Die Dreharbeiten zu "Tyler Rake 2" haben in Wien Aufmerksamkeit erregt. Im Gastkommentar kritisiert Alfred J. Noll – der Anwalt ist Generalsekretär des Interessenverbands Film Austria – die "Unbedachtheit österreichischer Filmwirtschaftspolitik".

Die Netflix-Dreharbeiten zu "Tyler Rake 2" in Wien haben für Aufsehen gesorgt. Der mediale Sturm aber wird sich legen, und es wird in Österreich weitergehen wie bisher. Und es geht nicht gut hierzulande. Immerhin zwei Dinge werden bleiben: Österreich darf sich rühmen, der Produktion eines Blockbusters mit dürftiger Geschichte und "verdammt starken Actionszenen" 1,5 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln nachgeschmissen zu haben. Und das österreichische Publikum kann stolz darauf sein, dass der ehemals "Sexiest Man Alive" Chris Hemsworth sich zu einem unvergänglichen und die Annalen der Regierungspolitik schmückenden Selfie mit der Frau Staatssekretärin bereitgefunden hat.

Und Action! Staatssekretärin Andrea Mayer am Set mit dem Star der Netflix-Produktion, Chris Hemsworth.
Foto: Netflix / Jasin Boland

Was aber sollte verkehrt daran sein, wenn wir dabei helfen, dass Netflix abseits von Österreich ein paar Millionen US-Dollar Gewinn aus dieser Produktion zieht? Was sollte dagegen sprechen, wenn wir uns als gut zahlende Werkbank eines Multis prostituieren? Tun das nicht alle? Und geht nicht ein guter Teil der hier verausgabten Produktionskosten in Löhne und heimische Dienstleistungen?

Ja, so kann man argumentieren. Und Andrea Mayer tut das auch, wenn sie behauptet, dass diese Produktionen "auch Anknüpfungspunkte für heimische Filmunternehmen bieten". Gerade das aber stimmt nicht.

Die wirtschaftlichen Perspektiven der Filmwirtschaft in Österreich sind düster: Gewiss können wir auf dem Feld der Herstellung von Bewegtbildern prozyklisch die großen Gewinner der Pandemie unterstützen, also uns darum bemühen, für Amazon, Disney, Netflix, Sky, Apple etc. möglichst gute Produktionsbedingungen zu schaffen. Wir locken sie mit unseren Steuergeldern aus ihren Steueroasen und hoffen, dass sie bei uns nach Maßgabe ihrer nach Milliarden spähenden Gewinnerwartungen produzieren lassen. Dahinter steckt die Überlegung: immer noch besser, sie lassen bei uns produzieren, als dass sie woanders produzieren.

"Die Filmwirtschaft wird so rasch der bloße Erfüllungsgehilfe internationaler Großkonzerne."

Wenn wir diese Strategie verfolgen, dann sollten wir freilich auch dazusagen, dass man damit gleichzeitig die Produktionsbedingungen für die heimische Filmwirtschaft ruiniert: Österreichische Filmproduktionsfirmen müssen sich dann nämlich zunehmend darauf ausrichten, sich selbst als möglichst günstige Serviceproduzenten zu optimieren. Die Filmwirtschaft wird so rasch der bloße Erfüllungsgehilfe internationaler Großkonzerne – wobei diese Servicedienstleistungen absehbar in anderen Ländern billiger angeboten werden können und der einzige Unterschied nur noch darin bestehen wird, wie viel die öffentliche Hand jeweils "beisteuert". Bei "Tyler Raker 2" waren es 1,5 Millionen Euro aus einem Topf, der eigentlich für Kinofilme reserviert ist, hier aber einem Streaminganbieter mit einer Extraförderung gewährt wurde – die Überschreitung der festgeschriebenen FISA-Fördergrenze um gut 350.000 Euro war wohl der Preis, den die österreichischen Steuerzahlerinnen und -zahler für das Selfie mit der Frau Staatssekretärin bezahlen mussten.

