Die New Yorkerin Stella Schuhmacher spricht im Gastblog mit dem Fotografen Martin Schoeller über seine Porträts von Holocaust-Überlebenden.

Barack Obama für "GQ Magazin". Angela Merkel für "Glamour". Taylor Swift für "Time". Arnold Schwarzenegger für "Spiegel". Martin Schoeller hat sie alle fotografiert. Schauspieler, Politiker oder Musiker für die Covers der bekanntesten Zeitschriften der Welt. Er wurde 1968 in Deutschland geboren, lebt seit 30 Jahren in New York und ist einer der herausragenden zeitgenössischen Porträtfotografen. Anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor zwei Jahren fotografierte er 75 Holocaust-Überlebende in Israel. Daraus ist die Ausstellung und das Buch „Survivors: Faces of Life after the Holocaust“ entstanden.

„Als Deutscher, durch meine Erziehung in der Schule, hatte ich fast eine Identitätskrise. Ich fragte mich immer, was hätte ich gemacht? Auf welcher Seite wäre ich zur Zeit des Nationalsozialismus gestanden? Ich habe mich schuldig gefühlt“, erklärt Martin Schoeller seine Motivation für das Projekt. Die Gräueltaten des Nationalsozialismus ließen ihn nicht los. „Wie war es möglich, dass so viele Menschen daran mitgearbeitet haben, es ignoriert haben und selbst zu Tätern geworden sind?“ So ist sein Beitrag zum Thema entstanden. Er will, dass sich vor allem jüngere Menschen mit dem Holocaust beschäftigen. Auch ist er mit einer Jüdin verheiratet. Somit hat die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eine persönliche Seite für ihn.

Ausgewählte Covers von Martin Schoeller.
Collage: Martin Schoeller

Making-of "Survivors"

Das Fotoshooting für „Survivors“ fand in Jerusalem im World Holocaust Remembrance Center von Yad Vashem statt. Das Gedenkzentrum wählte die Überlebenden, darunter zahlreiche ehemalige Gefangene in Konzentrationslagern, aus. „Das war eine große Erleichterung für mich. Auszusuchen, wer fotografiert wird, wäre sehr kompliziert. In Yad Vashem zu fotografieren, schafft außerdem Vertrauen und Glaubwürdigkeit", meint Schoeller. Zwei Wochen lang fotografierte er täglich zwischen sieben und zehn Überlebende.

Die Begegnungen mit den Überlebenden und ihre Lebens- und Familiengeschichten berührten Schoeller zutiefst. „Viele haben beim Fotografieren spontan begonnen, ihre Geschichten zu erzählen. Die Überlebenden schätzten, dass ein Deutscher kommt und sich für sie nach so vielen Jahren interessiert. Das war herzerweichend.“ Eine Frau war allerdings schockiert und zuckte zusammen, als sie hörte, dass er Deutscher sei. Emotional war das Fotoshooting eine große Herausforderung, meint Schoeller. „Ich habe sehr viel geweint.“

Schoeller im Gespräch mit einem Überlebenden beim Shooting in Jerusalem.
Foto: Martin Schoeller

Während der Arbeit stellte er zu seiner Überraschung fest, dass viele Überlebende Deutsch sprachen, obwohl sie aus Rumänien, Ungarn, Bulgarien oder Griechenland stammten. „Sie haben in ihrer Kindheit zu Hause Deutsch gelernt, in der Hoffnung, nach Deutschland ziehen zu können.“ Deutschland war damals der Wunschort vieler Juden aus dem Osten, erzählten sie Schoeller. „Dass dann gerade wir dieses Verbrechen begangen haben, erschüttert mich sehr.“ Pro Person war eine halbe bis eine Stunde für das Fotografieren eingeplant. „Aber manche Überlebende haben begonnen, mir ihre Lebensgeschichten zu erzählen. Es war klar, dass sie dachten, wenn ich noch einmal mit irgendjemandem meine Geschichte teile, dann ist jetzt der Zeitpunkt gekommen.“

