Frauen gehen durchschnittlich eher zu Fuß und kümmern sich häufiger um die Kinder als Männer. Straßen seien aber oft nicht besonders fußgängerinnenfreundlich gestaltet, kritisieren Stadtplanerinnen.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Lange Zeit waren Städte nicht für den Menschen, sondern für das Auto ausgelegt, sagt die Stadtforscherin Mary Dellenbaugh-Losse. Wohn-, Arbeits- und Freizeitviertel wurden durch "autogerechte" Straßen getrennt. Davon hätten in erster Linie Männer profitiert. "Es ist das Stereotyp vom Mann als Familienernährer, der mit dickem Auto morgens in die Arbeit fährt und am Abend wieder zurückkommt, während die Frau zu Hause bleibt oder mit Kind und zu Fuß unterwegs ist", sagt Dellenbaugh-Losse. Das habe Strukturen geschaffen, die sich nur schwer verändern lassen. "Bis heute sind unsere Städte auf männliches Mobilitätsverhalten ausgelegt."

Seit Jahren setzt sich Dellenbaugh-Losse dafür ein, dass die Bedürfnisse und Interessen von Frauen in der Stadtplanung stärker berücksichtigt werden. Gender-Planning oder geschlechtergerechte Stadtplanung nennt sich der Ansatz. In einigen Städten, darunter auch Wien, ist er seit längerem Teil der offiziellen Verkehrs- und Stadtplanung. Trotzdem gebe es an vielen Orten noch Aufholbedarf bei der konkreten Umsetzung, heißt es von einigen Stadtplanerinnen.

Andere Mobilität

Aber inwiefern soll eine Stadt eher für Männer als für Frauen gebaut sein? Traditionelle Rollenbilder haben sich bereits aufgeweicht, wer heute wann und wo mit dem Auto, zu Fuß oder mit Rad unterwegs ist, scheint sich – zumindest in Österreich – auf den ersten Blick kaum zwischen den Geschlechtern zu unterscheiden.

Trotzdem zeigen Studien immer wieder auf, dass sich Frauen und Männer nach wie vor unterschiedlich fortbewegen. Laut einer Umfrage des VCÖ (Verkehrsclub Österreich) aus dem Jahr 2019 etwa fahren Frauen in Österreich um ein Drittel weniger Kilometer mit dem Auto als Männer. Gleichzeitig legen sie um ein Drittel mehr Kilometer zu Fuß zurück. Werden Städte fußgängerfreundlicher gestaltet, profitieren daher zu allererst einmal Frauen. Zudem würden nach wie vor viele Frauen in Teilzeit arbeiten. Fehlt es an öffentlichen Verkehrsverbindungen außerhalb der klassischen Stoßzeiten eines Nine-to-five-Jobs, seien Frauen laut VCÖ davon meist am stärksten betroffen.

Übernehmen Sorgearbeit

Die Unterschiede würden sich allerdings auch in anderen Bereichen zeigen, sagt Lina Mosshammer, Mobilitätsexpertin und Mitgründerin der Initiative Women in Mobility, die sich in Städten wie Berlin, Bern, London und auch Wien für eine stärkere Sichtbarkeit und Teilhabe von Frauen in der Mobilitätsbranche einsetzt. Frauen seien in der Mobilitätsbranche immer noch unterrepräsentiert. Das führe dazu, dass deren Sichtweisen und Bedarfe in der Planung zum Teil nicht berücksichtigt werden.

Frauen übernehmen etwa häufiger Sorgearbeit, betreuen eher die Kinder und erledigen die Einkäufe. Die Wege, die sie dafür in der Stadt zurücklegen, seien daher eher kettenartig, kürzer und weniger linear als jene von Männern: neben der Erwerbsarbeit die Kinder in die Schule bringen, ältere Angehörige versorgen, einkaufen oder Arzttermine organisieren. Liegen diese Orte weit auseinander oder sind schlecht miteinander verbunden, beanspruche das allen voran die Zeit und Energie von Frauen, sagt Mosshammer.

Anderes Sicherheitsempfinden

Es geht aber auch um die Sicherheit von Frauen in der Stadt, sagt Leslie Kern, Geografin an der kanadischen Mount Allison University, die vor rund einem Jahr das Buch "Feminist City" veröffentlichte. Das betreffe Orte wie Parks, die schlecht beleuchtet oder wenig frequentiert sind, finstere und verwinkelte Tiefgaragen, Straßen und Bahnhöfe, oder abgelegene und kaum kontrollierte öffentliche WCs.

"Frauen sind schon jetzt meist viel wachsamer als Männer und passen ihre Wege in der Stadt ihrem Sicherheitsempfinden an." Um die Sicherheit von Frauen in der Stadt zu erhöhen, sollten Plätze und Parks nicht nur besser beleuchtet, sondern auch durch verschiedene Nutzungsmöglichkeiten, etwa mit zusätzlichen Radwegen, Sitzbänken und Spielplätzen, belebt werden, sagt Kern.