"Der 'österreichische Film' stirbt."

Wie aber wird eine österreichische Filmwelt aussehen, wenn wir uns zunehmend nur noch als Werkbank für eine milliardenschwere Filmindustrie andienen? Österreich ist als Markt derart klein, dass nicht damit zu rechnen ist, dass genuin österreichische Bezüge zum Produktionsinhalt für internationale Streamingproduktionen werden. Gleichzeitig werden die Entwicklung und Produktion österreichischer Inhalte fürs österreichische Publikum zurückgehen. Der "österreichische Film" stirbt.

Das mag recht altmodisch klingen. Es wird ja das heimische Filmschaffen ohnedies gefördert. Ja, aber die Sache ist eben kompliziert.

Veraltete Förderlandschaft

Aufgrund der regen weltweiten Produktionstätigkeit der Streamer herrscht Vollbeschäftigung in der Branche. Das ist gut so. Gleichzeitig schlägt sich dies in einem enormen Anstieg der Löhne und Gagen nieder. Arbeitskräfte werden ringsum gesucht – und jene, die in der österreichischen Filmwirtschaft ausgebildet wurden, landen nun verständlicherweise bei den internationalen Monopolproduzenten und stehen dem heimischen Filmschaffen entweder nicht mehr oder nur noch zu horrenden Preisen zu Verfügung. Diese Summen finden sich dann in den Förderungsanträgen und Kalkulationen für eingereichte Projekte, die wiederum durch die öffentliche Hand teilfinanziert werden. Wer sich die "großen" Filmmultis durch Steuergeschenke ins Land holt, der verteuert damit gleichzeitig die Filmproduktion in Österreich – während gleichzeitig der ORF darauf drängt, dass die Produktionskosten für fiktionale Produktionen unbedingt gesenkt werden müssten!

Gibt es einen Ausweg aus dieser Situation? Gewiss, man muss nur danach suchen. Ein erster Weg wäre es vielleicht, wenn die Politik die Zeit der klamaukhaften Selfie-Produktion dafür verausgaben würde, mit der österreichischen Filmwirtschaft zu sprechen. Im Gespräch könnte dargelegt werden, warum die Förderlandschaft den Anforderungen und Herausforderungen des beginnenden 21. Jahrhunderts nicht mehr gewachsen ist.

"Stupid Austrian Money"

Tatsächlich wird seit Jahren im Wege der Untätigkeit fast alles unternommen, um die Filmwirtschaft gegenüber dem Ausland zu benachteiligen. In allen angrenzenden Ländern gibt es Steuermodelle zur Finanzierung von Filmproduktionen – in Österreich hat man ein derartiges Modell zwar in die Regierungserklärung aufgenommen, aber es geschieht nichts. Und schließlich müsste in einem derartigen Gespräch die Politik auch Farbe bekennen, wohin die Reise gehen soll: Soll Geld vorwiegend der Produktion österreichischer Filme fürs österreichische Publikum dienen, oder verwenden wir unser Geld dazu, eine auf unsere Unterstützung gar nicht angewiesene milliardenschwere Industrie herbeizulocken – eine Industrie, für die unsere paar Millionen hübsch einerlei sind und die für diese Mittel im Branchenjargon eine schlichte Bezeichnung hat: "Stupid Austrian Money".

Wie posaunt die Frau Staatssekretärin so gefällig: "Internationale Produktionen sind wichtige Impulse für die heimische Filmwirtschaft." Ja, so könnte es sein – so ist es aber nicht. Denn diese generalisierende und selbstberühmende Aussage würde nur dann stimmen, wenn derartige Produktionen vor dem Hintergrund einer blühenden österreichischen Filmlandschaft gedeihen. Und es ist ja fast schon ein Treppenwitz, dass sich ausgerechnet eine grüne Politikerin mit stolzgeschwellter Brust die Realisierung eines machohaften Actionfilms auf ihr als Selfie online gestelltes Fähnchen heftet. (Alfred J. Noll, 22.2.2022)