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Das völlig überraschende Siegerinnenfoto nach der Kür: die Zweite Alexandra Trusowa, Olympiasiegerin Anna Schtscherbakowa und die Dritte Kaori Sakamoto.

Foto: AP/David J. Phillip

Kamila Walijewa wurde von Trainerin Tutberidse getröstet.

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Viktor Pfeifer plädiert dafür, ein Mindestalter einzuziehen.

Foto: privat

Wird sie die Nerven behalten? Wird die 15-jährige Russin Kamila Walijewa, schon im Teambewerb mit Russland voran, tatsächlich auch den olympischen Solobewerb an erster Stelle beenden? Da gab es etliche Kundige, die kaum daran zweifelten. Doch sie wurden eines Besseren, eigentlich eines Schlechteren belehrt. Nach einer fehlerhaften Kür samt Sturz fand sich Walijewa, die Führende nach dem Kurzprogramm, nur an vierter Stelle wieder. Aus einem russischen Triple- wurde ein Doppelsieg, Gold und Silber gingen an Anna Schtscherbakowa und Alexandra Trusowa, über Bronze freute sich Kaori Sakamoto aus Japan. Die Österreicherin Olga Mikutina verbesserte sich auf Rang 14.

Also fand überraschend auch eine Siegerehrung statt, das unterschied den Einzel- vom Teambewerb. Da wie dort droht Walijewa die nachträgliche Disqualifikation, ihr wurde bei einem Dopingtest im Dezember das verbotene Herzmittel Trimetazidin nachgewiesen, nach einem Sportgerichtshofurteil hatte sie unter Vorbehalt auch solo antreten dürfen.

Auch Viktor Pfeifer hätte auf einen Sieg Walijewas getippt. Für den Vorarlberger, der sich nach seiner Aktivenkarriere als Coach in den USA einen Namen gemacht hat und in Peking die als Siebente bestplatzierte US-Läuferin Alysa Liu betreute, steht die Klasse der Russin außer Frage. "Ihr Trainingsumfang ist so viel höher als jener der anderen, deshalb hat sie so einen Trainingsvorsprung und damit so eine Sicherheit, dass sie es eigentlich nicht aus der Hand geben konnte." Eigentlich.

Ein unglaublicher Erfolg

Für Pfeifer sind es die vierten Olympischen Spiele, dreimal war er als Aktiver dabei, 2006 (22. Platz), 2010 (21.) und 2014 (26.). Er war EM-Achter 2013 und achtmal österreichischer Meister. In Peking war er mit seinen 34 Jahren einer der jüngsten Coaches, die an der Bande standen. Seine umstrittene russische Kollegin Eteri Tutberidse kennt er "vom Hallo-Sagen", ihren Erfolg mit dem Moskauer Verein Sambo-70 nennt er "gewaltig": "Ich glaube nicht, dass es jemals schon eine so erfolgreiche Trainingsgruppe gab."

Seit Jahren führt Tutberidse reihenweise junge Mädchen an die Weltspitze. Deren Erfolg ist oft von kurzer Dauer, bestes Beispiel dafür ist Alina Sagitowa, die mit 15 Jahren in Pyeongchang 2018 Olympiasiegerin wurde, aber seit zwei Jahren keinen Wettkampf mehr bestritt. Pfeifer: "Junge Mädchen haben vor der Pubertät gewisse körperliche Vorteile. Wenn sie leicht sind, können sie mit viel Training eine Sprungkraft entwickeln, die Vierfachsprünge ermöglicht. Die Russen haben das enorm forciert. Aber gesund ist das natürlich nicht."

Und zwar weder gesund für die Läuferin noch gesund für die Sportart insgesamt. "Die enorme Belastung im Training führt oft zu Verletzungen", sagt Pfeifer. "Und wenn sich eine verletzt, war es das. Dann stehen die nächsten Talente parat." Dem Eiskunstlauf schade Russlands Herangehensweise. "Man sollte die Besten wiedererkennen und über Jahre verfolgen können." Dass hohe Trainingsintensität und medikamentöse Begleitung einander nicht ausschließen, will Pfeifer in dem Zusammenhang nicht gesagt haben, es ist aber auch kein Geheimnis.

Ein anderes Mittel

Als das Herzkreislaufmittel Meldonium Anfang 2016 auf die Dopingliste gekommen war, sagte Tutberidse in einem Interview: "Da mussten wir etwas anderes finden." Im Übrigen sei Meldonium "kein Doping" gewesen. Das Mittel helfe nicht, "höher, stärker oder schneller zu springen", es stärke schlicht und ergreifend den Herzmuskel.

Alysa Liu, um die sich Viktor Pfeifer erst seit November kümmert, ist knapp neun Monate älter als Walijewa. Auch sie hatte als 14-Jährige schon einen Vierfachen drauf, er ist ihr mittlerweile abhandengekommen – weil in den USA zwar gut trainiert, aber nicht gedrillt werde, sagt Pfeifer. Man achte – das sei auch eine Folge des Missbrauchsskandals im Turnsport – nun sehr "auf die physische und psychische Entwicklung" junger Sportlerinnen und Sportler. Auch in vielen anderen Ländern hat diesbezüglich laut Pfeifer ein Umdenken eingesetzt. In Russland nicht.

Dass Tutberidse vom Eislauf-Weltverband als weltbeste Trainerin ausgezeichnet wurde, habe in der Szene für Ärger gesorgt, sagt Pfeifer. "Weil ja alle wissen, welche Methoden dahinterstehen." Der Vorarlberger hofft, dass der Skandal auch positive Auswirkungen hat. Er wäre dafür, ein Mindestalter einzuführen, entweder bei Großevents generell oder auch nur für Vierfachsprünge. Wenn 15-Jährige maximal dreifach springen oder gar nicht erst antreten dürfen, wäre das "für unseren Sport sicher gesund".

Bach offen für Diskussion

IOC-Boss Thomas Bach zeigte sich am Freitag offen für eine Diskussion über ein Mindestalter bei Olympischen Spielen. "Wir haben angefangen, in der Exekutive darüber nachzudenken", sagte er. Er bezeichnete die Bilder vom Kür-Auftritt als "verstörend".

Deutschlands zweimalige Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt hatte ein Mindestalter für Athletinnen und Athleten gefordert. "Die 15-Jährigen gehören in die Jugendspiele, dafür wurden diese ins Leben gerufen". (Fritz Neumann, 18.2.2022)

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