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Der Versailler Palast ist Hochsicherheitszone.

Foto: AP Photo/Michel Euler

Alles ist bereit für den ersten EU-Kriegsgipfel. Die riesige Schlossanlage von Versailles nahe Paris, seit Mittwoch rote Zone, ist hermetisch abgeriegelt. Und auch vor der orangen Zone drumherum machen die japanischen Touristen ohne Murren kehrt. Nicht einmal ein Foto will der Gendarm zulassen, obwohl doch der Königspalast im Sonnenlicht golden glänzt.

Emmanuel Macron will ein störungsfreies Treffen. Der französische Präsident und EU-Ratsvorsitzende erwartet nach eigenen Worten "historische Entscheidungen". Ursprünglich sollte der informelle Gipfel über das "europäische Wachstums- und Investitionsmodell bis 2030" diskutieren. Jetzt ist das einzige Thema der Krieg in der Ukraine. "Unsere europäische Verteidigung muss in eine neue Etappe gehen", sagt Macron. "Wir können nicht mehr von anderen, namentlich vom russischen Gas, abhängen." Und er gibt seinen Partnern gleich vor: "Da Frankreich heute die erneuerbaren Energien und die Atomkraft entwickelt, werde ich eine Strategie der energetischen Unabhängigkeit vorschlagen."

"Elan ist gewaltig"

Für den Versailler Bürgermeister François de Mazières ist das noch zu weit weg, zu theoretisch. Die 85.000 Einwohner der Stadt wollen zuerst den Flüchtlingen aus der Ukraine helfen. Binnen drei Tagen haben sich über hundert Personen für die Aufnahme von Flüchtlingen eingeschrieben, erzählt der 61-Jährige. Neun "maisons de quartiers", Quartierzentren, sammeln Medikamente, Nahrungsmittel, Kleider und nützliche Objekte wie Kerzen. "Der Elan ist gewaltig", sagt de Mazières. Noch diese Woche sollen drei Lastwagen Versailles Richtung Ukraine verlassen.

Der liberalrepublikanische Bürgermeister ist auch deshalb so entschlossen, weil er eine ungute Erinnerung hat. Im Mai 2017 hatte Versailles schon einmal hohen Besuch. Macron hatte den russischen Präsidenten nur zwei Wochen nach seinem Amtsantritt in den Schlosspalast westlich von Paris eingeladen. Offiziell, um eine Ausstellung über den Besuch von Zar Peter dem Großen im Jahr 1717 beim damals siebenjährigen König Ludwig XV. zu eröffnen.

Unaufrichtiger Putin

In Wahrheit ging es schon damals um die Ukraine-Krise. Wladimir Putin zog bereits alle Register seiner Unaufrichtigkeit: Er behauptete, nicht die Annexion der Krim destabilisiere das Land, sondern die westlichen Sanktionen. Dass russische Hacker während der Präsidentenwahl Gerüchte über Macrons angebliche Homosexualität gestreut hatten sollten, wischte er mit einer Handbewegung weg. Und als ihn Journalisten fragten, warum er im französischen Präsidentschaftswahlkampf die Rechtsextremistin Marine Le Pen im Kreml empfangen habe, erklärte Putin, es gehe ihm um die "Rettung der europäischen Nationen".

Heute, fünf Jahre später, ärgert sich Bürgermeister de Mazières, dass es in Versailles noch Leute gebe, die Putin "verstehen". Wie etwa die Anhänger von Éric Zemmour, dem rechten Präsidentschaftskandidaten. Der fällt derzeit in Umfragen zurück, nachdem er auf einen brutalen Kriegstreiber gesetzt hat ("Ich träume von einem französischen Putin") und gegen die Nato wettert, der auch Frankreich angehört. Auch de Mazières findet, dass sich Zemmour für das Präsidentenamt "diskreditiert" hat. Der Bürgermeister, ein ehemaliger Macronist, unterstützt heute die liberalkonservative Kandidatin Valérie Pécresse, die aus Versailles stammt. Einem Mann wie Zemmour, der gegen die Nato und damit auch gegen Frankreichs eintrete, könne man keine Regierungsgeschäfte überlassen, erklärt die Bürgerliche. Auch Le Pen habe sich von Putin kaufen lassen, habe sie doch von einer ihm nahestehenden Bank einen Millionenkredit entgegengenommen.

Beschämte Rechtsextreme

Einen Monat vor der Präsidentenwahl sind die Zemmouristen auch in der christlich-konservativen Königsstadt, wo sie bisher viele Anhänger hatten, in der Defensive. Einer von ihnen, Jean Sigalla, Buchhalter in Versailles, verteidigt Zemmour mit einer gewissen Verlegenheit gegen den Vorwurf, der Kandidat lehne sogar Sanktionen gegen Moskau ab: "Auch der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck hat sich eindeutig gegen den Stopp russischer Öl- und Gaslieferungen ausgesprochen." Die Kritik an Zemmours angeblicher Putin-Nähe sei unzutreffend und habe "nur politische Gründe".

Vertreter der starken russischen Diaspora in Versailles äußern sich derzeit gar nicht. Der russophone Verein Antochka beantwortet telefonische Anfragen nicht. Momentan gibt in Versailles die andere Seite den Ton an. Der Bürgermeister etwa oder Pécresse, dazu auch Macron und in Bälde zwei Dutzend europäische Staats- und Regierungschefs. Zumindest in den nächsten Tagen beflaggt sich Versailles nicht mehr mit der Königslilie, sondern in Blau-Gelb. (Stefan Brändle aus Versailles, 9.3.2022)