Flüssiges Goldbraun, das unser Herz erwärmt, bevor es noch die Lippen trifft, eingeschenkt aus der silbernen Klinkosch-Teekanne mit Elfenbeingriff und -schnabel in reinweiße, hauchzarte Tassen aus feinstem Augarten-Porzellan. "Das ist mein Lieblingstee", sagt Annette Ahrens. Ihre warme, dunkle Stimme klingt wie eine Vertonung des köstlichen Gebräus. "Den hat mir ein Freund aus Harrogate in England geschickt, um ein sündhaft teures Porto. Aber in letzter Zeit konnte ich ja nicht selber hinfahren." In der Kleinstadt im nördlichen Yorkshire ist sie, wenn’s die Pandemie nicht gerade verhindert, oft zu finden. Denn dort gibt es 50 Antiquitätengeschäfte, im Sommer noch mehr Antiquitätenmärkte in der Umgebung, die sie regelmäßig besucht. Riesige Märkte, mit bis zu 2.000 Ständen: "Am Abend hab ich dann oft 16.000 Schritte zurückgelegt und jeden Stand nur einmal gesehen. Das ist extrem anstrengend", schwärmt Ahrens.

Von nichts kommt eben nichts. Ahrens fährt nicht (nur) zum Spaß auf die Insel, um dort mit britischen Hobbyhändlern um altes Geschirr und Besteck zu feilschen ("Die sind irrsinnig höflich, auf jede Delle wird man fünfmal aufmerksam gemacht!"), sondern vor allem aus beruflichen Gründen. Die studierte Kunstgeschichtlerin hat sich nämlich auf ein ganz besonders köstliches Nischenthema spezialisiert: die Tafelkultur.

Annette Ahrens in ihrem "Reich" mit delikatem Tischservice: "Schon als Kind bin ich vom Flohmarkt immer mit Gabeln, Messern und Löffeln zurückgekommen."
Foto: Christian Fischer

Wie kam es zu dieser speziellen Vorliebe? Ahrens, eine "typische Wiener Mischung: in Wien geboren, meine Mutter ist aus Böhmen, mein Vater aus Hamburg", hat Kunstgeschichte und Wirtschaft studiert. Noch während des Studiums begann sie, in einem Aktionshaus zu arbeiten. "Dort habe ich die große Welt des Kunstmarktes kennengelernt – und auch die vielen Schattenseiten. Man lernt irrsinnig viel." Auf Dauer sei ihr der Stress aber zu viel gewesen. "Irgendwann habe ich mir gesagt, es reicht mir nicht mehr, anderen zu sagen, welche Schätze sie besitzen."

Also folgte der Schritt in die Selbstständigkeit. Und weil das Thema "schön gedeckter Tisch" immer schon in ihrem Bewusstsein präsent war, war die Richtung vorgegeben: "Schon als Kind bin ich vom Flohmarkt immer mit Gabeln, Messern und Löffeln zurückgekommen." Ihre Erkenntnis: "Man muss sich spezialisieren, sonst ist man nicht glaubwürdig. Man ist nur dann wirklich gut, wenn man authentisch ist, wenn man das auch lebt, worüber man spricht."

Angeraute Schätze

Heute besteht Ahrens’ Reich nicht nur aus Besteck, sondern auch aus Tellern, Geschirr, Gläsern, Tassen, Tischdekoration und Tischwäsche aus feinstem Damast aus den letzten drei Jahrhunderten und hauptsächlich aus den ehemaligen Kronländern der k. u. k. Monarchie. Sie sammelt, verkauft, forscht, schreibt, kuratiert Ausstellungen, berät Museen, Restaurants, Innenausstatterinnen, Filmproduktionen und vieles mehr. Die einschlägigen österreichischen Märkte lässt Ahrens bei der Akquise natürlich nicht aus. Auch nicht den Flohmarkt beim Wiener Naschmarkt, dessen geplante Umgestaltung sie sehr kritisch sieht. Sie besucht auch regelmäßig den Antikmarkt am Hof in der Wiener Innenstadt oder Sonntagsflohmärkte auf Supermarkt-Parkplätzen in den Außenbezirken oder im Umland. "Dort finde ich eher Ersatzteile. Wenn mir ein Löffelchen von einem Berndorf-Set fehlt oder ein Glasteller. Aber die Mischung dort ist oft sehr ... wild."