Von schlecht konzipierten Projekten weiß auch Dellenbaugh-Losse zu erzählen. Wie etwa von neuen Bahntrassenunterquerungen, die immer wieder schmal, schwach beleuchtet und mit lediglich einem Ein- und Ausgang geplant werden. Beteiligen sich auch vermehrt Frauen und Bewohnerinnen an dem Projekt, ändere das meistens auch dessen Gestaltung. Die Unterführung wird dann etwa mit tageslichtähnlichen Lampen beleuchtet, breiter angelegt und mit einem zusätzlichen Ausgang ausgestattet. "Es geht nicht nur unbedingt darum, Gewalt zu verhindern, sondern auch darum, das subjektiven Sicherheitsempfinden von Frauen im öffentlichen Raum zu erhöhen", sagt Dellenbaugh-Losse.

Nun ernster genommen

Während Gender-Planning in den 1990er-Jahren noch kaum beachtet wurde, sei der Ansatz in Wien seit einigen Jahren auch verstärkt im Mainstream angekommen, sagt Eva Kail, die seit mehr als 30 Jahren als Stadtplanerin in der Stadt Wien arbeitet und selbst zum Aufstieg des Ansatzes beigetragen hat. Gehsteige werden mittlerweile so breit gebaut, um beispielsweise Eltern mit Kinderwagen und danebengehendem Kind, dem "LKW-Fall am Gehsteig", wie es Kail bezeichnet, genügend Platz zu bieten.

Zudem habe die Stadt bei der Parkgestaltung in einigen Fällen auch aktiv Mädchen eingebunden. Im Bruno-Kreisky-Park oder im Einsiedlerpark etwa wurden die Anlagen offener gestaltet, die Wege besser beleuchtet und teilweise Büsche entfernt, um das subjektive Sicherheitsempfinden von Mädchen und Frauen zu stärken, sagt Kail. "Es bleibt aber nach wie vor viel zu tun, gerade dort, wo Stadtstrukturen bereits seit langem gewachsen sind."

Stereotype aufbrechen

Aber birgt Gender-Planning nicht auch die Gefahr, Rollenbilder zu verstärken, die ohnehin bereits überholt sind? Zum Beispiel wenn wir Städte so bauen, dass es "für Frauen" leichter gemacht wird, mit dem Kinderwagen zu fahren oder Versorgungsleistungen zu übernehmen? "Diese Gefahr besteht durchaus", sagt Dellenbaugh-Losse. Gerade deshalb müsse es gleichzeitig darum gehen, Geschlechterstereotype aufzubrechen, etwa indem auch Mädchen im Unterricht auf Skate- oder Basketballplätzen spielen. Seien Orte wie Spielplätze, Parks, Supermärkte und Schulen leichter zu Fuß erreichbar, ermögliche das auch Vätern eher, Betreuungs- und Versorgungsleistungen zu übernehmen, sagt Dellenbaugh-Losse.

Für Mosshammer geht die gendergerechte Stadtentwicklung Hand in Hand mit dem Aufbrechen von Rollenbildern. Sie plädiert für die "Stadt der kurzen Wege", in der alle Orte des Bedarfs sicher mit dem Rad oder zu Fuß erreicht werden können. Dafür brauche es künftig – auch in Wien – breitere Rad- und Gehwege, verkehrsberuhigtere Straßen und eine noch bessere Vernetzung zwischen Öffis, Car-Sharing und anderen Mobilitätsangeboten.

Alle profitieren

Vorzeigebeispiele sieht die Expertin in Helsinki, wo die Geschwindigkeit von Autos auf 30 Stundenkilometer begrenzt und Fahrbahnen klar abgegrenzt wurden, was die Zahl der Verkehrstoten auf null reduziert habe, aber auch in den "Superblocks" in Barcelona und der 15-Minuten-Stadt in Paris. "Letzten Endes profitieren nicht nur Frauen, sondern alle Bewohner einer Stadt von diesen Veränderungen", sagt Mosshammer.

Am Ende soll "Gender-Planning auch dem Klima nützen. "Würden sich Männer – salopp formuliert – wie Frauen fortbewegen, dann wären wir beim Klimaschutz heute schon wesentlich weiter, als wir es sind", sagt Dellenbaugh-Losse. Die gewaltige Stadtfläche, die wir derzeit für Autos und Parkplätze zur Verfügung stellen, führe zu einer weiteren Überhitzung und häufigeren Überschwemmungen. Die nachhaltige Stadt sei deshalb eine mit weniger oder gar ohne Autos und damit künftig vor allem eines: "menschenfreundlicher". (Jakob Pallinger, 26.2.2022)