Die Kathedrale Notre-Dame in Paris wird seit dem Brand 2019 wieder stabilisiert und renoviert.
Foto: Philippe Lopez / AFP

Fast drei Jahre ist es her, dass Teile der berühmtesten Kirche Frankreichs bei einem Großbrand zerstört wurden. Seitdem fehlt Notre-Dame de Paris der Spitzturm, der früher hinter den beiden Haupttürmen aufragte und auch als "Flèche", also Pfeil, bezeichnet wurde. Erbaut wurde der Spitzturm, der wie der Dachstuhl aus Holz bestand, erst im 19. Jahrhundert unter dem Architekten Eugène Viollet-le-Duc.

Der Dachreiter – der auch als Spitz- oder Vierungsturm bezeichnet wird –, der bis April 2019 das Dach von Notre-Dame überragte, wurde im 19. Jahrhundert angebaut. Gleichzeitig stieß man unter dem Boden auf Überreste eines kirchlichen Raumtrenners, der mehr als 100 Jahre zuvor zerstört worden war.
Foto: Joel Saget / AFP / APA

Schon bei dessen Renovierung ging es nicht nur hoch hinaus, sondern auch unter den Kirchenboden. Unterhalb des Querschiffs wurden ein paar ältere Bestandteile des gotischen Gebäudes gefunden, die im Louvre-Museum ausgestellt sind. Dazu gehören Teile des sogenannten Lettners, einer hohen Abtrennung. Sie teilte Räume, die für die Laien der Gemeinde gedacht waren, von jenen ab, zu denen hauptsächlich Geistliche Zutritt hatten. Gebaut wurde der steinerne Lettner im 13. Jahrhundert, 1726 allerdings im Zuge von Umbauarbeiten zerstört.

Die Kathedrale ist innen derzeit voller Baugerüste. Bevor das Dach erneuert wird, ergriffen Archäologinnen und Archäologen jedoch die Gelegenheit und warfen einen Blick unter den Boden von Notre-Dame.
Foto: Julien de Rosa / AFP / APA

Anthropomorpher Sarg

Nun wurden neue Teile dieses Lettners, der mit Skulpturen bestückt war, entdeckt. Ein archäologisches Team führt seit Anfang Februar im Rahmen des Wiederaufbaus der Kathedrale Ausgrabungen durch und stieß unter dem heutigen Bodenbelag auf eine Art Grube, in der mehrfarbige Skulpturen gefunden wurden. Sie liefern neue Erkenntnisse darüber, wie der mittelalterliche Lettner von Notre-Dame aussah und bemalt war.

Die farbigen Skulpturen (hier ist eine Hand erkennbar) gehörten einst zum Lettner ...
Foto: Julien de Rosa / AFP / APA

Hinzu kamen weitere Funde von "bemerkenswerter wissenschaftlicher Qualität", wie das französische Kulturministerium am Montag schrieb. Dort, wo sich Haupt- und Querschiff des Bauwerks kreuzen, stieß man auf bisher unbekannte Gräber. Der bisher interessanteste Gräberfund dürfte ein vollständig erhaltener Sarkophag sein, der aus Blei besteht und wahrscheinlich aus dem 14. Jahrhundert stammt. Seine Form ist anthropomorph, deutet also die Umrisse eines Menschen an, und im Sarkophag wurde wohl ein hoher kirchlicher Würdenträger bestattet.

... der für eine Trennung zwischen dem kirchlichen Raum für Geistliche und dem für Laien sorgte.
Foto: Julien de Rosa / AFP / APA

Blick in den Sarg

Um wen es sich dabei handelt und wie es in den Särgen aussieht, könnte mit weiterführenden Untersuchungen festgestellt werden (bei nichtmetallischen Särgen auch durch Scans). Ein erster Blick wurde sogar schon in den Bleisarg geworfen: Im Kopfbereich entdeckte das Forschungsteam Löcher im Metall, durch die eine Endoskop-Kamera eingeführt wurde und einen Blick auf den Inhalt gewährte. Die Kamera war praktischerweise bereits vor Ort und stammt von einem Filmteam des Senders Arte, das gerade vor Ort dreht.

Der bleierne Sarg an seiner Fundstelle.
Foto: Julien de Rosa / AFP / APA

Was das Team dabei vor die Kameralinse bekam, war faszinierend, berichtet der Archäologe Christophe Besnier: "Wir konnten organische Materialien wie Haare und Pflanzenreste identifizieren." Es sieht aus, als habe man den Kopf des Verstorbenen mit Zweigen aus Buchs bestückt, eine Praktik, die wohl einer sozialen Elite vorbehalten war. "Die Tatsache, dass diese Überreste noch vorhanden sind, deutet auf eine hervorragende Erhaltung des Sarginhalts hin – sowohl des Verstorbenen selbst als auch seiner Kleidung und der beigelegten Gegenstände."

Der Wiederaufbau der beschädigten Teile der Kathedrale soll bis 2024 geschehen.
Foto: Bertrand Guay / AFP / APA

Rekonstruktion bis 2024

Noch bis zum 25. März will die öffentliche Forschungseinrichtung die archäologischen Grabungen fortsetzen. Der Wiederaufbau ist nach dem Ende der Stabilisierungsarbeiten im Herbst 2021 bereits im Gange. Allein für die Herstellung des Dachstuhls wurden 2.000 Eichen gefällt. Zu den Olympischen Sommerspielen in Paris 2024 soll Notre-Dame wieder in altem Glanz erstrahlen und eröffnet werden. (sic, 15.3.2022)

DER STANDARD