Foto: Christian Fischer

Online-Recherche ist für Ahrens auch ein wichtiges Thema – schon allein deshalb, weil sie auch ihren eigenen Onlineshop betreibt. Vor allem während der Pandemie habe sich der Großteil ihres Geschäfts ins Internet verlagert. Trotzdem sei es ihr wichtig, "die Sachen in die Hand zu nehmen. Ich will wissen: Ist das warm, fühlt es sich kalt an, ist es angeraut oder glatt?" Bei Internetangeboten müsse man darauf hoffen, dass der Verkäufer das Objekt gut fotografiert habe.

Noblesse oblige

Glücklich ist Ahrens, wenn sie schöne Dinge findet. Schöne Dinge müssen sie auch im Alltag umgeben. Denn auch bei ihren täglichen Mahlzeiten legt Ahrens, noblesse oblige, Wert auf einen schön gedeckten Tisch. "Das ist für mich eine Frage des Selbstwertes. Dass ich mich kurz hinsetze und mir meinen Essplatz schön herrichte." Wer wäscht dann die edlen Stücke im Ahrens’schen Haushalt täglich von Hand ab? Ahrens: "Der Geschirrspüler! Hochwertiges Geschirr hält das problemlos aus."

Auch Sardinen lassen sich stilvoll aus der Dose heben.
Foto: Christian Fischer

Auch vor wilden Stilkombinationen hat Ahrens keine Angst – Augarten plus Ikea, anything goes. Wesentlich ist dabei das bewusste Bei-der-Sache-Sein, das Wissen darum, was man tut und warum. Es gehe nicht um die sklavische Einhaltung uralter Tischregeln, sagt Ahrens. "Wenn du deine Suppe aus einer schönen alten Mokkatasse trinken willst, dann mach das doch! Aber du solltest dabei wissen, dass es einmal eine Mokkatasse war." Ahrens’ Expertise wird auch oft angefragt, wenn es um die richtigen Benimm- und Tischregeln geht, erzählt sie. "Das interessiert mich eigentlich sehr. Aber ich möchte den anderen nicht vorschreiben, was sie zu tun haben." Allerdings sei sie immer wieder überrascht, welch große Unsicherheiten hier herrschten. "Sobald mehr als ein Besteck neben dem Teller liegt, schwimmen viele Leute schon."

Spannend ist, wie sich Tischregeln und -ausstattungen im Laufe der letzten Jahrhunderte verändert haben. "Viele Dinge, die heute als ganz besonders elegant gelten, kommen eigentlich aus den bürgerlichen Haushalten." So waren etwa Messerbänke oder Serviettenringe in adeligen Haushalten verpönt – hier konnte man es sich schließlich leisten, Tischtuch und Servietten nach jedem Gebrauch zu waschen, sie mussten nicht geschont werden.

Auch die Spezialisierung der Bestecke, wie etwa das Fischbesteck, gibt es erst seit Ende des 19. Jahrhunderts. Und es war auch lange üblich, Tische so zu decken, dass die Gabelzinken nach unten weisen – damit man sich nicht verletzt. Die Messerklinge war aber immer schon zum Teller hin gerichtet. Dass Gabeln üblicherweise vier Zinken haben, ist auch kein Zufall, sondern "die Verlängerung der Hand ohne Daumen". Und dass die klassischen Tafelservices zwölf Sets (moderne sechs) umfassen, liegt nicht an der "klassischen" Familiengröße. Diese Größenordnungen kommen aus der katholischen Tradition des Letzten Abendmahls. (Gini Brenner, 13.3.2022)