Nehammer war am Sonntag in der ORF-Pressestunde zu Gast.

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Kiew/Moskau/Wien – Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) steht auch nach dessen fragwürdigen historischen Vergleichen hinter seinem Parteikollegen, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Es gebe keinen Anlass, dass dieser den Vorsitz im laufenden Untersuchungsausschuss zu mutmaßlicher Korruption in der ÖVP abgeben sollte, sagte Nehammer am Sonntag in der ORF-"Pressestunde". Das Gremium selbst, in dem der Kanzler am kommenden Mittwoch als Auskunftsperson auftritt, sieht er auch politisch motiviert.

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Sobotka hatte im von "profil", "Kurier" und "Kronen Zeitung" organisierten Interviewformat "Club 3" den Angriff Russlands auf die Ukraine mit der Situation in Österreich 1945 – der Befreiung vom NS-Regime – verglichen, später als "unpassend" zurückgezogen. Zur Forderung, er solle den Vorsitz im U-Ausschuss abgeben, fand er eine Parallele mit der Ausschaltung des Parlaments 1933, was er später ein wenig präzisierte.

Sobotkas Geschichtsvergleiche bei 26:25 und 36:20.
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Für Nehammer hat Sobotka dessen Aussagen zurechtgerückt. Als U-Ausschuss-Vorsitzender sei er jedenfalls tragbar. Ohnehin könne Sobotka dabei nichts ohne den Verfahrensrichter machen, stellte der Kanzler fest. Zu seiner kommenden Befragung, die sich vor allem auf Nehammers Rolle als einstiger ÖVP-Generalsekretär konzentrieren soll, meinte der nunmehrige Regierungschef, die Überschrift sei "entlarvend genug" und "durchsichtig". Es gehe offenbar darum, politische Arbeit zu vollziehen. FPÖ und SPÖ kritisierten Nehammers Rückendeckung für Sobotka.

Wien als möglicher Verhandlungsort

Der Großteil der "Pressestunde" fokussierte sich auf die Ukraine-Krise. Nehammer brachte Österreich als Verhandlungsort im Krieg zwischen der Ukraine und Russland ins Spiel. "Wir bieten uns an, aber wir biedern uns nicht an", sagte der Bundeskanzler. Voraussetzung dafür sei allerdings ein Waffenstillstand, wozu die russische Seite derzeit "überhaupt nicht willens" sei. Nehammer betonte außerdem die Solidarität mit den Nachbarländern der Ukraine bei der Bewältigung der Flüchtlingssituation.

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Das Innenministerium stehe im Kontakt mit Polen, der Slowakei, Ungarn und Rumänien und sei bereit, Flüchtlinge zu übernehmen, sollte es zu Versorgungsengpässen kommen. "Wir bereiten uns vor, Quartiere sicherzustellen." Bei der Ukraine "handelt es sich um einen Nachbarstaat", sagte Nehammer. "In der Nachbarschaftshilfe war Österreich in der Geschichte immer wieder vorbildlich."

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"Es gab Fehleinschätzungen"

Nehammer betonte: Das, was in der Ukraine gerade passiere, sei von vielen als unvorstellbar erachtet worden. "Wir haben seit 1945 keinen Krieg in Europa, wo ein Land ein anderes überfällt". Auf die Frage, ob Österreich in der Vergangenheit zu russlandfreundlich war, antwortete Nehammer: "Ja, wir haben nicht alles richtig gemacht. Ja, es gab mit Sicherheit auch Fehleinschätzungen." Aber alle Beteiligten hätten mit bestem Wissen und Gewissen agiert.

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Eine Fehleinschätzung sei gewesen, den russischen Präsidenten als berechenbaren Verhandlungspartner zu sehen, was er früher jedoch auch war. Die "Putinversteher" hätten darauf hingewiesen, dass russische Sicherheitsinteressen zu wenig bedacht worden seien. Doch dies "kann niemals Vorwand für Krieg sein". Und er betonte: "Putin will offenbar die Sowjetunion wieder errichten."

Mehr Geld für Sicherheit

Europa müsse nun mehr Geld für seine Sicherheit ausgeben. Konkrete Zahlen für die Erhöhung des österreichischen Verteidigungsbudgets nannte Nehammer nicht. Dem Vorschlag einer europäischen Armee erteilte der Bundeskanzler eine Absage. Eine solche "sehe ich derzeit nicht", sie würde eine Weiterentwicklung der EU und einen demokratischen Prozess bedürfen. Allerdings werde die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU "wichtiger denn je". Die Amerikaner hätten einen anderen Schwerpunkt, nämlich im pazifischen Raum. Von der aktuellen Situation würde in Wahrheit China profitieren.

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Russische Gasabhängigkeit mildern

Nehammer erklärte außerdem, dass Wege beschritten würden, um "uns von russischem Erdgas zu emanzipieren". Mit den Speicherkapazitäten käme Österreich, wenn es zu "Nulllieferungen" käme, bei einem kalten Winter bis Ende März. Im Falle eines "normalen Winters" reichten die Gasbestände bis Ende April. "Nulllieferungen" seien aber nicht eingetreten, "Gazprom liefert bis dato".

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Ein Viertel des österreichischen Energiebedarfs werde durch Gas gedeckt. Wichtig sei es, sich nach Alternativanbietern umzusehen und den Anteil fossiler Energieträger zu reduzieren. Nehammer betonte: "Der Winter ist gesichert", und versicherte auch daran zu arbeiten, dass "auch der nächste Winter gesichert ist". (APA, red, 27.2.2022)