Martin Schoeller lernte auch, wie wichtig es ist, beim Thema Holocaust keine Fehler zu machen. Eine kleine Auswahl von Überlebenden wurde gefilmt, während sie von ihrem Leben erzählten. „In Yad Vashem ist man sehr besorgt, dass im Video ein Datum verwechselt wird oder der Name des Konzentrationslagers oder eines Aufsehers nicht richtig ist.“ Was beim fortgeschrittenen Alter der Überlebenden nicht weiter verwunderlich wäre, meint er. „Aber das wird von Holocaustleugnern sofort instrumentalisiert und ausgeschlachtet.“

Rita Goldenberg-Gordon, 1920, Wien. Floh mit einem Kindertransport.
Foto: Martin Schoeller
Moshe Ha-Elion, 1925, Griechenland. Überlebte Auschwitz-Birkenau und Todesmarsch nach Mauthausen.
Foto: Martin Schoeller
Artemis Meron, 1928, Griechenland. Überlebte Auschwitz-Birkenau.
Foto: Martin Schoeller
Yona Benson, 1928, heutiges Litauen. Konzentrationslager Stutthoff und Arbeitslager in Estland.
Foto: Martin Schoeller

Wanderausstellung

Die erste Ausstellung der Porträts fand im Zollverein Essen in einer ehemaligen Mine statt, einem Unesco-Weltkulturerbe. Angela Merkel traf zur Eröffnung mit ihrem Hubschrauber ein und hielt die Eröffnungsrede. Die deutsche Luftwaffe flog Mitarbeiter von Yad Vashem und einen Überlebenden aus Israel ein.

Angela Merkel hielt die Eröffnungsrede.
Foto: Martin Schoeller
Ausstellungsräume in einer aufgelassenen Mine in Essen.
Foto: Martin Schoeller
Ausstellungsräume Essen.
Foto: Martin Schoeller

Zurzeit ist die Ausstellung „Survivors“ in Maastricht zu sehen. Auch in Schoellers Galerie in New York waren die Porträts ausgestellt. Obwohl Schoeller mit Holocaust-Museen mögliche Ausstellungen plant, wäre es ihm am liebsten, die Porträts einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Lily Gombash, 1930, heutiges Kroatien. Überlebte Auschwitz-Birkenau.
Martin Schoeller
David Gur, 1926, Ungarn. Widerstandskämpfer. Zionist Youth resistance movement.
Foto: Martin Schoeller
Marta Wise, 1934, heutige Slowakei. Überlebte Auschwitz-Birkenau.
Foto: Martin Schoeller

Ende der Glanzzeit der Magazinfotografie

Generell findet es Schoeller spannend, wenn er seine Fotos mit einer Geschichte verbinden kann. Eine Porträtserie über Native Americans zum Thema Sklaverei, oder zur politischen Spaltung der Vereinigten Staaten fände er interessant. Die Glanzzeit der Magazinfotografie ist seiner Meinung nach vorbei. „Früher konnte man spielerisch arbeiten, verrückte Ideen umsetzen. Schauspieler waren bereit, ein Risiko einzugehen.“

New York ist für ihn immer noch die Metropole der Fotografie und für Künstler weiterhin sehr attraktiv. Auch die einzigartige Energie der Stadt ist noch immer da. „Man kann hier Gas geben. Trotz Pandemie spüre ich die Energie wieder.“ New Yorker seien ein lustiges Volk und jeder komme von woanders her. „Es gibt hier so viele Charaktere und Extreme, zum Beispiel die Biker-Kultur, Tätowierungen, Bodybuilding oder Drag Queens. Das hat hier eine andere Dimension als in Europa und ist für einen Fotografen daher auch sehr spannend.“ (Stella Schuhmacher, 25.2.2022)

Martin Schoeller Studio

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