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Viele Atomreaktoren in Frankreich sind in die Jahre gekommen. Acht Meiler sind landesweit außer Betrieb.

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Macron hielt seine Ansprache in einer Dampfturbinenfabrik in Belfort.

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Macron machte die Ankündigung am Donnerstag am ostfranzösischen Industriestandort Belfort, wo heute schon Turbinen des Typs Arabelle für Atomreaktoren gebaut werden. Der Präsident will, wie er sagte, die energetische Unabhängigkeit seines Landes sichern, um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.

Als Hauptmittel sieht er die Kernkraft. Sie produziert seit Jahrzehnten gut 70 Prozent des französischen Stromkonsums, unter anderem auch für die in Frankreich verbreiteten Elektroheizungen. Bei seinem Amtsantritt im Jahr 2017 hatte Macron gelobt, diesen Anteil wie schon vorher geplant auf 50 Prozent herunterzufahren und dafür die erneuerbaren Energien zu fördern. Zu diesem Zweck – und auch als Konzession an die Grünen – legte er das elsässische Doppel-AKW Fessenheim still.

Kehrtwende

Nun vollzieht Macron eine Kehrtwende. In Belfort kündigte er den Bau von sechs Druckwasserreaktoren zweiter Generation an. Diese EPR2 sollen bis 2035 Strom liefern. Jeweils paarweise gebaut, sollen sie in Penly (Normandie), Gravelines (Nordfrankreich) sowie entweder in Bugey oder Tricastin (Rhonetal) entstehen. Der Preis für diese Meiler soll sich insgesamt zwischen 50 und 65 Milliarden Euro bewegen.

Macron bestellt zudem Studien für acht weitere EPR2, die bis 2050 ans Netz gehen sollen. Die insgesamt 14 Reaktoren sollen die ältesten der 56 bestehenden Atomkraftwerke ersetzen. Dazu investiert Macron eine Milliarde Euro in den Bau von Minireaktoren (SMR).

Laufzeiten verlängern?

Vermutlich wird die Regierung die AKW-Laufzeit generell verlängern. Denn die ganze französische Atomindustrie steckt in der Krise: Die Reaktoren kommen in die Jahre, doch die Atomingenieure haben ihr Know-how verloren, da sie seit 20 Jahren keinen Meiler gebaut haben. Das rächt sich nun beim Neubau des ersten EPR-Reaktors in Flamanville am Ärmelkanal: Er soll mit mehr als zehnjähriger Verspätung 2023 ans Netz gehen; die Kosten haben sich auf 19 Milliarden Euro bereits versechsfacht.

Wegen technischer Pannen und Korrosion sind landesweit acht Reaktoren außer Betrieb.

Nuklear zur Nettonull

Die in Frankreich seit Charles de Gaulles Zeiten einflussreiche Nuklearindustrie hofft, aus den Fehlern in Flamanville zu lernen. Der Vorsteher von Électricité de France (EDF), Jean-Bernard Lévy, erklärte noch vor wenigen Tagen: "Ohne Atomkraft haben wir keine Chance, die Klimaneutralität zu erreichen." Weiters argumentiert er, China sei daran, Frankreich als zweitgrößte Atomnation (hinter den USA) abzulösen. Viele Länder würden in Zukunft chinesische und russische Reaktoren kaufen, die niedrigeren Sicherheitsstandards entsprächen.

Parallel zum Atomkurs will Macron auch die erneuerbaren Energien ausbauen, und zwar vor allem die Windkraft. An den langen französischen Meeresküsten ist bisher kein einziger Offshore-Windpark in Betrieb. Nach Macrons Vorstellung sollen es bis 2050 deren 50 sein. Wie der Präsident die teilweise heftigen lokalen Widerstände in der Normandie, der Bretagne und am Atlantik brechen will, vermochte er nicht zu sagen. Dafür will er im gleichen Zeitraum die Fläche der Sonnenkollektoren verzehnfachen, wie er erklärte.

Es hagelt Kritik

In den ersten Reaktionen auf die Ankündigung drang viel Kritik durch. Greenpeace wirft dem Staatschef vor, er handle vor der Präsidentenwahl im April "opportunistisch". Auch der grüne Präsidentschaftskandidat Yannick Jadot fragte, warum Macron das AKW Fessenheim abgeschaltet habe, jetzt aber neue Meiler baue. Und warum er sich 2015 für den Verkauf des französischen Industrieflaggschiffs Alstom an die amerikanische General Electric starkgemacht habe – um das Geschäft nun wieder für teures Geld zuhanden von EDF zurückzukaufen.

Auch die konservative Präsidentschaftskandidatin Valérie Pécresse geißelte Macrons Wankelmut: "Er hat Fessenheim geschlossen und wirft nun wieder die Kohlenwerke an." Die nuklearfreundliche Rechtsextremistin Marine Le Pen erklärte ebenfalls, Macron verfolge den nationalen Atomkurs nur halbherzig. (Stefan Brändle aus Paris, 11.2.2022)