Im finnischen Pass segelt ein Singschwan durch die Lüfte. Mit weitschwingendem Flügelschlag treibt es ihn vorwärts, und doch kommt er keinen Zentimeter voran. In Schwung gebracht wird der Nationalvogel der Finnen von Menschenhand. Wenn man die Seiten des Ausweises wie bei einem Daumenkino schnell durch die Finger rutschen lässt, macht sich der Schwan auf seinen Weg.

Die Stempel in den kleinen Passheftchen gleichen aufregenden grafischen Autogrammen der einzelnen Länder.
Foto: Twofortnights, Sjjhang, Norwegian Government, Neue Design Studio (alle Wikimedia Commons), iStockphoto, Getty

Wer sich aus dem Nachbarland Norwegen aufmacht, der kann mit seinem Pass auch ein wenig angeben. Auf den Innenseiten präsentieren sich gezeichnet die imposanten Landschaften zwischen Nordkap und Skagerrak in hellen Blau- und Graunuancen.

Den schroffen Bergen der Lofoten geben fein gezogene Linien Anmut und dem Meer eine hauchzarte Wellenschraffur malerische Ruhe. Wenn die gezeichnete Natur unter UV-Licht erstrahlt, wird sie dunkel. Das nachtschwarze Dunkelblau erhellen der Vollmond und das sich am Himmel schlängelnde Nordlicht. Skandinavien ist für kühles und klares Design bekannt. Nun gibt man dort auch bei Reisepapieren die Linie vor.

Bilderbuch der Weltanschauung

Normalerweise werden die schnörkellosen Dokumente erst durch die Insignien der Staaten zu einem Bilderbuch der eigenen Weltanschauung. Der Schriftsteller Kurt Tucholsky notierte 1927, er sehe sich "die blauen und roten Stempel" an und blättere "voller Bewunderung in unlesbaren Unterschriften".

Auf den Innenseiten des norwegischen Reisepasses präsentieren sich gezeichnet die imposanten Landschaften zwischen Nordkap und Skagerrak in hellen Blau- und Graunuancen.
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Diese Spannung ist bis heute geblieben. Allein weil der Pass als weltweite Eintrittskarte gilt, wird er zunehmend zur analogen Selbstpräsentation eines Landes, zu einem dekorativen und historischen Statement, wie der Staat gerne gesehen werden möchte. Dabei bringt moderne Sicherheitstechnik neue gestalterische Möglichkeiten.

Die verblüffenden UV-Licht-Metamorphosen wie im norwegischen Pass sind nicht nur künstlerische Spielereien, sondern Teil eines komplexen Konzeptes, das Gaunern das Fälschen so schwer wie möglich machen soll. Dazu gehört neben besonderem Papier, Wasserzeichen, Hologrammen und Chips das sogenannte Schwarzlicht.

Erst darunter bekommen die soeben im frisch aufgelegten Pass aus Belgien abgebildeten Comic-Helden wie Tim und Struppi, Lucky Luke oder Spirou ihren farbigen Auftritt. Lettland lässt Noten seiner Nationalhymne und das traditionelle Zupfinstrument "Kokle" erst auftauchen, wenn man die Seite schräg unter eine UV-Lampe hält. In anderen Ländern wehen vermeintlich Fahnen im Wind oder erstrahlen über berühmten Gebäuden plötzlich die Sterne eines Feuerwerkes.

Details

Lustiges Klimbim und regionale Traditionen geben den offiziellen Erkennungsheftchen einen Hauch Leichtigkeit. Andere Nationen nützen ihr Aushängeschild zum Reisen als Geschichtsbuch oder um von ihrem Kampf für Unabhängigkeit zu erzählen. Manchmal sind es nur kleine Details, wie in Taiwan, wo die Schrift der Landesnamens größer ist die der "Republik China", die ihrerseits stets betont, Taiwan gehöre zu Festlandchina.

In Angola symbolisieren Macheten, Hacke und Zahnrad den langen Kampf gegen die Kolonialmacht Portugal und eine aufgehende Sonne die Sehnsucht nach einem gerechten Morgen.

Comic-Helden wie Tim und Struppi, Lucky Luke oder Spirou haben ihren farbigen Auftritt im belgischen Pass.
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Neuseeland ehrt die Ureinwohner auf den ersten Blick. Der Umschlag ist schwarz, und darauf glänzen Blätter des Silberfarns, einer für die Kultur der Maori wichtigen Pflanze.

Am augenfälligsten ist der Pass als politisches Instrument wohl zuletzt in Großbritannien benutzt worden, wo die Befürworter eines EU-Austrittes schon in den Dokumenten im einheitlichen Burgunderrot, einer international durchaus weit verbreiteten Farbe für Pässe, die nationale Identität des Inselstaates in Gefahr sahen. Und die im Kampf vor der Abstimmung gerne als Symbol einer "Fremdherrschaft" herhalten musste.

Nach dem Brexit nun gehen die Briten wieder mit außen dunkelblau gefärbten Papieren auf Reisen. Der Ton hat Tradition. Seit 1921 erkundeten die Menschen aus dem Königreich die Welt stolz in Blau. Ganz im Sinne des patriotischen Liedes "Rule, Britannia", in dem es in der ersten Strophe heißt, "als Britannien auf Geheiß des Himmels aus der blauen See entstieg". Blau als Ausweis und Zeichen für die zurückgewonnene Souveränität.

Selbstbestimmung

Wie verwoben die Wirtschaft des Planeten mittlerweile agiert, musste die konservative Community nun trotzdem erleben. Den Hardlinern stößt mächtig auf, dass die neuen Dokumente der Selbstbestimmung ausgerechnet eine französische Firma herstellt und liefert, ein Unternehmen aus der Europäischen Union.

Im kommenden Frühjahr soll es einen überarbeiteten Pass aus der Österreichischen Staatsdruckerei in Wien geben.
Foto: Der Standard/Lukas Friesenbichler

Und der österreichische Pass? Wenn Designexperten über gelungene Kreationen und überraschende Bonmots reden, dann ist bislang vom österreichischen Dokument kaum die Rede. Noch weniger wird eigentlich nur vom deutschen Büchlein gesprochen.

Immerhin soll es im kommenden Frühjahr einen überarbeiteten Pass aus der Österreichischen Staatsdruckerei in Wien geben. Von dort ist zu hören, es sei ein besonderes Anliegen, "zusätzlich zu modernen Sicherheitsfeatures auch ein schönes Dokument zu designen". Man darf sich fragen, ob sich das Amt für Sisi und Franz Joseph entscheidet oder gar einer Figur von Deix Platz macht. (Oliver Zelt, RONDO, 14.3.2022)

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