Auf Komfort für die Spielerin und den Spieler verzichten – ja, das kann "Elden Ring" nur zu gut.

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Wisst ihr noch, als man in Videospielen sterben konnte und nach drei Ableben wieder ganz von vorne starten musste? Heute hat man in den meisten Spielen unendlich Leben, mit kurzen Verschnaufpausen hinter ein paar Fässern sogar regelmäßig volle Energie. Wenn Spiele solche gelernten Rituale brechen, dann werden sie gleich als "ultraschwer" oder "soulslike" bezeichnet. Mit Elden Ring, dem neuesten Spiel von den Souls-Machern From Software, entbrennt jetzt eine weitere Diskussion.

Wie kann man 2022 noch ein millionenfach verkauftes Spiel produzieren, das weder ein richtiges Tutorial bietet noch Wegmarkierungen oder sonstige in den letzten Jahren zum Standard erkorene Komfortfeatures? Was mittlerweile auch bei vielen Spielern Kopfschütteln verursacht, provozierte auch diverse Entwicklerkollegen zu provokanten Statements. Neid oder berechtigte Kritik an einem Phänomen, das eigentlich nicht funktionieren dürfte?

Der Verlauf wurde mittlerweile gelöscht.
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Sehnsucht nach Reduktion

"Elden Rings User-Experience ist so schlecht – ich kann mir nur vorstellen, dass die Entwickler von From Software eingeraucht an deren Schreibtischen gesessen sind und ihr Spiel an alten CRT-Monitoren angeschlossen hatten". Dieses doch etwas provokant formulierte Statement erschien kurz nach dem Release von Elden Ring und wurde von Ahmed Salama verfasst, selbst UX-Verantwortlicher bei Ubisoft Stockholm und davor als User-Interface-Programmierer bei Dice und einem Spiel namens Battlefield 2042 tätig. Die hohen Wertungen der Fachpresse würden zudem beweisen, dass Tester einen "heißen Furz" auf eine gute Lesbarkeit von Spielinhalten oder einer guten Belegung von Controllertasten geben würden: "Mein Leben ist eine Lüge."

Tatsächlich: Wenn man erstmals ins Spiel einsteigt, speziell wenn man wenig bis keine Souls-Erfahrung mitbringt, fragt man sich, was man hier eigentlich tun soll. Wenn man googeln muss, wie man eigentlich einen Trank zu sich nehmen kann, und frustriert auf die Schultertasten hämmert, bis man das Schwert zweihändig statt einhändig trägt, dann ist der Kritik-verschmähende Hype rund um Elden Ring auch aus neutraler Perspektive schwer zu verstehen.

So würde "Elden Ring" wohl aussehen, wenn es von Ubisoft gemacht wäre, scherzt der Reddit-User "gamboozino".
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Es muss an dieser Stelle nicht wiederholt werden, was schon zuhauf im Netz zu dem Spiel steht – warum es trotzdem funktioniert und die Leute sowohl die präzise Steuerung als auch die Erzählweise so lieben. Diese Sehnsucht nach Reduktion ist aber mit Sicherheit auch das Ergebnis von Spielen wie "füge beliebiges Ubisoft-Spiel ein" oder auch zuletzt Horizon Forbidden West. Markierungen wohin man blickt, eine Karte, die mit gefühlt 3.456 Symbolen mögliche Ziele anzeigt, haben zu einer gewissen Müdigkeit bei so manchen Spielern gesorgt. Sogar das erstklassige Ghost of Tsushima, das auf Anhieb viele Dinge besser inszenierte als das langgediente Assassin's Creed – etwa die Richtung zum nächsten Zielort auf Wunsch mit einem sanften Windstoß zu visualisieren – war spätestens ab dem zweiten Drittel ein Abarbeiten von Questmarkern und zu erobernden Forts.

Ein Spiel, das schon vor Elden Ring diesen Schritt der Reduktion wagte, war Zelda: Breath of the Wild, auf dessen Fortsetzung uns Nintendo jetzt schon einige Jahre warten lässt. Auch dort wurde man mehr oder weniger in eine Welt geworfen, die zunächst nicht verraten wollte, was man eigentlich tun soll. Man kann kochen? Berge erklimmen und meine Waffen zerbrechen nach drei Schlägen? Learning by Doing, ähnlich wie aktuell in Elden Ring. Nach dem exklusiven Switch-Titel löste das aber keinesfalls eine Welle an Tutorial-losen Spielen oder Titeln mit massiv missglücktem Inventar-Management aus. Nur Elden Ring erlaubt sich hier Narrenfreiheit – verkauft sich, genau wie Breath of the Wild, millionenfach und staubt dutzende 10/10-Wertungen ab, genau wie Breath of the Wild.

