Tiktok sieht sich aufgrund des Krieges zunehmend großen Herausforderungen im Beziehungsmanagement zu den Regierungen in Peking und Moskau und zur Europäischen Union gegenüber.

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Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist auch in sozialen Medien angekommen, wo der militärisch unterlegene Nachbar der Propagandamaschinerie von Putin ihre Grenzen aufzeigt. Auch Tiktok, einst berühmt für Tanzvideos, bildet keine Ausnahme. Der Dienst wird eifrig genutzt, um der Welt zu zeigen, was in der Ukraine passiert. Freilich gibt es zu den Ereignissen aber auch Falschdarstellungen und Desinformation zu finden.

Die große Popularität von Tiktok bringt es auch immer mehr in den Fokus von Politik. Als Service, dessen Mutterfirma Bytedance in China residiert, ist man aufgrund der aktuellen Ereignisse in einer speziellen Lage und gezwungen, am Tisch mit Brüssel, Moskau und Peking zwischen den Stühlen zu tanzen. Eine heikle Angelegenheit, wie die "South China Morning Post" dokumentiert.

Begehrlichkeiten aus Moskau

In der EU trägt Tiktok die Maßnahmen gegen russische Desinformation mit. Innerhalb der Union sind RT (vormals Russia Today) und Sputnik News nicht mehr abrufbar. In Russland hat man sich allerdings den Ärger der Regierung zugezogen. Wenige Tage vor Kriegsausbruch hat Tiktok die staatliche Nachrichtenagentur Ria Novosti, die einst relativ frei berichtete, aber seit 2013 nach einer Umstrukturierung der staatlichen Medien auf Kreml-Linie gebracht wurde, blockiert und ein Video entfernt, das den Evakuierungsaufruf eines Separatistenführers in der Ostukraine zeigt. Einen Tag später wurde Ria Novosti auf Druck der Regierung wieder entsperrt.

Die russische Medienbehörde Roskomnadzor hat nun aber neue Begehrlichkeiten. Kürzlich forderte man Tiktok auf, keine Inhalte mit Militärbezug mehr an Minderjährige zu empfehlen. Ein Verbot in Russland droht dem Dienst aber nach derzeitigem Stand nicht.

Einige Beobachter verstehen die Forderung von Roskomnadzor als einen weiteren Versuch Moskaus, Einblicke in den Krieg – insbesondere solche, die Defizite und Verluste der russischen Armee zeigen – zu zensieren. Vor wenigen Tagen teilte die Behörde unter Sperrandrohung mehreren unabhängigen Medien mit, dass sie die Kampfhandlungen in der Ukraine nicht als Krieg, Invasion oder Angriff bezeichnen dürften. Putins Regierung spricht offiziell von einer "Spezialoperation" zur Friedenssicherung, bei der man die Ukraine – Präsident Wolodymyr Selenskyij ist Jude – entnazifizieren wolle.

Plattform schweigt zu den Ereignissen

Das chinesische Pendant zu Tiktok, Douyin, entfernte seit Beginn der Invasion mehr als 3.500 Videos und über 12.000 Kommentare, die Bezug auf den Krieg nahmen. Man sei gegen Kommentare vorgegangen, die beleidigend waren, sich über den Krieg lustig gemacht haben oder Desinformation verbreiteten, begründete der Dienst die Löschungen. Einen vergleichbaren Umgang, der wohl von den chinesischen Zensurstellen so gefordert wird, zeigen auch andere Social-Media-Plattformen im Land.

Während etwa US-Tech-Konzerne klar Stellung gegen die russische Aggression bezogen haben, hat Tiktok die Ereignisse noch nicht offiziell kommentiert – und wird das womöglich auch nicht. Man bemüht sich um ein Image als neutrale Plattform. Die Haltung ist jener der chinesischen Regierung nicht unähnlich. Diese betonte bei Statements bisher zwar immer die notwendige Achtung territorialer Integrität, sah aber davon ab, den Einmarsch Russlands zu kritisieren. Insbesondere wirtschaftlich haben sich Peking und Moskau in den letzten Jahren enger verzahnt.

Für Tiktok ist es nicht die erste politische Bredouille. Die ehemalige US-Regierung unter Trump warf der Plattform die Bespitzelung ihrer User vor, Whistleblower berichteten über Einflussnahme auf die Moderation aus dem Hauptquartier der Mutterfirma in Peking. Trump wollte – erfolglos – einen Verkauf des US-Unternehmensteils an amerikanische Eigner forcieren. Bytedance hätte seine Tochter an den von Trump-Unterstützer Larry Ellison geführten Konzern Oracle abtreten sollen. Der Deal platzte allerdings, nachdem Joe Biden ins Weiße Haus eingezogen war. Im Rahmen der weiter schwelenden Auseinandersetzung zwischen Indien und China – auch hier geht es unter anderem um Spionagevorwürfe – wurde Tiktok in Indien verboten. (gpi, 2.3.2022)