In der Berichterstattung trifft man sie meist unter der Bezeichnung "Monsterwellen" an, doch man kennt sie auch als Kaventsmänner oder, im Englischen, Rogue- oder Freakwaves: plötzlich auftauchende meterhohe Wasserwände im offenen Ozean. Die wachsende Zahl von Zeugenberichten wurde lange als nautische Folklore abgetan.

Inzwischen ist man klüger: Spätestens seit 1995 rund 160 Kilometer vor der Küste Norwegens ein regelrechtes Gebirge aus Wasser auf die Ölbohrplattform Draupner-E traf, ist klar, dass hier keineswegs nur Seemannsgarn gesponnen wird. Bei diesem Phänomen kommt es allerdings nicht nur auf die Höhe an: Ein internationales Team berichtet nun von einem besonders extremen Freakwellenereignis vor der Küste von British Columbia, das in gewisser Hinsicht alle bisherigen Beobachtungen in den Schatten stellt.

Küstennahe Wellen, wie hier nahe der portugiesischen Stadt Nazaré, entstehen beim Zusammenspiel von Wind, Küstenform und Meeresboden. Freakwaves dagegen tauchen auf offener See auf und sind mindestens zweimal so hoch wie die Wellen in ihrem Umkreis.
Foto: EPA/CARLOS BARROSO

Keineswegs Einzelereignisse

Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2017 weiß man inzwischen, dass Monsterwellen durchaus häufiger auftreten als gedacht: In einem Sturmgebiet können sich demnach kleinere Varianten im Durchschnitt bereits zweimal pro Tag auftürmen. Die Giganten unter den Freakwaves kommen immerhin noch alle drei Wochen einmal vor. Als Kerngebiete für die Entstehung von Riesenwellen gelten insbesondere während der Wintersturmsaison der Nordatlantik und die Region vor der nordamerikanischen Pazifikküste.

Wie es zu diesem gefährlichen Hochseephänomen kommt, lässt sich in einigen Aspekten mathematisch und im Labor zumindest "nachbauen". Versuche in runden Becken weisen beispielsweise darauf hin, dass Kollisionen zweier Wellen in einem bestimmten Winkel zu Freakwaves führen können. Um die Ausmaße und Seltenheit von Monsterwellen zu erfassen, gelten unterschiedliche Kriterien. Nach absoluter Höhe zählte die Draupner-Welle von 1995 mit fast 26 Metern schon zu den Rekordhaltern.

Video: Das Frachtschiff MV Metsaborg vs. Monsterwelle.
Rogier Boer

Proportional eine Riesin

Per Definition ist eine Monsterwelle mindestens doppelt so hoch wie die Durchschnittswellen in ihrer Umgebung. Die Draupner-Welle beispielsweise war 25,6 Meter hoch, der Seegang betrug zu diesem Zeitpunkt in der Gegend hingegen etwa zwölf Meter. Die im November 2020 in der Nähe von Ucluelet, Vancouver Island, von einer Forschungsboje registrierte Riesenwelle war mit 17,6 Metern zwar nicht die höchste ihrer Art. Bedenkt man ihre Größe aber im Vergleich zu den Wellen um sie herum, dann war sie beispiellos: Annähernd dreimal so hoch wie ihre Kolleginnen stieg die Krone der Ucluelet-Welle empor.

"Proportional gesehen ist dies wahrscheinlich die extremste Roguewave, die jemals aufgezeichnet wurde", sagt der Physiker Johannes Gemmrich von der University of Victoria, der gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Fachjournal "Scientific Reports" über die Messungen berichtet. "Bisher konnten erst einige wenige Riesenwellen direkt beobachtet werden, und etwas in dieser Größenordnung war nie darunter."

Video: Simulation der ungewöhnlichen Riesenwelle von Ucluelet.
ScienceAlert

Gefahr für die Seefahrt

Glücklicherweise haben weder die vier Stockwerke hohe Wasserwand von Ucluelet noch die Draupner-Welle ernsthafte Schäden angerichtet oder Menschenleben gefordert. Andere Freakwaves dürften in der Vergangenheit aber durchaus für das Sinken von Schiffen verantwortlich gewesen sein, was die Erforschung dieses Phänomens umso wichtiger macht. Hinzu kommt, dass jüngere Studien auf eine Zunahme von Anzahl und Durchschnittshöhen von Monsterwellen hindeuten.

Monsterwellen haben übrigens wenig mit Tsunamis gemein. Da die Wellenhöhe eines Tsunamis auf dem offenem Ozean sehr niedrig ist und erst in Küstennähe zu zerstörerischer Größe emporwächst, läuft er unter einem Schiff praktisch unbemerkt durch. Eine Monsterwelle türmt sich dagegen nicht nur auf hoher See auf, sie besitzt auch eine äußerst steile Flanke, die mit hoher Geschwindigkeit daherkommt. Trifft eine solche Welle frontal auf ein großes Containerschiff, muss es punktuell mit enormen Kräften fertigwerden, für die es normalerweise nicht ausgelegt ist. Wird ein solches Schiff seitlich getroffen, ist das Kentern beinahe unvermeidlich. (tberg, red, 14.2.2022)