Auch "Zelda: Breath of the Wild" geizte mit Erklärungen oder einer mit Questmarkern übersäten Welt.
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Frust und Lernresistenz

Den eingangs erwähnten Tweet rund um hohe Wertungen trotz schlechter Spielerfahrung wurde übrigens von Kolleginnen kommentiert. Rebecca Fernandez O’Shea von Nixxes Software (Shadow of the Tomb Raider, Marvels Avengers) warf der Fachpresse vor, auch bei der offenbar fehlenden Stabilität und Performance auf PC blind gewesen zu sein, Blake Rebouche, Quest-Designer bei Guerrilla Games (Horizon: Forbidden West), ergänzte, auch schlechtes Missions-Design wurde offenbar nicht berücksichtigt. Offenbar war den Herrschaften nicht klar, dass die Fangemeinde von From Software solch flapsige Kommentare nicht goutiert. Nach einem kurzen Shitstorm stellte Rebouche seinen Twitter-Account auf privat, Salama löschte seinen gänzlich.

Das Problem ist, dass die Branche nur selten einen guten Mittelweg findet zwischen "wer ein paar Mal hinfällt, lernt schneller" und "Mama nimmt dich jetzt bei der Hand und zeigt dir die Welt". Die hohen Wertungen von Horizon: Forbidden West und Elden Ring sollten aber zeigen, dass es offenbar einen Markt für beide Varianten gibt. Auch das letzte Assassin's Creed wird laufend mit Erweiterungen versorgt – das würde Ubisoft nicht machen, wäre das Spiel kein kommerzieller Erfolg.

"Wir müssen zugeben, dass schlechte Spiele manchmal gute Dinge beinhalten und gute Spiele manchmal schlechte Dinge beinhalten". Mit diesen Worten klinkte sich der UI-Verantwortliche von Blizzard, Valentine Powell, via Twitter in die Diskussion ein. Nicht jedes Element, etwa eine aufdringliche Benutzeroberfläche, müsse laut Powell in jedem Spiel gleich gut funktionieren. Man solle sich als westlicher Entwickler deshalb die Arbeit von From Software sehr gut ansehen und davon lernen.

Auch als Spieler sollte man gewillt sein zu lernen. Etwa jene Tatsache, dass nicht alle Spiele für einen selbst programmiert wurden, so hart dieser Gedanke manchmal sein kann. Auch wenn Elden Ring oftmals als zugänglichstes From-Software-Spiel bezeichnet wurde – von zugänglich ist man bei diesem Spiel sehr weit entfernt, speziell wenn man die oben erwähnten westlichen Titel gewohnt ist. Man muss bereit sein, viel Lebensenergie und Zeit in das Spiel zu investieren, um es verstehen zu lernen.

Vielleicht ist der Games-Markt aktuell so breit, dass man nicht jeden Titel spielen muss, nur weil er hohe Wertungen bekommt. Es gibt ja auch viele Menschen, die mögen Stracciatella, Android als Betriebssystem oder auch die Arbeit mit Excel. Ähnlich verrückte Naturen gibt es mittlerweile auch im Gaming-Bereich und das sollte man akzeptieren – genau wie die eigene Frustrationsgrenze.

Wohin des Weges? Keine Ahnung, finde es selbst heraus. Nur zum Bossgegner solltest du vielleicht noch nicht gehen – hat zumindest ein Freund erzählt.
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So, der Autor dieser Zeilen muss jetzt wieder an die Konsole und Elden Ring weiterspielen, schließlich hat der Controller erst wenige Kratzer und nur einen ganz leichten Bruch am linken Griff. Wäre mit einer intuitiven Tastenbelegung und fairem Leveldesign vielleicht nicht passiert, aber im Gegenzug gab es dafür ganz viele, sehr belohnende Glücksmomente – meist begleitet von der emotionalen Reise, die bei "unmöglich, dieses unfaire Drecksspiel" begonnen hat und bei "jetzt hab ich dich, haha" geendet hat. Diese sich entwickelnde Hassliebe macht nicht blind, aber sie lässt über so manche Dinge, die in anderen Spielen etwas mehr stören würden, leichter hinwegsehen. (Alexander Amon, 13.3.2022)