Thomas Zach und Lothar Lockl, Freundeskreissprecher von ÖVP und Grünen im Stiftungsrat, bei der Bestellung des ORF-Generals im August 2021.

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Wien – Wie reagieren ORF-Stiftungsräte auf die Analyse von "ZiB 2"-Anchor Armin Wolf, das Gesetz über die Besetzung des obersten ORF-Gremiums sei "offenkundig verfassungswidrig"? Der Sprecher der grünen Stiftungsräte, Lothar Lockl, verweist auf STANDARD-Anfrage auf die hohe fachliche Kompetenz und das sachliche Engagement des aktuellen Stiftungsrats für das Unternehmen. Er könne aber nur auf Basis geltender Gesetze agieren – und da müsse man durchaus berechtigt Reformbedarf sehen.

"Zu große Mehrheit von Vertretern der Regierungspartei(en)"

Wolf beruft sich auf einen Befund des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, Christoph Grabenwarter, in einem Fachbeitrag: "Herrscht in den Organen eine zu große Mehrheit von Vertretern der Regierungspartei(en), wird Artikel 10 EMRK verletzt", also der Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention über die Freiheit der Meinungsäußerung. Und die Menschenrechtskonvention steht in Österreich im Verfassungsrang.

Regierungsparteien haben schon aufgrund der Besetzungsbestimmungen des ORF-Gesetzes automatisch eine große Mehrheit, derzeit 21 und künftig mit voraussichtlich 24 von 35 Mandaten eine Zweidrittelmehrheit. Die Besetzung sei "offenkundig verfassungswidrig", argumentiert Wolf. Ein Normenkontrollverfahren könne diese Bestimmungen vor den Verfassungsgerichtshof bringen, doch das könne nur ein Drittel der Nationalratsabgeordneten oder eine Landesregierung veranlassen.

"Enorm hohe Kompetenz"

Lockl betont auf Anfrage den sachlichen Einsatz des aktuellen Stiftungsrats. "Ich beanspruche für die Mitglieder des Gremiums, dass sie – ehrenamtlich – eine enorm hohe sachliche Kompetenz in Finanzfragen, Programmfragen, Digitalisierung und Regionalität und zudem hohe Verantwortung für ein Milliardenunternehmen einbringen, das für unsere Demokratie eminent wichtig ist. Diese Mitglieder des Stiftungsrats gehen nach bestem Wissen und Gewissen ihrer Kontroll- und Aufsichtstätigkeit nach – wie es andere ehrenamtlich in vielen Kultur- und Sportinstitutionen des Landes tun."

Der ORF-Stiftungsrat tagt in aktueller Besetzung am Donnerstag zum letzten Mal. Mit einer positiven Bilanz seiner Tätigkeit, findet Lockl: Er habe 2021 ein "kompetentes und wesentlich weiblicheres" Direktorium für die ORF-Zentrale wie für die Landesstudios bestellt, das einen "frischen Wind" ins Unternehmen bringe.

"Massiver Reformbedarf"

"Davon unabhängig" aber räumt Lockl im Gespräch mit dem STANDARD ein: "Man kann durchaus mit Recht das ORF-Gesetz kritisieren, das in der Form seit 20 und mehr Jahren besteht." Lockl sieht durchaus "massiven Reformbedarf".

Regierungspartner ÖVP hat derzeit mit dem bestehenden Besetzungsmodus eine einfache Mehrheit im ORF-Stiftungsrat und zeigte aus dieser Position bisher wenig Veränderungswillen für die einschlägigen Gesetzesbestimmungen.

Der Besetzungsmodus für den Stiftungsrat ist im Grunde seit 1984 unverändert, als SPÖ und FPÖ – Vizekanzler: Norbert Steger – die Mandate der Bundesregierung von vier auf neun erhöhten. Damals hieß das oberste ORF-Gremium noch Kuratorium, und es bestellte Generalintendanten mit Zweidrittelmehrheit in geheimer Wahl. Seit 2001 (ÖVP/FPÖ) reicht im nunmehrigen Stiftungsrat eine einfache Mehrheit in offener Wahl für die Bestellung des ORF-Generaldirektors.

Lederer: "Gibt dringendere Punkte"

Heinz Lederer, von der SPÖ in den Stiftungsrat entsandt und Sprecher des roten Freundeskreises, sagt auf STANDARD-Anfrage zu Wolfs Analyse über den Besetzungsmodus des Stiftungsrats: "Darüber muss der Gesetzgeber entscheiden."

Für Lederer gibt es "dringendere Punkte" für Reformen – insbesondere eine geheime Abstimmung über den ORF-Generaldirektor. Und er wünscht sich "öffentliche Hearings der Kandidatinnen und Kandidaten für den Generaldirektor und die Direktoren, rechtzeitig, damit es eine ernsthafte Diskussionen geben kann".

Weitere Stiftungsräte hat der STANDARD um Stellungnahmen angefragt; einzelne erklärten bereits, sie wollten Wolfs Analyse nicht kommentieren. (fid, 14.3.2022)