In der EZB stellt man sich wegen des Krieges bereits auf einen Konjunkturdämpfer ein. Die Lage ist brenzlig.

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Es herrscht Krieg auf europäischem Boden. Abgesehen von der menschlichen Tragödie, die ein Krieg immer ist, bringt er auch wirtschaftlich eigene Mechanismen mit sich. Kurz nach dem Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine kamen die ersten Preisschocks bei Erdöl, Gas und Agrargütern, Börsen spiel(t)en verrückt, außerdem beeinflussen wirtschaftliche Sanktionen den globalen Handel.

Auch ohne Krieg stünde die Welt heuer vor einem wirtschaftlichen Richtungswechsel. Nach jahrelanger Nullzinspolitik veranlasst die grassierende Inflation Notenbanken dazu, die Leitzinsen zu erhöhen. In den USA etwa steht der Schritt kurz bevor.

Christopher Waller, Direktoriumsmitglied bei der US-Notenbank Fed, hat in der Nacht zum Freitag trotz des Kriegs die Möglichkeit einer kräftigen Zinserhöhung in den Raum gestellt. Sollte die Inflation weiter steigen, gebe es gute Argumente für eine Zinserhöhung um 0,5 Prozent in der nächsten Sitzung Mitte März oder je 0,25 Prozent in den kommenden zwei Tagungen.

Zinserhöhung erwartet

An den Finanzmärkten wird fest mit der ersten Zinserhöhung in den USA seit Beginn der Pandemie gerechnet, auch wenn der Krieg und die möglichen negativen Folgen für die Weltwirtschaft die Aussicht auf die 0,5-Prozent-Erhöhung eher gedämpft haben.

Was macht die Europäische Zentralbank (EZB)? Die Entscheidungsträgerinnen und -träger in Frankfurt gaben sich beim Leitzins schon vor Kriegsausbruch zögerlich. In der Eurozone stieg die Teuerung im Jänner auf 5,1 Prozent, dass die Zinswende in Europa vor Jahresende beginnt, galt dennoch als unwahrscheinlich. Betrachtet die EZB den aktuellen Preisschock als temporär, wird sie den zurückhaltenden Kurs weiter rechtfertigen.

Lohn-Preis-Spirale

Je länger die Inflation so hoch bleibt, desto stärker werden die Erwartungen von Marktteilnehmern beeinflusst. Eventuell verfestigt sich die Inflation dauerhaft über höhere Lohnforderungen. Dann droht die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale, auch wenn die Anzeichen dafür noch nicht groß sind. Allerdings trübt ein Krieg wirtschaftliche Aktivitäten, die Erholung nach der Pandemie gerät vielleicht wieder ins Stocken. Höhere Zinsen könnten konjunkturelle Abkühlung beschleunigen.

"Die Tragweite ist für den Euroraum eine ganz andere als die für die USA. Die Ereignisse stellen einen eindeutig negativen Angebotsschock dar, der die Konjunktur dämpft und die Inflation in die Höhe treibt", sagt Katharine Neiss, Volkswirtin beim Vermögensverwalter PGIM.

Konjunkturdämpfer

Auf einen Konjunkturdämpfer stellt sich die EZB laut Insidern bereits ein. Beim Treffen der EZB-Spitze in Paris habe Chefvolkswirt Philip Lane unterschiedliche Szenarien vorgelegt, berichtet Reuters. Ein mittleres Szenario sehe vor, dass das Bruttoinlandsprodukt der Eurozone heuer um 0,3 bis 0,4 Prozent geschmälert werde, ein extremeres Modell fast sogar ein Prozent, und ein weiteres unterstelle praktisch keine Folgen – das gilt aber als unwahrscheinlich. Eine Inflationsprognose gab er nicht ab, doch er hat signalisiert, dass die Vorhersage für 2022 wohl deutlich angehoben wird.

"Wegen des unbeständigen Umfelds wird sich die EZB ihre Optionen offen halten und die vergleichsweise restriktive Haltung bekräftigen", vermutet Neiss.

Die andere Seite

Und was passiert auf der "anderen" Seite? Die russische Notenbank hat Unterstützungsmaßnahmen für die sanktionierten Banken angekündigt. Die Zentralbank und die Regierung "werden den von den westlichen Staaten sanktionierten Banken jede nötige Unterstützung gewähren", hieß es am Freitag. Das betreffe vor allem die beiden größten Banken des Landes, die VTB und die Sberbank.

Alle Transaktionen in Rubel sowie alle Kundendienste könnten "wie gewohnt" stattfinden. Die Zentralbank sei bereit, Banken sowohl mit Rubel als auch ausländischen Devisen zu stützen, hieß es weiter. Ohnehin hätten alle Finanzinstitute eine "große Reserve" an Geldmitteln, versicherte die Notenbank. (Andreas Danzer, 25.2.2022)