, 2001 tupfte er wie der Post-Impressionist Pierre Bonnard, und schnipseln konnte er wie Manet. Die Kunst habe dem Modedesigner zur Beruhigung wie auch als Inspiration gedient, hat einmal sein Kunsthändler verraten. Das glaubt man in dieser Umgebung sofort. Raus aus dem Hinterausgang, den Blick über Seine und Eiffelturm schweifen lassen, weiter!

Yves Saint Laurent ließ sich von Pierre Bonnards "Le Jardin" (im Musée d’art moderne Paris) anregen.

Musée d’Orsay

Wo geht’s denn hier zur Mode von Yves Saint Laurent? "Einmal bis ans andere Ende des Museums", heißt es am Informationsdesk. Vielleicht wäre der Hinweis "zu Édouard Manets Le Déjeuner sur l’herbe und einmal um die Ecke" zielführender gewesen. Beim Anblick der Picknickutensilien und Semmeln im Grünen knurrt mir der Magen. Wenige Meter weiter Saint Laurents Smokings und die Roben, die Marie-Hélène de Rothschild und Jane Birkin 1971 auf dem Proust-Ball trugen. Das Ensemble ist vor dem Schattenriss der Uhr des Musée d’Orsay aufgestellt, ein Postkartenmotiv. Wer sich von der kitschigen Inszenierung von Proust-Fan Yves Saint Laurent nicht abschrecken lässt, stöbert im Grafikkabinett weiter: Da hängen Fotos von Cecil Beaton. Er hat Birkin und de Rothschild 1971 in vollem YSL-Aufputz festgehalten – im selben Jahr setzte sich der Designer übrigens nackt vor die Kamera, Skandal!

1971 entwarf Saint Laurent den grünen Pelz.

Louvre

Yves Saint Laurent neigte zu Depressionen, manche würden sagen: Sein Leben war ein einziger Nervenzusammenbruch. Bei diesem Anblick wären ihm wahrscheinlich die Tränen in die Augen getreten: Im prunkigen Apollosaal des Louvre sind seine goldenen, vom Stickerei-Atelier Lesage mit Pailletten und Kristallen bestickten Jäckchen in Reichweite zu den französischen Kronjuwelen ausgestellt, die Mona Lisa lächelt nicht allzu weit entfernt. Das hat noch kein französischer Modedesigner geschafft.

Picasso Museum

Picasso habe er sich immer am nächsten gefühlt, bekannte Yves Saint Laurent einmal. Die Begeisterung für den Superstar der Kunstgeschichte spürt man im Ausstellungshaus im Marais zum Beispiel, wenn der Modemacher das kubistische Porträt von Schauspielerin Nusch Éluard in eine Jacke übersetzt. Hier herrscht weniger Betriebsamkeit als in den großen Museen, und es sind nur eine Handvoll Kleidungsstücke aus der Herbstkollektion 1979 versammelt. Gut so: Der Dialog zwischen Kunst und Mode, den das Kuratorenteam mit den Ausstellungen anstoßen wollte, er geht im intimen Rahmen auf. Wer wie ich auf den Geschmack gekommen ist, lässt sich kurz vor Ende des Marathons im Museum mit der Schau Picasso – Rodin auf eine weitere künstlerische Konfrontation ein.

Centre Pompidou

Im Centre Pompidou zeigte Yves Saint Laurent 2002 seine letzte Modenschau. Nun fügt sich seine Mode in die Sammlung ein.

Die letzte Station ist selbstverständlich jenem Museum vorbehalten, das 2002 mit viel Tamtam Yves Saint Laurents letzte Couture-Show ausrichtete. Zwanzig Jahre später stehen im Centre Pompidou Paarungen wie Piet Mondrians Komposition in Rot, Blau, Weiß II und Yves Saint Laurents Mondrian-Kleid oder Fernand Légers polychrome Blume und die Hommage von YSL ganz selbstverständlich nebeneinander. Ein letztes Schlendern durch die Sammlung im fünften Stock, die an diesem Abend von vielen Menschen besucht wird. Manche hätten vielleicht nie eine klassische Modeausstellung besucht. Es gibt unangenehmere Zufallsbekanntschaften als jene mit Yves Saint Laurent. (Anne Feldkamp, RONDO, 13.2.2022)

Yves Saint Laurent – inspiriert von Piet Mondrian (zu sehen im Centre Pompidou).

Fotos: EPA / Mohammed Badra; Stéphane de Sakutin, AFP; Jeanloup Sieff, Centre Pompidou; Yves Saint Laurent, Nicolas Mathéus; Adagp, Paris, Centre Pompidou, Philippe Migeat; EPA / Mohammed Badra