Die repatriierten Schädel aus Hawaii fanden sich unter dem Schlagwort "Sandwich Islands" im Inventar, weswegen sie zunächst nicht gefunden wurden. Die Bezeichnung stammt von James Cook, der die Inseln 1778 "entdeckte". Ein Gemälde aus dem Saal XVI im NHM von Ludwig Hans Fischer (1848–1915) stellt deren indigene Bevölkerung dar.

Foto: Naturhistorisches Museum Wien

In den letzten zwei Wochen reiste eine Delegation der hawaiianischen Indigenen Hui Iwi Kuamo'o durch Deutschland und Österreich, um geraubte menschliche Überreste ihrer Ahnen zurückzuholen. 58 Gebeine, die meisten davon Schädel, wurden auf Drängen der Gruppe repatriiert. Sie werden nun zurückbestattet. Auch aus dem Naturhistorischen Museum wurden zwei Schädel zurückgegeben.

Im Depot identifiziert werden konnten diese erst durch die Mithilfe der Indigenen bei der Recherche: Denn sie waren nicht unter Hawaii, sondern unter "Sandwich Islands" inventarisiert, jenem Namen, den James Cook den Inseln in der Kolonialzeit gab.

Beide Köpfe wurden nach der Plünderung von Grabstätten auf der Insel O'ahu um 1850 durch den englischen Geologen William Lowthian Green erworben. Über den englischen Arzt Joseph Barnard Davis gelangten sie wahrscheinlich an den österreichischen Arzt und Schädelforscher Augustin Weisbach (1837–1914). Teile seiner Sammlung wurden damals an das NHM Wien übergeben.

Museumschefin Katrin Vohland und Sammlungsleiterin Sabine Eggers über ein schwieriges Thema.

STANDARD: Zu welchem Zweck kamen diese Gebeine im 19. Jahrhundert überhaupt ins Naturhistorische?

Vohland: Der Zweck war die Forschung. Die Frage, wie Menschen miteinander verwandt sind, wo sie herkommen, wie wir entstanden sind, beschäftigt uns bis heute. Das ist prinzipiell auch keine verwerfliche Frage.

Eggers: Problematisch wurde es ab dem Moment, als es darum ging, rassistisch zu klassifizieren und zu hierarchisieren. Das erklärt, warum wir in der Sammlung fast nur Schädel haben. Weil man damals dachte, man könne "Rasseneigenschaften" am Schädel feststellen.

STANDARD: Haben diese Sammlungen denn irgendeinen wissenschaftlichen Wert, oder sind sie letztlich nur eine rassentheoretische Verirrung?

Eggers: Die Schädelsammlungen waren tatsächlich stark rassistisch motiviert. Um frühere Lebensweisen der Menschen zu rekonstruieren, bräuchte man außer dem ganzen Skelett auch bioarchäologische Daten. Diese sind für solche Schädelsammlungen meist nicht vorhanden. Würde man zum Beispiel Genom- und Isotopenanalysen durchführen wollen, müsste man Gewebsproben entnehmen, das heißt, bohren. Das ist ethisch fragwürdig und wird von uns nur noch mit Erlaubnis der Herkunftscommunitys, so es welche gibt, gemacht.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), NHM-Generaldirektorin Katrin Vohland und US-Botschafterin Victoria Reggie Kennedy mit der Delegation des Office of Hawaiian Affairs (v. li.).
Foto: APA

STANDARD: Geht der Wissenschaft durch Rückgaben etwas verloren?

Eggers: Manche Anthropologen würden sagen ja, andere nein. Es ist wichtig, in jedem Einzelfall abzuwägen. Im aktuellen Fall ist es so, dass die Bedürfnisse der hawaiianischen Herkunftscommunity als gewichtiger zu bewerten waren und der Unrechtskontext belegbar war.

STANDARD: In der Debatte um koloniales Raubgut gehen menschliche Überreste neben den Kulturgütern oft unter. Aber sind diese Bestände nicht ethisch noch dringlicher?

Eggers: Ja, diese Fälle sind für mich dringlicher und meist auch klarer zu bewerten. Denn niemand von uns wäre damit einverstanden, wenn die Grabstätten unserer Großeltern ausgeraubt und zerstört würden. Auch die menschlichen Überreste sind Kultur, sie sind Träger von Identitäten und Traditionen.

Vohland: Im Falle von Hawaii war die Herkunftsgesellschaft sehr gut organisiert, und da wusste man, dass die Rückgaben in den richtigen Händen sind. Es gab aber international auch schon Fälle, wo an die Falschen restituiert wurde. Also wichtig ist, dass man sich Zeit lässt, alles gut recherchiert und im besten Fall eine langfristige Beziehung zu den Herkunftsgesellschaften aufbaut, die auch zu gemeinsamer Forschung führen kann.

STANDARD: Wie viele Gebeine mit problematischer Herkunft befinden sich in der NHM-Sammlung?

Eggers: Wir sind gerade dabei, das im Auftrag des Kulturministeriums herauszufinden. Wir haben in der anthropologischen Sammlung 40.000 Inventarnummern, die verschiedenen Individuen zuzuordnen sind. Davon sind etwa 3000 international, und bei einigen davon könnte ein kolonialer Kontext bestehen, etwa Grabräubereien wie im Falle von Hawaii.

STANDARD: Würden Sie auch von sich aus an Ursprungsregionen herantreten und Repatriierung anbieten?

Vohland: Bei der NS-Provenienzforschung ist es aktuell so, dass wir gesetzlich verpflichtet sind, der Republik Österreich zu melden, wenn wir bei der Recherche auf Unrechtskontexte stoßen. Die Republik tritt dann an die potenziellen Empfänger heran. Ich könnte mir vorstellen, dass wir das beim Kolonialismus künftig genauso handhaben.

STANDARD: Frau Vohland, Sie sitzen in der neu geschaffenen Kommission von Weltmuseum-Direktor Jonathan Fine, die Regeln für den Umgang mit diesen Beständen schaffen soll. Was erwarten Sie sich davon?

Vohland: Die Erwerbskontexte sind sehr unterschiedlich und komplex, da müssen wir für Klärung sorgen. Wichtig wird auch die Frage sein, welche Motive für Rückgabeforderungen wir für legitim erachten wollen. Im Falle Hawaiis betraf es die Rückführung menschlicher Überreste von Familienmitgliedern, die dort rückbestattet werden. Wenn eine Rückgabe aber beispielsweise einzig der politischen Profilierung dienen würde, wäre sie eventuell abzulehnen. (Stefan Weiss, 20.2.2022)